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Er ging zu einem kleinen Schrank in der Ecke, welcher mir bis jetzt nicht aufgefallen war und nahm Teller heraus. Dann ging er hinaus, wahrscheinlich um auf dem Feuer zu kochen. Ich fand das alles irgendwie so aufregend, denn zuhause musste ich einfach nur irgendetwas aus einer Plastikverpackung nehmen, in einem Topf oder einer Pfanne erhitzen und fertig. Hier war einfach alles so anders, aufwendiger. Das machte es spannender. Ich wollte fragen, ob ich zuschauen durfte, aber er war schon draußen, deshalb legte ich mich wieder auf das Bett und schloss die Augen, nur für einen kurzen Moment...

Ich wachte von dem Knallen einer Tür auf. Ich schreckte hoch und sah Isaac mit je einem Stück Fleisch auf den zwei Tellern hereinkommen.

"Oh, habe ich dich geweckt?" Ich schüttelte den Kopf, aber anscheinend nahm er mir das nicht ab.

Isaac vertraute mir nun soweit, dass er meine Fußfessel öffnete und die nächste halbe Stunde aßen wir zusammen, während ich ihm über die Zukunft berichtete. Ich erzählte ihm auch, wie es dazu kam, dass Isaac mich im Alter von acht Jahren bereits einmal gesehen hatte. Was ich jedoch verschwieg, war die Tatsache, was ich getan hatte, um diese Bestrafung zu verdienen. Ich merkte ihm an, dass er es wissen wollte, aber er fragte nicht nach. Ich hatte ihm nun auch wirklich genug erzählt.

"Was war das eigentlich für ein Fleisch? Es war sehr lecker.", fragte ich und deutete auf die knochigen Überreste.

"Eichhörnchen." Sofort hatte ich das Gefühl würgen zu müssen und Isaac lachte sich wieder einmal über meine für ihn seltsam vorkommende Art halb tot.

Dann wurde er wieder ernst.

"Hör zu, wenn du möchtest, darfst du diese Woche bleiben, solange bis du wieder zurückgehst." Hat er das wirklich gesagt? Ich würde überleben, ich würde meine Mutter wiedersehen! Aber sosehr ich auch hier bleiben wollte, bei Isaac... es ging nicht.

"Ich würde dein Angebot nur zu gerne annehmen, aber ich kann meine Freunde nicht im Stich lassen. Denn ich kann nicht von dir verlangen, auch noch auf sie aufzupassen wie ein Babysitter. Das ist nicht dein Kampf." Isaacs Miene verfinsterte sich.

"Ich kann euch allen helfen."

"Isaac, ich-"

"Nein, Quinn, das ist meine Entscheidung, ich möchte euch helfen, dir helfen."

"Warum?" Warum wollte er ausgerechnet mir helfen? Ich würde ihm nichts als Ärger einbringen. Wenn es nicht so lief, wie wir uns das vorstellten, könnte auch er auf dem Scheiterhaufen enden.

Plötzlich musste ich an Kennedy denken und was auch er für mich aufgegeben hat. Warum tun die Menschen um mich herum das ständig? Sich für mich aufopfern, als wäre ich etwas so Kostbares, dass man es um jeden Preis beschützen muss. Ich wollte doch niemanden verletzen. Aber ich konnte ihn nicht aufhalten, selbst wenn ich es wollte. Das deprimierte mich am meisten daran.

"Weil ich dich mag und ich will nicht, dass dir etwas geschieht. Du bist etwas Besonderes." Verlegen schaute ich zur Seite.

"Du kennst mich doch erst seit ein paar Stunden."

"Das spielt keine Rolle." Es spielte sehr wohl eine Rolle, doch ich wusste, dass er mir nicht mehr zuhörte. Ich sah es in seinen Augen. Er war abwesend. Aber wie konnte ich das so genau sehen? Ich konnte das auch bei Freya, aber sie kannte ich schon mein ganzes Leben. Vielleicht hatte Isaac Recht. Es spielte keine Rolle, wie lange man sich schon kennt, denn das Gefühl reichte aus.

Joyce Montgomery saß wippend auf dem Boden vor ihrem Fernseher und starrte in das Bild, welches sich vor ihr abspielte.

Vielleicht zehn oder mehr Teenager kauerten im Kerker auf dem nassen Boden und blickten ins Leere. Man sah ihnen an, dass sie alle bereits aufgegeben hatten. Sie hatten keine Hoffnung mehr, dass sie leben würden. Joyce hatte keine Ahnung wann deren Prozess sein würde, aber sie würde nicht dabei zusehen. Das konnte sie nicht. Ihr Körper und ihre Seele waren schon genug geschädigt, als dass sie sich das auch noch antun könnte. Nach einigen Minuten, in der nichts weiter geschah, berührte sie mit ihren Fingern das Hologramm des Fernsehers. Sie zoomte weg und zum Vorschein kamen viele kleine Quadrate. Joyce suchte diese nach ihrer Tochter ab und als sie sie fand, zoomte sie dort wieder heran.

Quinn war so eine schöne, starke, junge Frau geworden. Wenn sie sie nun betrachtete, wie sie sich gerade auf den Weg machte, kamen ihr die Tränen, obwohl sie davon überzeugt war, dass Quinn es schaffen würde. Die Sorge um ihre Tochter war doch zu riesig. Quinn hatte ein zu großes Herz, als dass sie ihre Freunde im Stich gelassen hätte. Auch wenn Joyce es besser gefunden hätte, wenn sie mit diesem Isaac Moore in der Hütte geblieben wäre. Dort wäre sie sicherer gewesen, aber ihre Mutter wusste nur zu gut, was Quinn für ein Dickkopf sein konnte. Außerdem war Freya, die in den letzten Jahren ebenfalls wie eine Tochter für sie wurde, mit Quinn an ihrer Seite doch auch um einiges sicherer.

Joyce zoomte wieder weg und an einer anderen Stelle wieder hin. Freya saß mit den anderen, deren Namen Joyce wieder vergessen hatte, an einem Feuer. Fehlte da nicht jemand?

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Na Leute? Was denkt ihr? Wer von Quinns Freunden fehlt?

Blue Witch #redroseaward2019 #magicheartaward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt