Die Gedanken kreisten nur so durch meinen Kopf, als ich völlig übermüdet und ohne das kleinste Hungergefühl am großen Tisch der Slytherins saß und Löcher in die Luft starrte. Meine Freunde waren mir in dieser Zeit auch keine besondere Hilfe.
Lyssa und ich hatten uns immer noch nicht vertragen, Dylan war noch stiller als sonst und Charlus war zu sehr mit Carol beschäftigt, als dass er sich auch noch um meine Probleme kümmern konnte.
Vier Wochen waren mittlerweile vergangen, seit ich Tom im Wald mit seinen „Freunden" angetroffen hatte und dabei zusehen musste, wie er erneut versuchte, und diesmal sogar Erfolg dabei hatte, einen Horcrux zu erschaffen. Wie ich mich dabei fühlte, wusste ich allerdings nicht. Taubheit hatte von meinem gesamten Körper Besitz ergriffen und sogar der Schmerz in meinem Bein, sowie die Übelkeit, die seit einigen Tagen meine Schulzeit um Einiges schlimmer machte, wurden von mir nur noch als Pochen wahrgenommen. Wie schon so oft in den letzten Tagen, berührte ich geistesabwesend die Stelle an meinem Hals, die vorher von meiner Kette verdeckt wurde, die ich aber seit den vergangenen Wochen immer noch nicht gefunden hatte.
Zugegeben, ich hatte auch nicht wirklich danach gesucht. Klarerweise hatte ich andere Dinge zu tun, oder eben auch nicht. Denn ich war unproduktiv geworden. Fühlte mich wie in Trance, nahm meine Umwelt nicht mehr wahr. Dementsprechend sahen auch meine Noten aus. Nicht, dass es mich kümmern würde. In keinster Weise.
Unsanft wurde ich aus meiner Starre gerissen und mit einem kleinen Blick zur Seite wusste ich auch von wem.
Mein Freund, dem ich seit dem Ereignis im Wald mehr oder weniger erfolgreich aus dem Weg gegangen war, oder es zumindest versucht hatte, hatte sich soeben vor mir aufgebaut. Ob er schon immer so bedrohlich ausgesehen hatte, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Ich wusste nur, dass er für mich zu hundert Prozent zu dem geworden war, das er auch in der Zukunft sein würde und dass ich einfach nur wie benommen zusehen konnte. Es war schrecklich.
Mit glasigen Augen blickte ich in sein strahlendes Gesicht und dachte mir dabei, dass ich mir die schmerzhafte Berührung vielleicht einfach nur eingebildet hatte. Ich war schrecklich sensibel geworden. Jede falsche Aussage, jede unbedachte Berührung, jedes Anzeichen davon, dass etwas nicht stimmen könnte, brachte mich fast zum Durchdrehen und ich konnte einfach nicht in Worte fassen woran das liegen könnte. Einfach an der Gesamtsituation? Vielleicht. Auch wenn ich tief im Inneren wusste, oder vielmehr ahnte, dass noch so einiges mehr hinter meiner Verwandlung zum teilnahmslosen Geist steckten musste.
„Willst du mich zum Zaubertränke – Klassenzimmer begleiten?", drang seine unterkühlte Stimme an mein Ohr.
Hatte er sich wirklich so sehr verändert? Oder lag es einfach an mir? Sah ich ihn jetzt endlich als das was er wahr, weil ich das Ritual gesehen hatte, mit dem er seine Seele und somit seine Menschlichkeit vollends zerstört hatte? Innerlich schüttelte ich den Kopf, nach außen hin nickte ich zaghaft. Was auch immer mich dazu gebracht hatte in einem neuen Licht zu sehen, es war ganz bestimmt nicht meine Schuld. Er hatte Fehler begangen, nicht ich. Wer wusste schon, wie viele Horcruxe er in Wirklichkeit schon fabriziert hatte.
Behutsam stand ich auf, immer dabei bedacht, mir nicht anmerken zu lassen, unter welchen Schmerzen ich wirklich stand. Meine ehemalige beste Freundin widmete mir keinen Blick, genauso wenig wie ihr Bruder, der in ein Buch versunken war und vermutlich die Situation nicht einmal mitbekam. Einzig und allein Charlus und Carol, sahen mir mit gemischten Gefühlen nach, als mich mein Freund aus der großen Halle führte.
Ich zitterte am ganzen Körper, konnte aber nicht genau sagen warum. Schon seit einiger Zeit, fühlte ich mich kraftlos und schwach. Ich war mager geworden, zumindest kam es mir so vor, wenn ich mich morgens im Spiegel betrachtete. Der Mensch, der ich vorher war, war verschwunden. Die Vergangenheit hatte mich vollkommen konsumiert und wollte mich einfach nicht freigeben.
„Mich wundert es wirklich...", begann Tom die Stille zu durchbrechen, die uns Umgab, während wir durch die langen, noch in leichter Düsterheit gehüllten, Gänge liefen.
Fragend blickte ich ihn von der Seite aus an.
„..., dass du noch gar nicht vom Verlust deiner Kette gesprochen hast. Schließlich hättest du mir doch schon seit einer Ewigkeit vorhalten müssen, wie gerne du eine neue haben würdest."
Er hatte es also bemerkt und mir nicht den Kopf abgerissen? Aber warum interessierte es ihn dann überhaupt? Offensichtlich hatte er mehr damit zu tun, als dass er zugeben würde. Aber was?
Durch meine unbeteiligte Haltung fuhr er einfach fort, ohne auf eine Antwort meinerseits zu warten. Vermutlich weil er wusste, dass ich ihm keine liefern würde.
„Wenn ich raten müsste, dann würde ich sagen, dass du sie vor ungefähr fünf bis sechs Wochen verloren hast, nicht wahr?"
Dieses gottverdammte Grinsen, ich hätte es ihm am liebsten aus dem Gesicht gehext. Doch ich tat nichts dergleichen. Stattdessen hielt ich abrupt an und rührte mich kein bisschen mehr, was Tom dazu brachte mich eingehend zu mustern. Er wusste genauso gut wie ich, dass ich meine Gedanken nicht dazu bringen konnte still zu stehen und mir keinen Reim aus dem Geschehenen machen konnte. Und es gefiel ihm ungemein. Ich betete um eine Unterbrechung. Um einen Schüler oder gar einen Lehrer, der um die Ecke kommen musste, weil doch der Unterricht bald beginnen würde, doch... Nichts. Verlassen von aller Welt standen wir da und mir wurde heiß und kalt zugleich. Ich wusste, unter Tom's Blick würde ich schmelzen.
Plötzlich ging mir ein Licht auf.
„Aber warum hast du..., wann hättest du... ? Welchen Nutzen würde sie für dich haben? Sie ist doch nichts wert, das weißt du doch am besten. Du hast sie mir doch geschenkt."
Sein Lächeln wurde noch breiter. Also hatte ich den Nagel auf den Kopf getroffen. Er hatte meine Kette gestohlen. Nur Merlin allein wusste warum und wann. Wobei ich mir das wann eigentlich denken könnte. Vor einigen Wochen hatte ich schließlich die Nacht mit Tom verbracht, wobei es ihm ein leichtes gewesen sein musste mir das Schmuckstück zu entnehmen. Wirklich clever, vor allem, weil ich es ja eigentlich war, die ihn mit der gemeinsamen Nacht beeinflussen wollte und nicht umgekehrt. Ob er damals wohl gewusst hatte, was mein Plan war?
„Mir scheint, als hättest du den größten Teil deiner Fragen schon selbst beantwortet. Aber kannst du dir auch vorstellen warum ich all das gemacht habe? Warum ich dir die Kette gestohlen habe?"
Wie ich es doch hasste, wenn er so mit mir sprach. Als wäre ich ein kleines Kind, das nicht wusste, wie man bis drei zählt. Wobei ich in seinen Augen vermutlich genau so eines war. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Natürlich war mir klar, was er mit der Kette gemacht hatte, auch wenn ich nicht wusste wann. Es war alles so glasklar und doch so verwirrend, dass man sich mit jeder Auflösung eines Rätsels einem neuen stellen musste. Er machte seinem Namen alle Ehre.
„Ich hoffe wirklich von ganzem Herzen, dass das wirklich das ist, was du willst.", versuchte ich hervorzubringen, was mir nicht ganz gelang, weil mir das Wissen über die realen Zustände die Kehle zum Atmen zuschnürte. Doch ich war mir sicher, dass er es gehört hatte. Es war ja schließlich immer noch so furchtbar still hier unten. Nicht eine Seele, tot oder lebendig, war hier zu finden.
Nur wir zwei. Auch wenn nur einer von uns eine funktionierende Seele besaß.
Der Gedanke, Tom könnte einfach seine Anhänger dazu gebracht haben, den Flur abzusperren und zu bewachen solange wir unser kleines Gespräch nicht beendet hatten, wurde von meiner Erkenntnis verdrängt, dass in seinen Augen ein kleiner Funken Emotion zu sehen war, als ich mein Wort an ihn gerichtet hatte. Dieser Moment war aber genauso schnell wieder fort, wie er gekommen war. Stattdessen zeichnete sich die altbekannte Kühle in seinen Zügen ab.
Ein Schwall von Trauer breitete sich darauf in meinem ganzen Körper aus und Tränen versuchten sich ihren Weg über meine Wangen zu bahnen, doch bevor auch nur eine fallen konnte, drehte ich mich auf meinem Absatz um und ging in die andere Richtung, wohl wissend, dass ich auf diesem Weg auf keinen Fall in das Klassenzimmer kommen würde. Doch das war mir egal. Ich wollte eh nicht mehr in den Unterricht. Was würde es auch nützen? Tom würde unsere Welt ohnehin zerstören, ob ich da jetzt wusste wie man Tränke braute oder nicht tat doch auch nichts mehr zur Sache. Außerdem sollte mich Tom nicht weinen sehen.
Nicht schon wieder.
Das Gefühl der Erhabenheit, hatte er auch ohne mein Zeugnis der Schwäche.
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Vor dem Abgrund (Tom Riddle/OC)
RomanceNachdem Mia jetzt in der Vergangenheit bei Tom lebt scheint alles in Ordnung zu sein. Aber es ist nicht immer alles so wie es scheint. Was passiert, wenn Tom plötzlich doch, trotz seiner großen Veränderung, Interesse an der dunklen Zauberei entwicke...