10. Kapitel- Mutter, Vater, Kind

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Es war kalt und es fühlte sich an, als stünde er im dichten Nebel. Er wusste nicht, wo er hinsollte und konnte auch keinen gangbaren Weg sehen. Emily hatte den Nebel vertrieben und helles Licht gebracht, aber jetzt, wo sie wieder weg war, war es noch schlimmer als zuvor. Unheimliche Abneigung durchflutete ihn bei der Vorstellung, wer dort in dem Raum wartete und auch wenn er versprochen hatte, ihnen eine Chance zu geben, konnte er nicht verhindern, dass er gehen wollte, solange er noch konnte. In diesem Moment war ihm klar, dass er ihnen keine Chance geben wollte, weil sie es auch nicht getan hatten. Warum nicht? Weil sie keinen Jungen gewollt hatten. Hätten sie Emily auch weggeben, wenn sie ein Emil gewesen wäre? Ekel überkam ihn bei der Vorstellung und das machte es nicht besser. Tausend Gedanken rasten ihm durch den Kopf, als Jenna die Tür aufstieß. Das Wohnzimmer, das jenseits dieser Tür lag, war nicht zu vergleichen mit Marcus Salon. Ein runder Esstisch stand unkoordiniert mitten im Raum und zwei nicht zueinander passende Sofas standen vor einem Regal, das alles beinhaltete, nur keine Bücher. Es war vollgestopft mit verschiedenster Deko und der kleine Fernseher in der Mitte, stand verloren dazwischen. Mehr nahm er nicht wahr von dem Raum, denn an dem Tisch, saßen zwei Fremde. Irgendwas in seiner Brust zog sich zusammen, aber er merkte es kaum. Ihm war schwindelig und es rauschte so laut in seinen Ohren, dass er nicht hörte, was Jenna sagte, als sie sprach. Unverhofft traf sein Blick den der Frau und das freundliche Lächeln fiel ihr aus dem Gesicht. Er hatte keine Kontrolle über seine Züge, er hatte keinen Platz in seinem Kopf um sich überhaupt Gedanken darüber zu machen, wie viel Wut oder Hass oder Abscheu in seinem Blick lag. Er wusste nur, dass er nichts mit diesen Leuten zu tun haben wollte. Wäre Clara nicht in seinem Rücken gewesen und hätte ihm den Fluchtweg verstellt, wäre er gegangen, aber so sah er einfach die Frau an, die nach ein paar Sekunden mit bebenden Lippen das Gesicht abwandte. Es lag Schmerz darin, soviel erkannte er doch und es tat ihm nicht leid, er fühlte sich nicht mal schuldig dafür. Egal wie viel Schmerz einer von ihnen fühlte, es konnte niemals auch nur annährend an das heranreichen, was er fühlte und gefühlt hatte. Es war ihre Schuld. Niemandes sonst. Die Frau fuhr sich über die Augen und was auch immer dort in seiner Brust verkrampft war zog sich noch weiter zusammen. Es machte den schreienden Schmerz noch ein wenig stärker und so wandte er auch endlich den Blick ab. Als nächstes fiel er auf den Mann, der auf die Füße gekommen war. Sein Vater. Der Gedanke allein war ein Schlag in den Magen. Er wollte ihn nicht ansehen. Er starrte lieber auf die Tischplatte, während das Rauschen so laut wurde, dass er glaubte, jeden Moment einfach aus seinem Kopf zu verschwinden. Ihm war schwindelig und er fühlte sich, als stünde er auf sehr unebenem Boden.

„Rowan!" Die Stimme war fest und deutlich und sie beendete das Rauschen. Der Boden wurde wieder fest und seine Sicht wurde wieder klar. „Es ist schön, dich zu sehen", sprach er weiter. „Wie geht es dir?"

Rowan antwortete nicht. Er konnte sehen, dass er bebte, als er auf seine Hände sah, aber er fühlte es nicht. Jeder Ton, den dieser Mann sagte, war ein Schlag ins Gesicht. Es schnürte ihm die Luft ab und weckte eine unheimliche, hilflose Wut.

Der Mann trat einen Schritt weiter auf Rowan zu und steigerte in ihm das Bedürfnis zu gehen. Wäre Clara doch nur aus der Tür gegangen! „Ich hoffe unser Brief ist angekommen." Er lächelte und sah kurz hilfesuchend zu Jenna. „Ich bin Ben... Benedict, aber... Ben", stellte er sich unbeholfen vor und hielt Rowan etwas verspätet die Hand hin. Egal wie sehr er es versucht hätte, er hätte diese Hand nicht annehmen können, selbst wenn er Kontrolle über seinen Körper gehabt hätte. Die Wut schwoll weiter an und machte es schwieriger sich zu beherrschen. Er versuchte seinen Körper unter Kontrolle zu bringen und das Gefühlswirrwarr zu verstehen oder wenigstens seine kreisenden Gedanken zum Stoppen zu bringen. Atmen, dachte er, und atmete tief ein, aber es half nicht wirklich, es zeigte ihm nur erneut, wie eng es in seiner Brust war und wie weh ihm alles tat. Als sein Vater verstand, dass er seine Hand wohl nicht nehmen würde, benutzte er sie stattdessen, um ihm auf die Schulter zu klopfen. Unverhofft kehrte damit das Leben in Rowans Körper zurück und er schlug die Hand zur Seite und machte einen Schritt weg von ihm, gewann so allerdings leider auch mehr Abstand zu dem rettenden Ausgang, der noch immer von Clara versperrt wurde, die ihn traurig ansah. Ihr Blick machte das grässliche Gefühl noch ein wenig schlimmer und beinahe hätte er einen erstickten Laut hervorgebracht, holte aber stattdessen tief Luft um nicht endgültig die Fassung zu verlieren. „Wir wollten nur das Beste für dich... für... für uns alle" Benedicts Freundlichkeit wackelte bedenklich. Offenbar drohte er die Fassung zu verlieren und erstmals sah Rowan ihn direkt an. Die Antwort kam von ganz allein, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte.

Allegiance- HexenjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt