Dienstag, 24. April 2018 - 11 Tage nach meinem Tod

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Jimin war wieder vorbeigekommen. Seine Besuche waren das Highlight meiner Tage. Ich traute mich gar nicht mehr mein Grab zu verlassen, weil ich Angst hatte ich könnte ihn verpassen. Mein Herz machte wie immer ein riesen Sprung, als ich ihn auf mein Grab zulaufen sah. Er sah besser aus. Heute lächelte er sogar ein bisschen. Seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben. Sie sackten zwar nach wenigen Sekunden wieder nach unten, aber das zählte. Jimin hatte wieder gelächelt. Dieses Wissen machte meinen Tag gleich noch viel besser, obwohl seine Nachricht mich ein bisschen bedrückte.

„Weißt du noch, diese Audition bei der ich mitgemacht habe, für dieses Musical. Sie wollen mich. Ich habe tatsächlich eine Stelle als Tänzer angeboten bekommen. Weißt du noch wie aufgeregt ich war. Dieses Musical wandert durch das ganze Land, jeden Monat wäre ich wo anders, in einer anderen gigantischen Halle vor einem riesen Publikum. Ich hatte mir das so sehr gewünscht. Aber ich werde absagen. Ich kann jetzt nicht von hier weg. Ich kann nicht weg von dir.", wieder Mal lachte er kurz bitter auf, „Ist das nicht traurig? Ich komme jeden Tag hierher und rede mit mir selbst. Und jetzt sage ich auch noch meine Chance auf den großen Durchbruch deshalb ab. Ich fühle mich so dumm, aber gleichzeitig fühlt es sich auch richtig an. Es fühlt sich nicht so an, als würde ich nur mit mir selber reden. Wenn ich hier her komme, fühle ich mich dir näher und das will ich nicht aufgeben. Außerdem kann ich mir einfach nicht vorstellen, wie ich fröhlich über die Bühnen dieses Landes tanzen soll, wenn du nicht bei mir bist. Das wäre einfach falsch. Ich mache einfach weiter als Taehyungs Background Dancer. Da verdiene ich gut genug, um die Miete zu bezahlen. Ich muss halt einfach bei den sonstigen Ausgaben etwas sparen. Ich kann die Wohnung nicht aufgeben. Sie ist zu groß und zu teuer für mich alleine, aber all unsere Erinnerungen wohnen dort. Die Wohnung zu verlassen, wäre so wie wenn ich dich verlassen würde, Kookie. Ich vermisse dich so schrecklich."

Ja, ich erinnerte mich an die Audition. Er hatte sich monatelang darauf vorbereitet. Er hatte ununterbrochen dafür trainiert, bis sein ganzer Körper wund war. Manchmal hat er nicht mal Pause gemacht um was zu Essen. Aber jeden Abend, wenn er nach Hause kam, überraschte ich ihn mit einem dampfenden Essen und einer Fußmassage oder einem anderen Wellness-Programm. Das war sein großer Traum und obwohl ich es überhaupt nicht gut fand wie sehr er sich überarbeitete, konnte ich ihn nicht davon abbringen. Deshalb tat ich alles dafür, um ihn auf meine eigene Art und Weise zu unterstützen. Ich tat alles dafür, dass sein Körper so viel Ruhe bekam, wie nur irgend möglich, damit Jimin sich nicht selbst kaputt machte. Er hatte diese Tendenz nicht wirklich darauf zu hören was sein Körper ihm sagte, wenn er auf irgendetwas hinarbeitet. Und jetzt war ich nicht mehr da, um mich um ihn zu kümmern und darauf zu achten, dass er genug aß. Irgendwie ja schon witzig, ich war derjenige der tot war, aber trotzdem war ich auch derjenige, der sich Sorgen machte. Ich wollte nicht, dass Jimin diese Chance wegen mir wegwarf. Klar, ich wollte auch nicht, dass er wegging. Seine Besuche waren das einzige, was das hier einigermaßen aushaltbar machten, aber ich wollte auch nicht zwischen Jimin und seinem Leben stehen. Ich wusste es war sinnlos, aber trotzdem legte ich meinen Arm auf Jimins Schulter und flüsterte ihm leise ins Ohr: „Jimin, sag das Musical bitte nicht ab. Du hast so hart dafür gekämpft und du hast es tatsächlich geschafft. Das ist ein Grund zu feiern Jimin. Ich bin nicht sauer auf dich, wenn du gehst. Bitte überlege es dir nochmal. Ich liebe dich."

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