Kapitel 45

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Für eine gefühlte Ewigkeit herrschte komplettes Schweigen. Harry hatte seine Rede beendet und wartete nun auf meine Reaktion. Die Frage war jedoch, wie sollte ich reagieren? Zum einen spürte ich, dass Harry es ernst meinte. Er hatte viel durchgemacht und es ergab Sinn, dass es ihm lange Zeit schwer fiel einzusehen, dass Ziele und vor allem Träume, sich ändern konnten. Allerdings war das Band zwischen uns, dass wir in den letzten Monate langsam aufgebaut hatten, gerissen. Er hatte gewusste, wie groß die Angst vor meinem Vater war. Er hatte gewusst, dass es nicht bei dem einen Anruf bleiben würde. Und doch hatte er mich in genau dieser Situation alleine gelassen. Er war gegangen, um seinen Traum zu leben. Natürlich war es wichtig, dass er auch mal an sich dachte, aber hatte es ausgerechnet jetzt sein müssen? Sein Gespräch mit Zayn war mir noch immer in guter Erinnerung. Er hatte klar gemacht, dass mein Zustand ihm egal war. Zwar schien ihm irgendwo auf dem Ozean das Gegenteil klar geworden zu sein, doch was wenn er seine Meinung wieder änderte? Was wenn erneut etwas anderes auf einmal wichtiger war und er mich erneut alleine ließ? In letzter Zeit hatte ich genug durchgemacht. Ich brauchte Menschen in meinem Leben, auf die ich mich absolut verlassen konnte. Und unter den aktuellen Umstände, gehörte Harry nicht zu diesen Menschen.

Noch immer sah er mich aufmerksam und neugierig an. Und noch immer wusste ich nicht, was ich sagen sollte.

"Harry... ich kann nicht so tun, als sei nichts passiert." Sofort schüttelte er den Kopf. "Das sollst du doch auch überhaupt nicht. Sag mir einfach nur... was du gerade denkst." Leichter gesagt als getan. "Sagen wir mal so: Meine... Gefühle für dich... haben sich nicht geändert. Aber du hast mich verletzt. Du hast mich alleine gelassen, als ich deine Hilfe am meisten hätte gebrauchen können. Das ändert einiges..." - "Okay... Danke für deine Aufrichtigkeit.", murmelte er, ohne mich anzusehen. Seufzend stand ich auf. "Ich glaube es ist besser wenn ich jetzt gehe." Ich war schon an der Tür, als ich mich doch noch einmal umdrehte. "Harry?" Fragend sah er auf. "Das mit meinem Vater... danke, dass du mich verteidigt hast." - "Jederzeit." 

Nach diesem Gespräch ging ich Harry erneut so gut es ging aus dem Weg. Doch dabei musste ich feststellen, dass mich das alles andere als glücklich machte. Gerne hätte ich wieder Zeit mit ihm verbracht, mit ihm über alles geredet, wie damals, bevor er gegangen und alles auseinander gebrochen war. Irgendwie schafft ich es dennoch, diesen Wünschen nicht nachzugeben. 

Als meine Mutter mich einige Tage später früh morgens anrief, rechnete ich absolut nicht mit dem, was sie mir zu erzählen hatte. 

"Du wirst nicht glauben was ich gerade erfahren habe!" Ihr Tonfall war eine Mischung aus entsetzt, ungläubig und fröhlich. "Was ist los, Mum?", fragte ich verunsichert. "Unser Anwalt hat gerade angerufen. Anscheinend hat dein Vater ein Geständnis abgelegt." Beim Klang ihrer Worte fiel mir fast mein gerade erst neu gekauftes Handy aus der Hand. "Er hat was gemacht?" - "Du hast richtig gehört. Er hat alles gestanden." Wie war das möglich? Weshalb sollte er so etwas tun? Hatte er sich tatsächlich derart verändert? "Aber... wieso? Wieso jetzt auf einmal?" Darauf schien meine Mutter auch nicht wirklich eine Antwort zu haben. "Ich kenne keine Details. Aber er hat sich anscheinend sogar dafür eingesetzt, dass du deine Aussage nicht wiederholen musst." Das Ganze wurde immer bizarrer. 

Nachdem ich das Gespräch mit meiner Mutter beendet hatte, machte ich mich sofort auf die Suche nach Louis. Er war derjenige, mit dem ich diese Neuigkeiten als erstes teilen musste. Doch seine Überraschung hielt sich in Grenzen. Er hob nur beeindruckt die Augenbrauen. "Also hat er das tatsächlich durchgezogen." - "Wer hat was durchgezogen?", fragte ich verwirrt. "Dein Vater. Die Sache mit dem Geständnis." Meine Verwirrung stieg noch mehr. "Inwiefern durchgezogen?" Louis seufzte und ging zu seinem Schreibtisch. Dann reichte er mir einen Umschlag. "Vielleicht solltest du das lesen." 

Ich öffnete den Brief erst, als ich zurück in meinem Zimmer war. 

Eliza,

ich habe eine Bitte an dich: lies diesen Brief bis zum Ende. Egal wie sehr du mich verabscheust, es ist wichtig, dass du verstehst was ich warum getan habe. 

Im letzten halben Jahr ist einiges passiert. Ich bin mir über viele Dinge klar geworden. Seit Mitte Sommer habe ich keinen Tropfen Alkohol angerührt. Ich habe versucht, mir ein neues Leben aufzubauen, ich habe sogar einen neuen Job gefunden. Aus irgendeinem Grund dachte ich, du würdest mir verzeihen, wenn du siehst, wie sehr ich mich verändert habe. Doch mein Anruf und mein Besuch bei dir, waren ein Fehler, dass sehe ich nun ein. Denn ich habe dieses neue Leben nicht verdient, ebenso wenig wie ich dich verdient habe. Nicht nur, dass ich eine Straftat begangen habe, nein, ich habe auch das Leben meiner einzigen Tochter zerstört. Was ich dir angetan habe, ist nicht in Worte zu fassen und es gibt ebenso wenig Worte, um es zu entschuldigen. Nachdem ich bei dir war wusste ich, dass du mir niemals verzeihen würdest. Und das ist absolut gerechtfertigt. Für eine Weile dachte ich, es wäre das beste wenn ich einfach verschwinden würde. Damit du mich nie wieder sehen musst. 

Doch dann bekam ich Besuch von deinem Freund Harry. Als er erfuhr, dass ich kurz vor meiner Abreise stand, ist er ziemlich ausgerastet. Und dann hat er mir eine andere Option gezeigt. Er hat mir vor Augen geführt, was ich tun muss, damit du mich möglicherweise irgendwann wieder respektierst. 

Ich werde ein Geständnis ablegen. Ich selbst werde dafür sorgen, dass ich die Strafe bekomme, der ich schon viel zu lange ausgewichen bin. Wie lange ich im Gefängnis bleiben muss weiß ich nicht. Und ich weiß, dass auch dieses Geständnis meine Fehler noch lange nicht wieder gut macht. Aber ich hoffe, dass es dir zeigt, wie sehr ich dich liebe und wie sehr mich alles leidtut, was ich dir angetan habe. 

Ich war ein furchtbarer Vater. Ein Vater, den niemand verdient hat. Aber du, Eliza, bist ein wundervoller Mensch. Ich wünsche dir ein Leben voller Glück und Erfolg, umgeben von Menschen, die dich zu schätzen wissen. 

Vielleicht werden wir uns irgendwann wiedersehen. Doch die Entscheidung liegt komplett bei dir.

Dad

Ich las den Brief immer wieder. Absatz für Absatz. Wort für Wort. Buchstabe für Buchstabe. Natürlich hatte er diese Entscheidung nicht von sich aus getroffen. Natürlich hatte er nach einem einfachen Ausweg gesucht. Doch mein Vater war mir in diesem Moment egal.

'Doch dann bekam ich Besuch von deinem Freund Harry. Als er erfuhr, dass ich kurz vor meiner Abreise stand, ist er ziemlich ausgerastet. Und dann hat er mir eine andere Option gezeigt. Er hat mir vor Augen geführt, was ich tun muss, damit du mich möglicherweise irgendwann wieder respektierst.'

DARK turns to LIGHTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt