Als wir bei Harrys altem Zuhause ankamen, stand bereits ein riesiger Umzugswagen auf dem Hof. Mehrer Möbelpacker eilten von Haus zu Wagen und wieder zurück. Es dauerte ganze zehn Minuten, bis wir jemanden aus seiner Familie entdeckten. Harrys Großvater war ich bis jetzt noch nie begegnet. Doch die Ähnlichkeit der beiden war unverkennbar. Sowohl die Augen, als auch der Mund schienen eins zu eins ins jeweils andere Gesicht kopiert zu sein. Obwohl er rein rechnerisch nicht mehr der jüngste sein konnte, half er eifrig mit beim Einpacken und Tragen der Kartons. Harry hingegen führte mich direkt weiter die Treppe hoch und in sein Zimmer. Hier hatte noch niemand begonnen, Möbel abzubauen oder persönliche Gegenstände einzupacken. Es standen jedoch leere Kartons in einer Ecke des Raumes, fertig zum Bepacken.
"Also, womit sollen wir anfangen?" Harry antwortete nicht. Stattdessen drehte er mir den Rücken zu und ging zum Fenster. Zögernd trat ich neben ihn. Von hier aus hatte man einen perfekten Blick auf den parkähnlichen Garten. Man konnte dabei zusehen, wie immer mehr Blätter von den Bäumen fielen und auf dem Rasen eine rot goldene Decke bildeten. "Ich verstehe nicht, wie sie dieses Haus verkaufen können.", murmelte Harry nach ein paar Minuten. Und erst jetzt wurde mir bewusst, was dieser Umzug wirklich bedeutete. Es ging nicht nur darum, dass Lucy noch weiter von ihm entfernt sein würde. Nein. Gleichzeitig verlor er sein Elternhaus. Den Ort, an dem er groß geworden war. Einen Ort voller Erinnerungen. Erinnerungen an Menschen, die er niemals wiedersehen würde. "Das hier ist alles was noch von ihnen übrig geblieben ist. Bald wird es so sein, als hätte es sie nie gegeben." Langsam schüttelte ich den Kopf und drehte mich zu ihm um. "Das stimmt nicht." Vorsichtig begann ich sein Hemd aufzuknöpfen. Die obersten drei Knöpfe reichten. Dann fuhr ich mit meiner rechten Hand erst über die beiden Vögel auf seinem Oberkörper, die seine Eltern symbolisierten, danach über das verschnörkelte 'G' an seiner Schulter. "Es wird niemals so sein als hätte es sie nie gegeben.", versicherte ich ihm. "In euren Herzen sind sie immer bei euch." Harry griff nach meiner Hand und zog mich zu seinem Bett. "Weißt du weshalb dieser Ort noch so besonders ist?" Ich schüttelte den Kopf, woraufhin Harry die Augen verdrehte. "Denk nach." - "Woher soll ich das wissen, als ich dich kennengelernt habe, hast du schon in London gewohnt.", verteidigte ich mich. "Es betrifft dich." Überrascht hob ich die Augenbrauen. "Mich?" - "Dich." Für eine Weile sahen wir uns schweigend an. Doch dann dämmte mir, worauf er hinaus wollte. "Oh." - "Oh." Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. "Ich kann mir noch haargenau daran erinnern wie ich aufgewacht bin und du mich quasi überfallen hast." Entgeistert riss ich die Augen auf. "Ich dich? Du hast mich geküsst!" - "Wie kommst du denn darauf? Das ist eine ganz miese Unterstellung! Als wenn ich dich jemals freiwillig küssen würde."
Obwohl ich durchaus wusste, dass er das alles andere als ernst meinte, zuckte ich mit den Schultern und stand auf. "Wenn das so ist, geh ich voll lieber." Doch bevor ich die Tür erreicht hatte, schloss sich seine Hand um meinen Arm. Im nächsten Moment stand er direkt vor mir uns sah mich kopfschüttelnd an. "Du gehst nirgendwo hin." Dann nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und kurz darauf trafen unsere Lippen aufeinander.
Irgendwann realisierten wir beide, dass wir eigentlich aus einem anderen Grund hier waren. Die Möbel würde zwar später jemand anderes abbauen und ins neue Haus bringen, dafür packten wir sämtliche persönliche Gegenstände ein, um diese mit nach London zu nehmen. Die meisten dieser Gegenstände waren Fotos. Ein paar von diesen kannte ich bereits, viele hatte ich jedoch noch nie zuvor gesehen. Immer wieder schnappte Harry mir einzelne Fotos aus der Hand, bevor ich sie richtig ansehen konnte. Seiner Meinung nach sah er auf diesen "schlimmer als jeder Windhund" aus. Was sein Aussehen mit dem eines Windhundes zutun haben sollte konnte ich zwar nicht ganz nachvollziehen, aber Harry blieb bei seiner Meinung.
"Ich wusste gar nicht, dass du die Locken von deiner Mutter geerbt hast.", stellte ich fest, als ich ein Bild der beiden betrachtete, welches schätzungsweise vor über zehn Jahren entstanden war. Beide blickten lachend in die Kamera, wobei die braunen Locken mindestens einen Drittel des Fotos einnahmen. "Ja.. die Haare meines Opas sahen auch einmal so aus. Also als er noch welche hatte." Lächelnd griff Harry nach dem Foto. "Manchmal träume ich von ihr, weißt du... aber diese Träume werden immer seltener. Ohne diese Fotos wüsste ich vermutlich bald überhaupt nicht mehr wie sie aussah." Ich nahm seine Hand in meine und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. "Mach dir darüber keine Sorgen. Wenn man etwas nicht vergessen will, dann tut man das auch nicht." Seine Lippen berührten meinen Haaransatz. "Sie hätte dich gemocht.", murmelte er. "Ich hätte sie gerne kennen gelernt. Und deinen Vater auch." Wir schwiegen für eine Weile, bis Harry schließlich das Thema wechselte. "Wann lerne ich eigentlich deine Mutter kennen?" Seine Frage warf mich für einen kurzen Moment aus der Bahn. "Ehm... keine Ahnung.", antwortete ich wahrheitsgemäß. Das Verhältnis mit meiner Mutter war alles andere als schlecht. Allerdings hatte ihr Beschützerinstinkt seit dem Vorfall mit meinem Vater stark zugenommen. Wie sie auf meinen aktuellen Beziehungsstatus reagieren würde, wollte ich mir lieber nicht vorstellen. "Sie hat aber nichts gegen Männer mit Tattoos, oder?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Schnell schüttelte ich den Kopf. "Nein, so jemand ist sie nicht.", versicherte ich ihm. "Sie ist nur... recht besorgt um mein Wohlergehen." Nachdenklich runzelte er die Stirn. "Also sollte ich deiner Mutter zeigen, dass es mir genauso geht."
Ungefähr eine Stunde später waren alle Sachen in Harrys Wagen verstaut. Wir verabschiedeten uns von seiner Familie und machten uns dann auf den Rückweg, beziehungsweise auf den Weg zum Tattooladen. Bis ich auf halben Weg feststellte, welcher Wochentag heute war. "Aber... es ist Sonntag. Hat der... Laden heute überhaupt auf?" Harry schüttelte den Kopf. "Eigentlich nicht. Aber Payno weiß, dass ich komme." Payno. Vermutlich irgendein stämmiger, kahlköpfiger Tätowierer. "Und du willst mir immer noch nicht sagen was du dir stechen lässt?" Erneut schüttelte er den Kopf. "Oh, hatte ich das noch nicht erwähnt? Momentan schwanke ich zwischen deinem Namen und deinem Gesicht." Panisch riss ich die Augen auf. "Nein! Du das nicht, Harry!" Lachend schüttelte er den Kopf. "Keine Sorge, war nur ein Scherz.", beruhigte er mich. "Nicht witzig.", stellte ich fest, konnte mir ein Lächeln jedoch nicht verkneifen.
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ganz großes dankeschön an die, die immer so liebe Kommentare schreiben! :) aber die Meinung von euch anderen würde mich auch mal interessieren hehe also schön eifrig kommentieren, dann geht's auch schnell weiter! :)
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DARK turns to LIGHT
FanficEr streckte seinen linken Arm in meine Richtung. "Was siehst du?", fragte er. Etwas verwirrt betrachtete ich seinen Arm. "Tattoos?!" Harry schüttelte den Kopf. "Nein. Was siehst du wirklich?" Ich beugte mich etwas mehr nach vorne. "Ehm... eine Rose...