One step forward

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Zufrieden summtest du dein Lied vor dich hin, während die Nadel in deiner Hand immer und immer wieder im Stoff verschwand. Eine lange Naht würde schon bald das riesige Loch in Katakuri's Schal ganz verschwunden sein, auch wenn die Naht selbst ein wenig schief war. Tja, es konnte nicht alles perfekt werden.
Das Klicken der Türklinke ließ dich erschrocken zusammenzucken und sofort sahst du zur Tür deines Schlafzimmers.
Oh je, erwischt.
»Ist das dein Ernst?«, fragte Katakuri mit unterdrückter Wut in der Stimme. Er stand am Türrahmen gelehnt, verdeckte seinen Mund mit dem Unterarm. Dass du einfach so seinen Schal entführt hattest schien ihn ernsthaft wütend zu machen und dir tat deine 'gute Idee' in diesem Moment furchtbar leid. Ihn zu verärgern war ausnahmsweise nicht deine Absicht gewesen, du hattest einfach nur nett sein wollen. Das kam also davon, wenn man freundlich sein wollte - es ging nach hinten los.
»Du klaust meinen Schal? Warum zum Teufel-«, sein Tonfall war hitzig und es war das erste Mal, dass du ihn so emotional erlebtest. Sonst war Katakuri immer gefasst, der Inbegriff von Ruhe und Konzentration. Er ging einen Schritt auf dich zu, versteckte seinen Mund weiterhin vor dir und aus irgendeinem Grund verletzte dich sein Misstrauen etwas.
»Ich nähe die Löcher!«, protestiertest du energisch im Angesicht seiner ungewohnt offenen Wut. »Das Stück ist schon ganz zerfetzt. Ich wollte doch nur nett sein, verdammt!«
»Ich brauche keine halbgaren Freundlichkeiten von dir.« Seine Stimme wurde abwertend, geradezu abfällig dir gegenüber. Deine Hand hielt inne und du sahst mit deiner ganzen Aufmerksamkeit auf, hoch zu Katakuri. Er begegnete deiner Freundlichkeit mit Ablehnung und so verletzend das im ersten Moment auch war, er hatte nicht Unrecht. Es war wohl zu dreist, einfach seinen Schal zu entwenden und damit zu türmen, da durfte er schon etwas angesäuert sein.
Es gab eine Sache, die dich in dieser Situation stutzig werden ließ: Er war defensiv wütend. Er war zwar aufgebracht über deine dumme Idee, doch du spürtest etwas in seiner Ausstrahlung und seiner Stimme. Selbst ohne den Schal versteckte er sein Gesicht vor dir, war bedacht darauf dass du keinen Zentimeter erspähen konntest.
»Gib ihn mir wieder.«, sagte Katakuri mit einer Dringlichkeit in der Stimme, die dir einen Schauer über den Rücken jagte. Er konnte es mit so viel Wut überdecken wie er wollte.


Unsicherheit. Er ist verunsichert.


Katakuri streckte den Arm aus, hielt dir eine offene Hand entgegen - deutlicher konnte eine Geste wohl kaum noch sein. Er wollte seine Mauer zurück, mit der er alle um sich herum ausschließen konnte. Er wollte seinen Schutz zurück, wollte wieder der perfekte Kommandant sein.

»Nein.«, erwidertest du knapp und sahst wieder auf deinen Schoß, um die Arbeit am Stoff zu beenden. Zwei rote Augen starrten dich überrascht an.
»Nein?!«, wiederholte er deine karge Antwort, noch etwas aufgebrachter als vorher. Wenn er wollte, dann konnte er also richtig emotional sein. Wer hätte das gedacht?
»Ich bin fast fertig, du kannst dich doch bestimmt noch fünf Minuten gedulden.« Dem schien nicht so zu sein, da er noch etwas näher kam und mit der freien Hand nach dem Schal griff. Du warst schneller, wichst etwas nach hinten aus und um einen Millimeter verfehlte er das wertvolle Stück Kleidung.
»Katakuri, warum auch immer du so ein Problem damit hast, dass jemand dein Gesicht sieht - mich stört es bestimmt nicht.«, versuchtest du ihn zu beruhigen. Dein Ehemann zögerte, schien seine Optionen abzuwägen.
Schließlich ließ er seinen Arm sinken, so dass du zum ersten Mal die untere Gesichtshälfte sahst. Zwei paar lange Reißzähne sprangen dir ins Auge und kurz sahst du von deiner Arbeit auf. Nun, das war unerwartet. Die Narben waren dir natürlich bekannt, konnte man sie stets unter dem Schal hervor blitzen sehen - doch die Zähne waren wirklich etwas Besonderes.
»Und? Darf ich jetzt weiter nähen?«, fragtest du, nach außen hin gänzlich unberührt. Dann hatte er halt Fangzähne, wen interessierte das schon. Außerdem sah es gar nicht so schlecht aus, es passte irgendwie zu seinem breiten Kiefer.
Katakuri musterte dich kurz, von oben bis unten. Als könne er es gar nicht fassen, dass du nicht schreiend aus dem Raum ranntest oder dich über ihn lächerlich machtest.
»Schön.« Du setztest dich aufs Bett und fuhrst mit dem Flicken des Schals fort. Dein Ehemann stand etwas verloren im Schlafzimmer, schien nicht recht zu wissen wohin mit sich selbst. Du sahst von deiner Arbeit auf und klopftest auf die Matratze, ein Zeichen für ihn sich zu dir zu setzen. Er folgte deiner Aufforderung und du spürtest wie sich das Bett neben dir etwas absenkte als er sich zu dir gesellte.
Aufmerksam beobachtete er deine Hände bei der Arbeit und das große Loch im Schal verschwand nach und nach, bis es schließlich ganz geflickt war.
»Fertig.« Du legtest ihm das Stück Stoff um die Schultern und zogst es hoch, so dass er wie sonst auch zur Hälfte dahinter verschwand. »Und zerfetz das gute Stück nicht gleich wieder.«
Er schwieg, eine Hand im weichen Fell des Schals. Kein Wort des Dankes, aber das hattest du auch nicht erwartet. So war Katakuri nun einmal und ändern würde er sich wohl auch nie.

The Taste of CopperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt