Ain't no chancer

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»Komm wieder her!«, riefst du, jagtest das kleine Monster Flambe durch den Flur des Hauses. Kichernd rannte sie davon, war unglaublich schnell für ihre kurzen Beine. Es war Zeit für ihr Bad, doch der kleine Teufel hatte es wirklich raus dich zum Narren zu halten. Schon seit zwanzig Minuten liefst du hinter ihr her, versuchtest sie einzufangen um sie in die Badewanne zu stecken. Flinkes kleines Ding, sie entwischte dir immer um Haaresbreite - bis du sie schließlich in den Südflügel gejagt hattest und du beinahe in Katakuri ranntest. Gerade so konntest du ihm ausweichen, während Flambe dir nur die Zunge heraus streckte und zwischen euren Beinen hindurch huschte.
»Brauchst du Hilfe?«, hörtest du das belustigte Kommentar deines Ehemannes. Genervt drehtest du dich zu ihm um und sahst ihn böse an.
»Fang du sie doch ein, Schlaumeier!«, blafftest du, völlig entnervt von deiner plötzlichen Mutterrolle. Mutter zu sein war anstrengend! Ein Lachen ließ dich genervt stöhnen und du sahst Flambe wieder einmal unter deinen Beinen durchlaufen. Du fuhrst herum, stolpertest doch unter all dem Frust über deine eigenen Füße und fielst nach hinten. In letzter Sekunde wurdest du von Katakuri aufgefangen, doch er schien genauso überrascht zu sein wie du. Eine unsanfte Landung war nur von seinen schnellen Reflexen verhindert worden – du fragtest dich, warum er deinen Sturz nicht ganz verhindert hatte.Er sah in die Zukunft, da hätte er doch von Beginn an wissen müssen, dass du fallen würdest?
Der Griff an deiner Taille wurde fester und du schlangst die Arme um seinen Hals, als er dich wieder auf die Beine zog. Für eine Sekunde verharrtet ihr beide in einer umschlungenen Position, keiner ließ los. Ihr wart euch so nah, viel zu nah. Du starrtest in die roten Augen, schlucktest nervös gegen deinen trockenen Mund an. 


Tu es.


Zu deinem Pech ließ er von dir ab, trat einen Schritt zurück. Verzweifelt randalierte dein Herz, konnte die Enttäuschung nicht fassen. Dann begann dein Gehirn wieder zu arbeiten und begriff die peinliche Situation. Verlegen strichst du dir das Haar aus dem Gesicht und sahst zur Seite.

»Danke.«
»Du solltest besser aufpassen.«
Wow, diese Situation war zum heulen peinlich. Eine seltsame Spannung lag in der Luft und keiner von euch beiden schien dem anderen in die Augen schauen zu wollen. Die Berührung war kurz und warf dich trotzdem völlig aus der Bahn: Deine Haut prickelte in der Erwartung, dass er noch einmal seine Hände an deine Taille legen würde. Das würde natürlich nicht passieren, das wusste dein Gehirn – doch dein Körper war ganz anderer Meinung.
»Oh scheiße! Flambe!«, fiel es dir plötzlich wieder ein und genervt verdrehtest du die Augen. »Dieses verdammte, zuckersüße Energiebündel!«
Du sahst noch einmal kurz zu Katakuri, besannst dich dann aber und liefst los um das kleine Monster einzufangen und in die Badewanne zu stecken. Du hattest genug zu tun, da brauchtest du dich nicht noch um dieses Gefühlschaos zu kümmern! 


»Große Schwester?«

»Mhm?«
Es hatte nur eine Lösung dazu geführt, dass Flambe ein Bad nahm – du hattest auch eines nehmen müssen. Sie hatte die ganze Flasche Schaumbad in die Wanne gekippt, so dass selbst du mit deiner großen Statur geradeso aus dem Schaum herausgucktest. Was tat man nicht alles dafür, dass das Kind sauber wurde!
»Du bist doch mit Katakuri verheiratet.« Ohje, was kam denn jetzt? »Und verheiratete Leute sich küssen sich doch.«
Kinder und ihre verdammte Ehrlichkeit! Was solltest du denn darauf nur antworten...?
»Nicht alle verheirateten Leute machen das.«, sagtest du ausweichend. »Manchmal ist es ein bisschen kompliziert.«
»Warum?«
»Katakuri und ich... Wir sind kein normales Paar.«, versuchtest du es ihr irgendwie zu erklären. »Wir haben nicht geheiratet weil wir uns geliebt haben.«
»Also liebst du ihn nicht?« Verdammt, dieses Mädchen stellte die richtigen Fragen. Gute Fragen, die genau ins Schwarze trafen. Liebtest du Katakuri? Du wusstest wie Liebe sich anfühlte und das zwischen euch war keine Liebe. Sicher, irgendetwas war da – nur war es undefiniert. Du konntest es nicht genau benennen, doch wie solltest du es einem Kind erklären?
»Wir sind Freunde.«, sagtest du schließlich.
»Oh. Okay.« Das war das schöne an Kindern – sie gaben sich mit den einfachsten Antworten zufrieden. Und leider hatte sie doch eine brennende Frage in dir entfacht: Konnte aus dem Undefinierten irgendwann Liebe werden?
Zum Glück hatte die wilde Verfolgungsjagd Flambe so erschöpft, dass sie beinahe augenblicklich einschlief nach dem Bad. Sie war so klein und wühlte sich doch jede Nacht durch dein Bett, so dass beinahe kein Platz für dich da war. Wie konnte ein so kleiner Mensch nur so viel Platz für sich beanspruchen?!
Gähnend klopftest du kurze Zeit später an Katakuri's Schlafzimmertür und wurdest auch direkt herein gebeten.
»Sie schläft endlich.«, sagtest du als du eintratst. Er saß auf dem Bett, den Rücken an die Wand gelehnt und ein Buch in der Hand. Der Schal lag griffbereit neben ihm, doch als er dich sah machte er sich nicht die Mühe seinen Mund zu bedecken. »Dass ein Kind so viel Energie hat, unglaublich.«
Du versuchtest nicht an den peinlichen Vorfall an diesem Tag zu denken, sonst würdest du dich sofort wieder im Gewächshaus einschließen. Dein Ehemann schien es ebenfalls zu verdrängen, sprach er dich doch nicht darauf an – zu deiner Erleichterung.
»Chiffon sagte, dass sie morgen wieder zurück nach Whole Cake Island kann.«, sagte er und sah wieder in sein Buch.
»Oh, Gott sei Dank!«, stöhntest du erleichtert auf und ließt dich auf die Bettkante sinken. Er folgte deiner Bewegung mit den Augen, hielt dich aber nicht davon ab. »Sie schafft mich.«
»Stell dich nicht so an.«, schnaubte er amüsiert und du sahst den Ansatz eines Lächelns an seinem Mundwinkel. Er hatte gut reden, er musste das kleine Monster ja nicht den ganzen Tag lang beschäftigen!
Wieder gähntest du herzhaft und sahst zu deinem Mann. Deine Augen wurden groß und du krochst ein Stück auf das Bett, um ihm das Buch aus der Hand zu ziehen.
»Du liest einen von Magda's Schundromanen?!«, fragtest du und konntest dir ein Lachen kaum verkneifen. Er verdrehte die Augen angesichts deiner offensichtlichen Belustigung.
»Ich habe die Bibliothek sicher sechs Mal durchgelesen.«, verteidigte er sich. »Da bin ich irgendwann bei diesem Dreck angekommen.«
»Das hab ich auch schon gelesen.« Du blättertest durch das Buch. »Es ist wirklich schrecklich.«
»Viel zu kitschig.«, stimmte er zu.
»Der heiße Typ rettet sie vor einem Drachen, das ist so ein Klischee!«, lachtest du. »Und dann fällt sie ihm um den Hals, weil er ihr großer Held ist.«
»Billig.«
»Sie muss ziemlich verzweifelt sein.«
Du begannst über den Unsinn im Buch zu lachen und Katakuri stimmte mit ein. Noch nie hattest du ihn lachen hören und es war eines der schönsten Dinge, die du je gehört hattest. Das tiefe, kratzige Geräusch aus seiner Kehle trieb dir eine Gänsehaut über den Rücken und du kamst nicht umhin, ihn anzustarren. Dein Herzschlag verdoppelte sich und das Kribbeln nahm zu.Verdammt, es war nicht nur eine einfache Schwärmerei.
»Was guckst du so?« Er riss dich aus deiner Trance und du sahst sofort verlegen zur Seite.
»Nichts, es ist nur... Seit der Hochzeit hat sich so viel verändert.«, erwidertest du und schenktest ihm ein sanftes Lächeln. »Ich konnte dich wirklich nicht ausstehen.«
»Ich fürchte das beruht auf Gegenseitigkeit.«, gab er zu und zog dir das Buch aus den Händen. »Du warst eine richtige Heulsuse, genau wie die hilflose Frau in diesem Schinken hier.«
»Ach komm, das ist einfach nur gemein.«, lachtest du und lehntest dich zurück. Seine Matratze war viel härter als deine, doch die Decke war wesentlich flauschiger. Wieder gähntest du.
»Oh, hast du auch das gelesen mit dem Mädchen auf dem Balkon? Die Familien konnten sich nicht leiden und trotzdem wollen sie unbedingt rummachen.«, fragtest du ihn und schnaubtest. »Der Text war so gestelzt.«
»Mhm.« Er klang müde, erschöpft von einem langen Tag. Das hattet ihr ebenfalls gemeinsam, denn auch dir fielen beinahe die Augen zu. Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen euch und du versuchtest mit aller Macht wach zu bleiben – doch zu dösen schien so verlockend...
»Bist du auch so fertig?«, fragtest du leise und machtest dir nicht die Mühe dein Gähnen zu verstecken.
Keine Antwort. Du sahst auf, nur um zu bemerken dass er tatsächlich eingeschlafen war. Noch dazu schnarchte er leicht, doch das fandest du eher liebenswert als störend. Dieser Mann war weit davon entfernt perfekt zu sein, soviel war klar. Warum nur ließ es dein Herz höher schlagen, wenn du die kleinen Fehler an ihm entdecktest? Allein, dass er in deiner Gegenwart eingeschlafen war bedeutete wohl eine enorme Portion Vertrauen dir gegenüber – du fühltest dich geschmeichelt. 


Das Gezwitscher der Vögel brachte dich am Morgen fast um den Verstand: Sie veranstalteten ein Höllenspektakel vor dem Fenster und bald wurde es dir zu bunt. Du setztest dich auf, das Haar zerzaust und einige Schlaffalten im Gesicht. Deine Bewegung hatte Katakuri geweckt, der neben dir lag, das Gesicht im Kissen vergraben.

»Scheiße...«, murmeltest du und riebst dir die Augen. Du warst nicht allen ernstes in seinem Bett eingeschlafen?! Auch er schien es in diesem Moment bemerkt zu haben und er warf dir einen müden, aber vorwurfsvollen Blick zu.
»Ernsthaft?«, fragte er.
»Ich war müde.«, versuchtest du dich zu rechtfertigen und konntest dir ein Lächeln kaum verkneifen. Langsam gewöhntest du dich an die Peinlichkeiten die dir passierten, sehr viel schlimmer konnte es nicht mehr werden. Allerhand dumme Sachen waren dir schon passiert, dich konnte nichts mehr schocken. »Und du bist zuerst eingeschlafen.«
»Großer Bruder! Ich habe Hunger!!«, schallte es durch den Flur vor seinem Schlafzimmer und für einen Moment warst du beeindruckt, wie Flambe so früh am Tag so energetisch sein konnte. Du sahst zur Seite, suchtest Katakuri's Schal auf dem Bett – doch er war nicht da. Wo war das Stück Stoff nur, dass seine Zähne versteckte? Hattest du es etwa im Schlaf vom Bett gewühlt, so dass es nun darunter lag? Eilig strecktest du den Kopf über die Bettkante, doch nirgends sahst du schwarzen Stoff mit weißem Pelz.
Du sahst auf, die Türklinke bewegte sich unter Flambe's Gewicht – sie war so klein, dass die einzige Möglichkeit Türen zu öffnen daraus bestand, dass sie sich an die Klinken hängte wie ein Äffchen.
»Wo ist mein Schal?«, fragte dein Ehemann, als er sich aufsetzte und gähnte. »Bevor Flambe am Ende für immer Albträume hat wegen mir.«
»Ich weiß es nicht!«, zischtest du und die Tür öffnete sich knarrend. Das Folgende war die wohl dümmste Panikreaktion deines Lebens: Du sahst zu Katakuri, der schützend mit dem Unterarm seine Zähne verstecken wollte und handeltest ohne nachzudenken. Deine Hände griffen seinen Nacken und du zogst ihn zu dir, Gesicht voran an deine Brust.
»Große Schwester! Du bist auch hier!« Keine Sekunde zu früh verschwand er in deinem Dekolleté, als Flambe auch schon ins Zimmer platzte. »Magda sagt ich soll Bruder Katakuri wecken! Das Essen ist fertig!«
»Schätzchen, tu mir einen Gefallen und geh frühstücken.«, scheuchtest du das Mädchen nach draußen. »Sofort.«
Flambe legte den Kopf fragend schief, nickte dann aber und hüpfte nach draußen. Du seufztest erleichtert auf – das war knapp!
»Lass los.« Oh. Oh!
Sofort ließt du von Katakuri ab und sprangst verlegen auf. Okay, das war mit Abstand das oberste Maß an Peinlichkeit das du ertrugst. Neben deinem Ehemann aufzuwachen war eine Sache, aber ihn zwischen deinen Brüsten zu haben eine ganz andere! Ein Loch im Boden wäre fantastisch, ein ganz tiefes Loch in dem du einfach verschwinden konntest.
»I-Ich sollte gehen!«, stammeltest du los und machtest auf dem Absatz kehrt um aus dem Raum zu rennen, schockiert und mit einem rasenden Herzen. 

The Taste of CopperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt