Freitag, 27. April 2018 - 14 Tage nach meinem Tod

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Ich wusste, dass er nicht kommen würde, aber irgendwie machte es mich trotzdem fertig. Irgendetwas in mir glühte immer noch voller Hoffnung. Ich war naiv, das wusste ich. Aber ich wünschte mir einfach so sehr ihn wiederzusehen. Stattdessen war ich mal wieder ganz alleine. Diese Stille schnitt sich in mein Herz und ließ mich von innen bluten. Ich bin nie gut damit klargekommen alleine zu sein. Ich habe so viel Liebe in mir und ich muss sie irgendjemanden geben. Wenn ich alleine bin fühlt es sich an, als würde ich mein Herz wegsperren. Mein Brustkorb war schon immer zu klein für meine Gefühle. Deshalb passten Jimin und ich so gut zusammen. Ich brauchte jemanden, den ich Liebe geben konnte und Jimin war eine Person, die viel Zuneigung brauchte. Er brauchte jemanden, der ihm im Arm hielt und ihm Schutz gab. Er ist kein Kind, er kann gut auf sich selber aufpassen, aber er ist einfach so eine Person, die noch jemand anderen an seiner Seite braucht um komplett glücklich zu sein. Es war aber keine einseitige Beziehung, so wie das gerade klingt. Jimin war auch immer für mich da. Ich habe Jimin geliebt wie keinen zuvor und er mich. Wir waren Seelenverwandte.

Doch jetzt waren wir getrennt. Und die Einsamkeit drückte schwer auf meine Schultern. Betrübt schaute ich mich auf dem Friedhof um. Ich hatte nicht nur keine Person zu der ich gehen konnte, ich hatte auch kein zu Hause mehr. Ich hatte nichts mehr. Nichts, außer diesem grauen, kalten Stein und der feuchten Erde vor mir. Ich schätze das bisschen Dreck hier ist jetzt mein zu Hause. Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich fast lachen. So weit bin ich gesunken, dass ich ein Grab als mein zu Hause beschreibe. Ein Zuhause sollte Wärme und Sicherheit spenden. Aber Wärme konnte ich nicht mehr spüren und was bedeutet schon Sicherheit, wenn man schon alles verloren hat?

Erbärmlich. Dieses „Haus" war erbärmlich und ich bin es auch! Ich starrte mein Grab hasserfüllt an, bis ich es nicht mehr aushielt. Wütend trat ich gegen den Stein und bereute das sofort, als der dumpfe Schmerz durch meinen Fuß schoss. „Verfluchte Scheiße!", fluchte ich. Ich konnte nicht mehr. Ich konnte nicht länger hier sein. Ohne zu wissen wohin rannte ich weg. Ich lief bis ich am anderen Ende vom Friedhof war. Dann brach ich weinend zusammen. Ich weinte bis ich keine Tränen mehr in mir hatte. Und auch als ich nicht mehr weinen konnte blieb ich einfach an der Stelle sitzen an der ich zusammengebrochen war. Ich saß dort, bis es dunkel wurde. Es war schon später Abend, aber es waren immer noch vereinzelt Menschen auf dem Friedhof unterwegs. Nur wenige Meter von mir entfernt, zündete eine alte Frau mit grauen Haaren Kerzen an und stellte sie auf ein Grab mit einem hölzernen verschnörkelten Kreuz. In Gedanken versunken beobachtete ich, wie die orangenen Flamen im Wind flackerten. Irgendwie schaurig und doch so schön. Ich weiß nicht was es war, aber irgendwas an den Kerzen zog mich magisch an. Ich krabbelte rüber und streckte vorsichtig meine Hand aus. Ich legte meine Finger direkt in die Flamme, aber sie züngelte um mich herum ohne mich zu verbrennen. Kalt. Ich konnte die Hitze nicht spüren. Trotzdem faszinierte mich die Kerze irgendwie.

Ich bin nicht besonders stolz darauf, was ich als nächstes tat. Ich wusste es war falsch, aber ich konnte nicht widerstehen. Ich sehnte mich so sehr nach Wärme und auch wenn die Kerze mir das nicht geben konnte, so hielt sie wenigstens eine Illusion aufrecht. Ich griff nach der Kerze und nahm sie mit. Ich klaute das Grablicht und stellte es an mein eigenes Grab. Die Kerze konnte mir zwar keine körperlich spürbare Wärme liefern, aber irgendwie kam mir mein Zuhause jetzt ein bisschen einladender, ein bisschen wärmer vor.

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