Unterwegs

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Die Sonne ist zwischenzeitlich aufgegangen und ich habe keine Ahnung, wie lange wir nun schon schweigend nebeneinander herlaufen. Mittlerweile hat Granger es auch aufgegeben, sich alle paar Meter nach der Ruine umzudrehen, da diese nun schon eine ganze Weile nicht mehr zu sehen ist. Sie hat auch endlich mit der Heulerei aufgehört, worüber ich durchaus ein wenig dankbar bin, denn das hat zum einen genervt und zum anderen muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich mit weinenden Mädchen einfach überfordert bin. Und Granger gehört nicht gerade zu der Sorte Mädchen, bei denen ich überhaupt in Erwägung ziehen würde, sie zu trösten.
Ich habe Hunger. Mehr als das. Mittlerweile ist an der Stelle, an dem normalerweise eigentlich mein Magen sein sollte, ein riesiges Loch und ich frage mich, ob sie genauso hungrig ist.
»Wenn wir nicht bald was zu essen bekommen, dann sterbe ich. Ich schwöre...«, brumme ich vor mich hin, ernte jedoch lediglich einen amüsierten Blick von ihr.
»Der menschliche Körper kann bis zu einem Monat oder länger ohne Nahrung auskommen, solange genug Wasser vorhanden ist. Keine Sorge, du stirbst noch nicht.« Oh, ich weiß aber wer bald ins Gras beißen wird, wenn sie weiterhin solche besserwisserischen Aussagen trifft.
»Sag bloß, du hast keinen Hunger? Das nehme ich dir nämlich nicht ab.«
»Natürlich habe ich Hunger, aber in den letzten Monaten habe ich mir angewöhnt, den zu unterdrücken. Wir waren so oft irgendwo im Nirgendwo ohne Essen, da machen mir zwei Tage ohne Nahrung noch nichts aus. Sei froh, dass wir hier Frühjahr haben und die Bäche nicht zugefroren sind«, belehrt sie mich und läuft unbeirrt weiter. Mittlerweile frage ich mich, ob es hier überhaupt irgendetwas anderes gibt, außer endlose Wiesen, Berge und Felder. Bisher haben wir noch nichts gesehen, was auf Zivilisation hindeuten könnte. Noch nicht einmal eine Hütte oder sonst irgendwas. Außerdem habe ich kein Gefühl für die Entfernung, die wir jetzt schon zurückgelegt haben. Es fühlt sich vermutlich weiter an, als es tatsächlich ist. Um ehrlich zu sein interessiert es mich brennend, was genau sie damit meint, als sie sagte, sie hätte sich in den letzten Monaten angewöhnt, den Hunger zu unterdrücken, aber ich verkneife es mir, sie danach zu fragen.
»Und du bist dir sicher, dass wir auf Aberdeen zusteuern?«, frage ich stattdessen, denn ich zweifle ehrlich gesagt etwas an ihrem Plan.
»Nein, natürlich nicht!« Sie schnaubt abfällig und verdreht die Augen. »Aber, wenn wir tatsächlich dort rausgekommen sind, wo auch eigentlich Hogwarts wäre, dann müssten es etwa sechzig Meilen bis Aberdeen sein. Vielleicht etwas mehr. So genau ist der Standort von Hogwarts ja nicht bekannt und ich kann es nur ungefähr eingrenzen.« Sie scheint zu überlegen und ich bin, obwohl ich es nicht möchte, doch leicht beeindruckt. Ich meine, wer würde schon auf die Idee kommen zu recherchieren, wo genau Hogwarts liegt? Mich hat das all die Jahre noch nicht interessiert und irgendwie scheint dieses Wissen tatsächlich eine Lücke zu sein, wenn ich jetzt genauer darüber nachdenke. Aber Moment...
»Sechzig Meilen?«, will ich nun fast schon empört wissen und ich spüre, wie sich jegliche Motivation schlagartig verabschiedet. Ich bleibe stehen. »Wir sollen sechzig Meilen laufen und das, ohne genau zu wissen, ob wir überhaupt richtig sind?« Ja, ich weiß schon, ich habe sie dazu genötigt, die Ruine zu verlassen aber da wusste ich auch noch nicht, was auf mich zukommen würde. Meine Füße tun mir ja jetzt schon weh und ich bin wirklich sehr nahe dran, mich einfach auf den Boden zu werfen, wie ein bockiges Kind.
»Das müssten wir in vier oder fünf Tagen eigentlich schaffen. Dazu sollten wir aber weitergehen«, sagt Granger und sieht mich auffordernd an und ich tu mir im Moment wirklich sehr leid. »Wir können natürlich auch umdrehen und schauen, ob die Türe wieder da ist. Das wären dann nur etwa...« Sie schaut auf ihre Armbanduhr und runzelt die Stirn. »... vier Stunden und achtundvierzig Minuten.« Ich starre sie einen kurzen Moment nieder und ärgere mich über ihre Überheblichkeit. Seit wann ist Granger so provokant? Aber leider hat sie zu allem Überfluss dennoch Recht, was ich ihr natürlich nicht sage.
Ohne weitere Worte gehe ich also weiter und wir setzen schweigend unseren Weg fort. Ein Weg, von dem wir nicht einmal wissen, wohin er uns führt, wohlgemerkt. Wir halten einmal kurz an einer kleinen Quelle um etwas zu trinken, doch allzu lange verweilen wir dort nicht. Irgendwann treffen wir auf einen kleinen Pfad und Granger meint, wir sollten diesem Folgen, denn die Chance, dass wir so irgendwann auf eine Straße treffen, sei hier zumindest mal gegeben.

Da und Fort - die geschenkte ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt