Pinselstriche

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Ash

Ich schloss die Tür hinter mir und schaute auf mein Bild. Ich konnte jetzt nicht einfach weitermalen und so tun, wie als wäre nichts gewesen.

So passierte es, dass ich mich auf meinem Schreibtischstuhl hinsetzte und einfach nur meine Gedanken schweifen ließ.

Wie konnte er nur soetwas überhaupt vorschlagen? Ein Internat in Frankreich. Schon alleine der Gedanke daran, machte mich wütend. Er hatte keine Ahnung, was er mir damit antun würde. Ich kann doch nicht ohne Lia einfach so hier weggehen. Ich hatte nämlich vor, sie für den Rest meines Lebens zu behalten.

Ich nahm das Gespräch zwischen uns beiden Stück für Stück auseinander. Der letzte Satz von meinem Vater war es, welcher mich so stutzig machte.

"Es ist das Beste für Lia." Er kannte sie doch noch nicht mal. Wie konnte er da soetwas behaupten. Oder meinte er, dass ich als sein Sohn einfach ein zu schlechter Umgang wäre mit einem zu schlimmen Charakter für so ein liebliches und süßes Mädchen.

Nach diesem Gedanken musste ich schlucken. Ja, ich gebe zu, dass ich schon manchmal solche Sachen gedacht hatte, aber doch nur, weil ich nicht verstehen konnte, wie sie mich so mögen konnte.

Nun zweifelte ich selbst an mir, war ich so ein schlechter Mensch?

Nein. Oder? Nein! Sobald ich an mir selbst zweifeln würde, fing alles an den Bach runter zu gehen. Das hatte ich schon bei meiner Mutter erlebt. Da hatte ich auch die Fehler bei mir gesucht, obwohl nicht nur ich allein dafür verantwortlich war, sondern auch mein Vater. Nur sah ich es ein und er nicht. Er gab schon immer die Schuld den anderen.

Aber vielleicht hatte er dieses eine Mal recht und ich war einfach nicht gut genug für so eine wundervolle Person, wie Lia eine war. Liebe machte ja bekanntlich blind und was ist, wenn ich einfach nur zu blind wäre, um zu sehen, wie schlecht ich für sie war?

Ich verfluchte meinen Vater schon jetzt. Er hatte es schon wieder geschafft mir dieses eine, was ich mir aufgebaut hatte, kaputt zu machen. Er würde alles tun, um uns beide auseinanderzubringen und das verletzte mich mit am meisten. Ein Vater sollte für sein Kind da sein und sich nicht gegen die Wünsche dessen stellen. Ich wusste ja schon immer, dass wir nicht die perfekte Familie waren, aber heute wurde mir diese Tatsache tausendmal mehr in mein Gesicht geschleudert.

Ich war versucht nach meinem Handy zu greifen und meine Freundin anzurufen, um ihr mein Leid zu klagen, aber sobald ich es in den Händen hielt, lief dieser verfluchte Satz, wie in Dauerschleife, in meinem Gehirn herum.

"Du bist einfach nicht gut genug für sie. Du bist einfach nicht gut genug für sie."

Ich konnte einfach nicht auf ihren Namen klicken, allein wegen dieser Tatsache. Somit war ich ganz allein mit meinen Problemen, aber dies war nicht weiter schlimm. Ich hatte es schon eine ganze Weile so geschafft, da würde es jetzt auch funktionieren.

Frustriert über die Situation drehte ich mich mit meinem Stuhl in Richtung des halb fertigen Bildes. Man spürte förmlich die Liebe, welches in die Entstehung geflossen war. Umso trauriger machte es mich nun, dass dies nie wieder so sein könnte. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit, denn ich hatte gerade für mich beschlossen, dass ich sie lieber von weitem beobachten konnte, als sie nie mehr zu sehen.

Und so entschied ich mich, sie in Ruhe zu lassen. Ich wollte sie nicht verlieren und wenn es die einzige Möglichkeit war, bei ihr zu bleiben, dann würde ich dies tun.

Tiefe Traurigkeit überkam mich. Ich hatte wirklich in der Illusion gelebt, endlich einmal mir etwas aufgebaut zu haben, was nie vergehen könnte und nun musste ich feststellen, dass unsere Zeit schon abgelaufen war.

Ich begriff nicht, wie Lia mich überhaupt so verliebt ansehen konnte. Wenn sie nur wüsste, was demnächst passieren würde...

Immernoch war mein Blick auf das Bild geheftet und je länger ich es ansah, desto mehr steigerte sich meine Wut.

Auf diese Entscheidung, die ich treffen musste. Auf die Liebe, welche mir bald fehlen würde. Auf mein Leben. Und vorallem, auf mich selbst, weil ich einfach nicht wusste, wie ich ihr und hauptsächlich mir nach so einer Aktion noch in die Augen schauen sollte.

Die Wut rauschte durch meinen ganzen Körper. Es fing an mit der Vorstellung, sie nie mehr umarmen zu dürfen. Sie nie mehr küssen zu können. Nie mehr, ihr lachen zu hören, welches nur für mich bestimmt war.

Wie sollte ich das nur ertragen können?

Als ich über diese Frage nachdachte, verwandelten sich meine Stimmung in puren, blinden Zorn.

Ich wusste nicht, wie schnell es geschah, als ich einen dicken Borstenpinseln in der Hand hielt und in braune Farbe tunkte, welche ich zuvor angemischt hatte.

Mir einer Wucht zog ich mit einem wutverzerrten Gesicht einen Strich, über das gesamte Bild.

Einmal damit angefangen, konnte ich nicht mehr aufhören und meine Bewegungen wurden immer schneller, hektischer. Das wiederum verursachte Striche, wo die braune Farbe an den Seiten entlanglief und somit keine saubere Linie mehr bildete.

Ich verschandelte das Bild immer mehr und irgendwo wusste ich, dass nur so meine Wut abgebaut werden konnte. Diese Wut, welche mich jetzt schon innerlich zerfraß.

Ganz langsam fing sie an zu nagen, als ich die bisher schwierigste Entscheidung in meinem Leben traf. Jetzt, war sie schon soweit, dass ich nur noch von dieser getrieben wurde.

Schnell atmend stand ich nun vor dem Bild und hielt den Pinsel in der rechten Hand. Meinen Blick hatte ich gesenkt, da ich mir das Bild noch nicht anschauen konnte. Zuerst musste ich mich beruhigen.

Meine Atmung verlangsamerte sich wieder, bis sie fast normal war. Erschöpft fuhr ich mir mit der rechten Hand über mein Gesicht, was keine so gute Idee war, da ich nun höchstwahrscheinlich viel braune Farbe im Gesicht hatte, welche mir die Nässe auf diesem zeigte.

Ich schüttelte nur über mich selbst den Kopf und fand, dass ich bereit war. So geschah es, dass ich meinen Kopf langsam hob und was ich dort sah, zerbrach mich fast innerlich.

Fast alle leuchteten, lebensfrohen Farben wurden jetzt fast vollständig von diesem braun verdeckt. Es wirkte dreckig und unterdrückte die schöne Wirkung des Bildes.

Es spiegelte genau meinen Tag und meine Gedanken wieder. Denn aus schönen Erinnerungen und purer Liebe entstand etwas einzigartiges, was die Drohung meines Vaters zerstörte und mein ganzes Leben nun dreckig wirkte und nicht mehr so rein.

Als ich dies erkannte, ließ ich meinen Kopf hängen und verlor eine Träne. Nur eine einzige, welche ihre Spur auf meiner Wange zog.

Die Träne zeigte mir, wie überfordert ich mit dieser Situation war. Kein Jugendlicher sollte so etwas durchmachen müssen und mit einer wilden Wut, welche sich langsam zu Entschlossenheit änderte, wischte ich die Träne weg und schwor mir keine mehr zu verlieren, denn bis jetzt war noch nichts verloren.

Die Geschichte der wahren Liebe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt