Essen und vergessen

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Zu Hause angekommen, lief ich sofort hoch zu meinem Bruder und klopfte an seine Tür, um ihm mitzuteilen, dass ich endlich wieder von der Schule zurück bin.

Nach einem müden "Ja." ging ich hinein und sah ein Bild vor mir, welches erklärte, warum sein Tonfall so erschöpft war. Max saß auf seinem Schreibtischstuhl inmitten von Notizen. Überall lagen offene Hefter, seine Haare waren verstrubelt und es stand eine Tasse halb voll mit Kaffe auf dem Boden. Leider gefährlich nahe, an seinen Heftern.

Mit seinem Blick immernoch starr auf den Zettel vor ihm gerichtet, sagte er nun zu mir:" Schwesterherz, was ist denn los? Wie du siehst, bin ich gerade wirklich sehr beschäftigt."

Wow, was war denn das? Seit wann lernt er? Habe ich was verpasst? Immernoch etwas überfordert antwortete ich ihm:" Ich wollte dir eigentlich nur Bescheid geben, dass ich jetzt wieder zu Hause bin und dich fragen, was du essen möchtest, da ich mir selbst gleich was machen werde. Aber jetzt mal was viel wichtigeres. Seit wann lernst du?"

Empört hob er nun endlich seinen Kopf und sah mich gespielt schockiert und böse an. "Also sage mir mal. Ich lerne immer!"

Ich musste kurz Kichern und ging nun auf ihn zu, um ihn einen Kuss auf die Wange zu geben. Liebevoll sah ich ihn an und sagte leicht belustigt:"Das weiß ich doch, Bruderherz. Ich lass dich dann mal hier alleine in deinem Chaos und mache mir etwas zu essen. Ich bringe dir dann einfach etwas von meinen Spaghetti hoch, okay?"

Ich hatte schon die Tür in der Hand und wollte gerade runter in die Küche gehen, als er mir noch hinterherrief:" Du bist die beste!"

Grinsend blieb ich stehen und schüttelte meinen Kopf nochmal belustigt hin und her, bevor ich mich nun endlich auf den Weg machte.

Ich rührte gerade in dem Kochtopf herum, als meine Mama durch die Tür kam. Die wohlige Hitze, welche immer am Herd entstand, erinnerte mich an die Tage, wo ich mit meiner Mama zusammen gekocht habe. Bei diesen seltenen Gelegenheiten lachten wir viel und vertrauten uns gegenseitig alles an. Jedoch konnten wir das nicht allzu oft machen, da entweder ich unterwegs war oder sie. Eigentlich vermisste ich so einen Moment. Das letzte mal, als wir zusammen gekocht hatten, war schon etwas her.

"Na Mäuschen. Was kochst du denn schönes?" fragte mich meine Mutter sanft. Mein Blick wanderte zu ihr und ich musste feststellen, dass sie heute wieder diesen wunderschönen, blauen, enganliegenden Pullover angezogen hatte. Lächelnd antwortete ich ihr:"Im Kochtopf sind Nudeln und gleich fange ich noch mit der Tomatensoße an. Möchtest du auch was?"

Meine Gedankengänge waren relativ einfach. Mama ist fast jeden Tag von früh bis spät arbeiten. Die wenige Zeit, die ihr hier zu Hause bleibt, nutzt sie um mit uns zu sprechen und ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden. Mein Bruder und ich liebten sie wirklich, jedoch schienen manchmal die tiefen, dunkelblauen Augenringe nur ein wenig von dem zu zeigen, wie erschöpft sie in Wahrheit war.

"Sehr gerne, Maus. Dann gehe ich jetzt gleich noch mit Mona raus." Nach ihrem Satz drückte sie mir noch einen Kuss auf die Wange und legte unserer Hündin das Halsband um. Als die beiden durch die Haustür schritten, stellte ich mich in den Flur und rief meinen Bruder, indem ich sagte:"Bruderherz, deck bitte mal den Tisch. Mama ist da und dann können wir zusammen essen."

Ich wartete noch eine Weile bis ich ein gedämpftes:"Ja, komme gleich." durch seine Zimmertür hörte.

Wenn wir ehrlich sind, machte es mich schon neugierig, warum Max aufeinmal mit Lernen anfing. Das Thema musste ja wirklich echt wichtig sein. Naja, vielleicht hat er jetzt einfach mal eingesehen, dass er einen guten Abschluss später brauchen würde.

Plötzlich klingelte es. Ich konnte mir schon denken, wer davorstand. Meine Hand berührte die kalte Türklinge und ich öffnete sie mit Schwung. Ohne meine Mama zu Wort kommen lassen, sagte ich zu ihr:" Na, Schlüssel vergessen? So wie immer."

Ertappt lächelte sie mich an. "Tja, du kennst mich einfach zu gut."

Als wir wieder in die Küche kamen, war der Tisch schon gedeckt und meine Familie setzte sich hin und aß.

Ich betrachtete sie. Jeden einzelnen. Erinnerte mich an seine oder ihre Schwächen, aber auch Stärken und war glücklich, diese Menschen in meinem Leben zu haben. Da gab es zum einen meine Mama, die sich für andere aufgibt und die gute Seele hier im Haus ist. Max liebt seinen Sport, jedoch liebt er noch mehr seine Familie und beschützt uns alle. Als letztes noch Mona. Selbst als Hündin ist sie sehr neugierig und offen.

In meinem Leben gab es in letzter Zeit häufiger diese Momente, wo einen die Dankbarkeit überrollt. Das jetzt gerade war so einer. Ich war einfach nur dankbar für diese Familie, dass es mir schier den Atem raubte.

Als wir alle fertig gegessen haben, wollte niemand aufstehen und so saßen wir noch eine ganze Zeit da und sprachen über unseren Tag.

Mit einem glücklichen und zufriedenem Gefühl lief ich hoch in mein Zimmer und legte mich auf mein Bett. Ich schaute wieder die weiße Decke an und dachte über meinen Tag nach.

Da fiel es mir wieder ein. Ruckartig setzte ich mich auf und ließ panisch meinen Blick durch mein Zimmer schweifen, um eine Uhr zu finden. Als ich sah, wie spät es ist, beruhigte ich mich etwas. Es wäre aber auch wirklich schlimm gewesen, wenn ich meine mysteriöse Verabredung verpasst hätte. Insgesamt hatte ich noch eine Stunde Zeit. Lang genug, um alles zu schaffen. Trotzdem erfasste mich die Aufregung, wegen dem bevorstehenden Treffen.

Verwundert über mich selbst, stand ich auf und nahm mir meine Kuscheljacke, um sie anzuziehen. Da wir Sommer hatten, waren die Abende von der Temperatur her angenehm. Ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Verabredung vergessen konnte. Naja, was heißt vergessen. Eher unterdrücken. Es musste eindeutig an dem Essen mit meiner Familie gelegen haben.

Da hatte ich nicht überlegt, was ich heute abend machen würde, sondern nur in dem Moment gelebt.

Schnell zog ich mir noch meine Schuhe an und durchsuchte meinen Schulranzen nach dem Zettel. Vielleicht brauchte ich ihn.

Kurz überflog ich die Zeilen und meldete mich bei meinem Bruder ab. Er nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis und so verschwand ich durch die Tür.

Das einzige, was jetzt noch schief gehen konnte, war, dass wir von unterschiedlichen Treffpunkten redeten.  

Die Geschichte der wahren Liebe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt