Harry war derjenige, der meinen Vater dazu gebracht hatte, sich endlich der Polizei zu stellen. Harry war derjenige, der genau wusste, was mich am meisten beruhigen würde. Was mir eine entspannte, glückliche Zukunft ermöglichen könnte.
Und doch entschied ich mich dazu, zuerst mit Louis zu reden. Denn er hatte mir den Brief gegeben. Also müsste er auch in der Lage sein, mir die genaueren Umstände zu erklären. Und genau das tat er fünf Minuten später.
"Vor ein paar Tagen kam Harry zu mir und fragte ob ich wüsste wo dein Vater ist. Natürlich hab ich ihn gefragt wieso er das wissen will, aber er meinte nur es sei sehr wichtig und hat mich nicht in Ruhe gelassen, bis ich ihm gehoben habe. Ein paar Nummern von alten Freunden von deinem Vater hatte ich noch, also hab ich ein bisschen rumtelefoniert. Und schließlich heraus bekommen, wo er sich zu dem Zeitpunkt aufhielt. Sobald ich die Info an Harry weitergeleitet hab, war dieser verschwunden. Als er wieder kam hatte er den Brief dabei und hat mir gesagt ich soll ihn dir geben, sobald dein Vater ein Geständnis abgelegt hat." - "Aber wieso hat er mir den Brief nicht gegeben?", fragte ich verwirrt. Louis zuckte mit den Schultern. "Vermutlich hat er sich gedacht, dass du es mir eher erzählen wirst als ihm. Und damit hat er anscheinend lag er anscheinend komplett richtig." Entschlossen ging ich zur Tür. "Du weißt nicht zufällig wo Harry jetzt ist?" Er schüttelte ratlos den Kopf. "Nein, tut mir Leid."
Auch nach vermehrtem Klopfen an seiner Zimmertür, machte Harry nicht auf. Für einen kurzen Moment fürchtete ich, dass er erneut verschwunden war. Doch nach allem was er für mich getan hatte, erschien mir das als nicht sehr wahrscheinlich. Also öffnete ich nach einem weiteren Klopfen die Tür. Wieder einmal war sie nicht abgeschlossen. Sein Zimmer sah ebenfalls nicht so aus, als hätte Harry es für längere Zeit verlassen. All seine Sachen waren noch hier. Nachdenklich setzte ich mich auf sein Bett. Vielleicht war es am besten, wenn ich einfach hier wartete. Nach ein paar Minuten griff ich nach der Jacke, die neben mir auf dem Bett lag. Sie roch nach Harry. Ein angenehmer, beruhigender Duft. Aus Angst, dass Harry jederzeit ins Zimmer kommen könnte, legte ich die Jacke lieber wieder beiseite. Dabei fiel mir ein Stück Papier auf, das aus einer der Taschen ragte. Neugierig nahm ich es in die Hand. Doch es war kein Stück Papier. Es war ein Foto.
"Du hast eine Polaroid Kamera? Warum hast du mir das nie erzählt?" Ich griff nach der Kamera, die ich in einem der Kartons aus seinem alten Zimmer entdeckt hatte. Meine Begeisterung für diese Art Kamera war schon immer groß gewesen, der Inhalt meines Geldbeutels jedoch immer zu klein. "Erbstück.", murmelte Harry und zuckte mit den Schultern. Mir kam eine Idee. Grinsend hob ich die Kamera vor mein Auge. Doch Harry schüttelte warnend den Kopf und nahm die mir aus der Hand. "Kommt gar nicht in Frage." Mit vor der Brust verschrenkten Armen sah ich ihn an. "Das ist nicht fair. Ich hab kein einziges Foto von dir!" Erneut zuckte er mit den Schultern. "Dafür hast du mich." Diese vier Worte verursachten ein Kribbeln in meinem Bauch und ließen meine Mundwinkel automatisch in die Höhe wandern. Das nächste was ich mitbekam war ein leises Klickgeräusch. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?", frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Harry streckte mir die Zunge raus und blickte auf die Kamera, aus der nun das gedruckte Foto zum Vorschein kam. "Du schmeißt das sofort weg!", befahl ich ihm. Doch Harry schüttelte den Kopf. "Niemals."
Er hatte das Foto also tatsächlich behalten. Seinem Zustand nach zu urteilen, hatte es vermutlich bereits einige Zeit in seiner Jackentasche verbracht. Hatte er es die ganze Zeit bei sich gehabt? Schnell legte ich das Foto zurück und stand auf. Zu Zayns Zimmer war es nicht weit. Wenn irgendjemand wusste wo Harry war, dann Zayn.
"Und bitte sag mir nicht, dass er wieder abgehauen ist!" Zayn schüttelte lächelnd den Kopf. "Nein, kann ich mir nicht vorstellen." - "Und wo ist er dann?" Er runzelte die Stirn. "Ich weiß nicht wo genau er ist. Aber vermutlich nicht hier." Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, worauf er hinaus wollte. "Wie meinst du das? Wieso sollte er nicht hier sein?" Zayn seufzte. "Wegen seinen Eltern." - "Aber seine Eltern... leben nicht mehr." Ich bekam keine Antwort. Stattdessen sah Zayn mich an, als wartete er auf eine weitere Reaktion von mir. Es dauerte eine knappe Minute, bis ich es endlich verstand. "Oh.", war alles, was ich heraus brachte. "Du kennst ihn mittlerweile besser als ich, Lizzy. Wenn jemand weiß wo er ist, dann bist du das."
Zehn Minuten später saß ich im Taxi. Zum Glück kannte ich die Adresse von Harrys altem Zuhause noch. Und den Weg von dort aus zu meinem eigentlichen Ziel hatte ich mir ebenfalls gemerkt. Die Fahrt kam mir unerträglich lang vor. Als ich schließlich ankam, war Harrys Auto das einzige auf dem sonst komplett leeren Parkplatz. Er war also tatsächlich hier. Ich bezahlte den Taxifahrer und ging anschließend den Weg entlang, den ich noch von meinem letzten Besuch erinnerte.
Ich sah Harry bereits von weitem. Komplett regungslos stand er vor dem Grab seiner Eltern. Wie lange er bereits hier war, wollte ich mir gar nicht vorstellen. Langsam und möglichst leise näherte ich mich ihm von hinten. Ich wollte ihn nicht erschrecken, also blieb ich wenige Meter hinter ihm stehen. So konnte ich mir sicher sein, dass er meinen Atem hörte. Er reagierte nicht. Vorsichtig legte ich die letzten paar Meter zurück, bis ich direkt neben ihm stand. Nach kurzem Zögern griff ich nach seiner Hand. Noch immer reagierte er nicht, allerdings zog er seine Hand auch nicht weg. Eine Weile betrachtete ich nur stumm den Grabstein, dann wagte ich es endlich, in Harrys Richtung zu sehen. Obwohl er ebenfalls nach vorne sah und meinen Blick somit nicht erwiderte, konnte ich doch die Tränen auf seiner Wange sehen. Seine Augen waren gerötet und leicht angeschwollen. Noch nie hatte ich Harry in dieser Verfassung gesehen. Wütend. Verletzt. Besorgt. Verzweifelt. Alles hatte ich schon gesehen. Doch seine Augen waren immer trocken geblieben. Ich erinnerte mich an sein Maskentattoo. Die Masken, die so vieles erleichterten. In diesem Moment jedoch, trug Harry keine Maske. Er war komplett er selbst. Ich verstärkte meinen Griff um seine Hand.
"Seine Eltern zu verlieren ist ein Sache.", murmelte er nach einer Weile, "Doch zu wissen, dass sie noch am Leben wären, wenn man selbst sich besser verhalten hätte, ist etwas komplett anderes."
Ein Jahr.
Ein Jahr war vergangen und noch immer gab Harry sich die Schuld am Tod seiner Eltern.
"Sag so etwas nicht. Es war ein Unfall, und den hast du nicht verursacht.", wiedersprach ich ihm. Noch immer sah er mich nicht an. "Aber wenn ich- " Kopfschüttelnd unterbrach ich ihn: "Nein, Harry. Kein 'aber wenn'. Fehler passieren und man kann sie nicht rückgängig machen. Aber glaub mir eine Sache: wenn deine Eltern dich jetzt sehen könnten... sie wären stolz auf dich. Seit ich dich kennengelernt habe, hast du dich so sehr entwickelt. Du hast dich verändert und das liegt ganz bestimmt nicht nur an mir. Du selbst bist ein anderer... ein besserer Mensch geworden. Ein Mensch, der sich für seine Freunde einsetzt. Der diese beschützt und für sie da ist. Es ist egal, wie viele Fehler du deiner Meinung nach gemacht hast. Denn du selbst hast eingesehen, dass es falsch war. Du selbst versuchst, diese Dinge wieder gut zu machen. Du hast deine Eltern stolz gemacht. Nicht indem du ihre Wünsche erfüllt hast. Sondern indem du deinen eigenen Wünschen nachgegangen bist und aus deinen Erfahrungen gelernt hast. Und die Person, zu der zu der du geworden bist, ist etwas ganz besonderes. Ich liebe dich, Harry. Egal wie viele Fehler du machst, egal wie falsch du mit deiner Einschätzung von dir selbst liegst, egal wie oft du wegläufst und dann wieder kommst. Ich liebe dich und ich bin stolz auf dich. Genauso wie deine Eltern."
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hier nach kommt wahrscheinlich noch ein 'normaler' teil & dann ein epilog :) und daaann ist die geschichte vorbei :(
votes & kommentare würden mich sehr freuen :)
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DARK turns to LIGHT
FanfictionEr streckte seinen linken Arm in meine Richtung. "Was siehst du?", fragte er. Etwas verwirrt betrachtete ich seinen Arm. "Tattoos?!" Harry schüttelte den Kopf. "Nein. Was siehst du wirklich?" Ich beugte mich etwas mehr nach vorne. "Ehm... eine Rose...