Ein kleines Mädchen

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Miri und ich bogen gerade in die letzte Seitenstraße ein, als wir das Krankenhaus sahen. Meine beste Freundin wohnte nämlich hier in der Gegend und kannte dementsprechend auch Abkürzungen, welche ich niemals im Leben gefunden hätte.

Ich drückte die Eingangstür auf und roch den typischen Geruch für ein Krankenhaus. Ich mochte das nicht! Es erinnerte mich immer daran, wie viele Leute schmerzen hatte und ihnen manchal gar nicht geholfen werden konnte. Genauso erinnerten mich weiße, sterile Räume immer an ein Krankenzimmer. Ich vermied es eigentlich, hier her zu gehen. Doch jetzt konnte ich nicht anders. Außerdem war das Kind meines Bruders ja auch etwas schönes.

Bei den ganzen schrecklichen Eindrücken war ich wohl stehen geblieben, da Miri mich einfach an die Hand nahm und zu dem Zimmer zweihundertdreiunddreißig zog, wo Ella drinn lag. Sie wusste, dass ich mich in Krankenhäuser einfach unwohl fühlte.

Miri lächelte mich noch einmal an, bevor wir anklopften. Gleich darauf rief eine leise, sanfte Stimme "Herein." Das musste Ella sein.

So betraten wir den Raum und ich erschrak etwas. Ella war total verändert. Ihre blonden Locken waren verstrubbelt und wirkten, als wären sie noch nicht einmal mit einem Haargummi zu bändigen. Ihre grünen Augen wirkten verklärt und nicht mehr so strahlend wie früher. Das musste wahrscheinlich an der Belastung liegen. Jedoch das, was man wirklich auf den ersten Blick sah, war, dass sie einen kugelrunden Bauch hatte. Die Decke hob sich an einer bestimmten Stelle schon sehr stark an. Selbst ein Blinder würde mittlerweile wissen, dass sie schwanger war.

Nach dem ich sie also kurz gemustert hatte, begrüßte ich sie. Genau wie Miri das schon vor mir getan hatte.

Mit bedachten Schritten lief ich zu Ella an das Bett heran und nahm zart ihre Hand in meine. "Wie geht es dir?" Sie lächelte mir leicht zu und sagte:"Wenn wir ehrlich sind, dann schlecht. Mir ist übel. Ich habe Schmerzen und ich wünsche mir,  dass die Kleine endlich herauskommt."

Beruhigend schaute ich sie an. "Du hast es ja bald hinter dir. Mein Bruder hat gesagt, dass du morgen eine Flüssigkeit gespritzt bekommst, welche die Wehen bei dir auslösen soll und ehe du dich versieht,  hält du dein kleines Mädchen in den Armen."

Panik schlich sich in ihre Augen, als sie mir gestand, dass sie Angst davor hatte. Aber nicht vor den Schmerzen. Nein. Sie würde immerhin sämtliche Leiden für ihr Kind in Kauf nehmen, sagte sie mir. Ella hatte Angst, weil Max und sie sich noch nicht einmal für einen Namen entscheiden konnten. Wie sollte das denn weitergehen, wenn die Beiden sich jetzt schon uneinig waren?

Wieder einmal redete ich ihr beruhigend zu, bis ich bemerkte, wie sie sich entspannte. Dann konnte ich endlich meine Frage stellen, die mich schon beschäftigte, seitdem ich in das Krankenzimmer getreten bin. "Ella, wo ist denn Max?"

Ella sagte mir den Grund. Er war kurz bei uns zu Hause, weil er mal duschen musste und Kleidung wechseln. Sie versicherte mir aber, dass er eigentlich gleich wiederkommen müsste, da er nun schon eine Stunde weg war. Ich nickte, als Zeichen dafür, dass ich es verstanden hatte.

Ich schaute über meine Schulter zu Miri, welche mich anlächelte und dann wieder zu Ellla blickte. Es war das erste Mal, dass sie heute etwas zu Ella sagte. Die Beiden kannten sich ja schon und pflegten ein gutes Verhältnis. Darauf war mein Bruder besonders stolz. Er sagte immer: Wenn sich meine Freundin sogar gut mit der besten Freundin von meiner Schwester versteht, habe ich doch eigentlich die Frau fürs Leben gefunden.
Das fand ich schon immer süß.

Ella, Miri und ich unterhielten uns noch etwas, bis mein Bruder hineinkam. Er war das komplette Gegenteil zu Ella und sah dementsprechend auch frisch und nicht so abgekämpft aus. Er kam sofort zu mir und umarmte mich. "Na, Schwesterherz. Ich dachte schon, dass du mich irgendwann besuchen kommst. Es war nur etwas verwunderlich, dass du dich so lange nicht mehr gemeldet hast."

Ich sah ihn direkt in seine blau grauen Augen, welche meinen so identisch waren, und entschied, dass ich Max jetzt nicht noch ein weiteres Problem aufdrücken konnte und dachte mir schnell etwas anderes aus. "Ja, Also ... ich war in letzter Zeit ziemlich im Stress mit Schule und so weiter und wollte dich immer anrufen. Wirklich! Nur ist es eben zu spät gewesen. Ich hatte ja viel Hausaufgaben zu erledigen. Aber das ist doch eigentlich jetzt egal. Ich bin doch hier."

Er musterte mich und ich wusste, dass er meine Lüge durchschaut hatte. Es lag bestimmt daran, dass ich eine kurze Pause mitten im Satz drinn hatte. So ein Mist! Mein Bruder soll sich jetzt erstmal um die Geburt und vorallem mal den Namen seines Kindes kümmern, anstatt sich auch noch um mich Sorgen zu machen.

Max hatte auch Miri begrüßt und war nun bei seiner hochschwangeren Freundin angekommen, welcher er einen Kuss auf die Stirn gab. Die Beiden waren schon süß zusammen.

Er setzte sich auf die Bettkante und sah mich an. Wieder musterte er mich und ich wusste, was jetzt kommen würde. Noch ehe ich es verhindern konnte, sagte er seine Frage mit einem wissenden Unterton in der Stimme, welcher mir klarmachte, dass ich nun wirklich die Wahrheit sagen musste, da Max  mich daurchschaut hatte. "Lia, was ist los?"

Kopfschüttelnd senkte ich meinen Blick kurzzeitig auf den Boden, um dann zu Miri zu schauen. Ich musste jedoch feststellen, dass sie genauso interessiert war, wie mein Bruder und seine Freundin.

Na toll! Ich konnte meinem Bruder einfach nichts vormachen. So gab ich mich geschlagen und fing an mich zu erklären. "Naja, es ist so, dass Ash eigentlich vor ein paar Tagen mit mir Schluss gemacht hat. Ich war am Boden zerstört und habe immernoch Liebeskummer." Gequält verzog ich mein Gesicht, bevor ich weitersprach. "Ich konnte nicht schlafen und mir ging es wirklich schlecht. Ich habe alle um mich herum vergessen und empfinde auch wirklich große Schuldgefühle, wenn ich darüber nachdenke, wie sehr ich euch vernachlässigt habe. Ich wollte wieder auf den richtigen Weg kommen. Jedoch muss ich die ganze Zeit darüber nachdenken, dass er mir bei der Tanzstunde am Mittwoch gesagt hat, dass er mich noch liebt. Ich kann das nicht vergessen und weiß nicht, was ich machen würde, wenn sich alles aufklärt. Ich möchte auf keinen Fall nochmal so verletzt werden, aber auch nicht die Liebe meines Lebens verpassen, nur weil ich zu sehr an vergangenen Erinnerungen leide. Ach, ich bin so verwirrt!" Beim letzten Satz warf ich meine Hände in die Höhe.

Miri und Max schauten mich nur verdutzt an. Ja, ich hatte selber bemerkt, wie verzweifelt meine Stimme am Ende klang.

Mein Bruder fing sich jedoch relativ schnell wieder und sagte nur: "Lia, jeder hat eine zweite Chance verliebt und wenn er es wirklich ernst gemeint hat, wird er sich hüten dich nochmal zu verletzen. Denn du bist wundervoll und in der kurzen Zeit ohne dich, wird er auch merken, wie schlimm sich das für ihn anfühlt. Ich bin eigentlich relativ zuversichtlich, dass ihr beide gerade nur ein großes Missverständnis habt, was ihr irgendwie überwinden werdet."

Ella nickte zustimmend, während ich über seine Worte nachdachte. Max hatte recht. Ich sollte noch Hoffnung haben. Genau das sagte ich ihm dannn auch:" Du hast recht, Bruderherz. Ich sollte noch Hoffnung haben."

Mit einem Mal fuhr Ella hoch und schlug Max halb, weil sie so aufgeregt war. "Ich weiß wie wir unser Kind nennen. Hope, da sie selbst als ungeborenes dazu beiträgt, den Menschen in diesem Raum Hoffnung zu schenken."

Mein Bruder strahlte förmlich und stimmte seiner Freundin da voll und ganz zu.

Die Geschichte der wahren Liebe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt