Kapitel 1

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Ein frustrierter Blick in den Spiegel. Nur aus den Augenwinkeln wurde ihr bewusst, dass die Frisur eher einem Tag auf dem Sofa angemessen war, aber unter keinen Umständen sollte man damit das Haus verlassen.

"Mir ist durchaus klar, mit wem ich das Interview führe.", erklärte Nala soeben mit gespielt ruhiger Stimme und zupfte kritisch an den verwaschenen Strähnen, "Mittlerweile hab ich es auch verstanden."

Bedacht lauschte sie den Worten ihrer Freundin, nickte ein paar Mal und holte tief Luft, mehr um sich selbst zu entspannen, im Angesicht des Kommenden.

"Ich erzähle dir hinterher wie es gelaufen ist. Natürlich!", fügte Nala noch einmal hinzu, legte auf. Das Handy landete direkt am Ladekabel. Der Akku sollte noch ein wenig reichen.

Zehn Minuten. Hibbelig ging sie auf und ab. Ihr Blick streifte die überfüllten Wände. Dutzende Fotos hafteten daran, wild durcheinander. Die roséfarbene Tapete war nur an wenigen Stellen zu sehen. Alle Aufnahmen zeigten Nala selbst und ihre beste Freundin und Mitbewohnerin Rosalie. Wären ihre Nerven nicht zum Zerreißen gespannt, würde sie die Erinnerungen Revue passieren lassen, allerdings waren die Gedanken ein einziger Strudel.

Stattdessen griff sie zur Tasche, überflog die Habseligkeiten sicherheitshalber ein weiteres Mal, ehe sie die Wohnung im fünften Stock verließ. Die Tür fiel ins Schloss und ohne den Aufzug zur rechten Seite des Flures zu beachten, wandte Nala sich zum Treppenhaus. Auf dem Weg nach unten war genug Zeit die Kopfhörer zu entwirren.

Die große Tür, welche den Eingang des Wohnungsblocks markierte, scharrte wie üblich über die Kacheln. Sich die braunen Haare aus dem Gesicht streichend, startete sie das erste Lied. Die Welt wurde stumm.

Erstaunlich einsam war es in dem Bus, welcher geradewegs zur Universität führte. Längst war die Zeit der Nachmittagsvorlesungen vorbei und die ersten abendlichen fanden erst in wenigen Stunden statt. Vertraut war der Weg, welcher sich durch die Straßen schlängelte wie eine Raupe. Und erstaunlich kurz.

Mit jedem weiteren Meter, welcher sich das Gefährt der Haltestelle näherte, wuchs die Anspannung. Das Gebäude kam in Sicht. War sie zu spät? Oder gar zu früh? Wartete er schon oder würde er eventuell nicht auftauchen? Fragen, welche immer wiederkehrten und mit jeder einzelnen wuchs das Gefühl der Übelkeit.

Das Herzklopfen wurde unerträglich. In einem stetigen Rhythmus immer gegen die Rippen. Kogong Kogong, schoss es Nala unwillkürlich durch den Kopf. Passend, jedoch beeindruckend unhilfreich. Mit schweißnassen Händen rollte sie die Kopfhörer ein.

Mit einem Zischen hielt der Bus, senkte sich ab. Mehrere ältere Damen schoben gelassen ihren Rollator über die nun niedrige Barriere, unterhielten sich dabei köstlich amüsiert.

"Ich hoffe zwei Flaschen Sekt reichen!", kicherte die eine soeben. Ihr Haar war schneeweiß, bauschig wie Zuckerwatte. Die Lachfalten um ihre Augen ließen sie wie eine freundliche Schildkröte wirken.

"Ich hoffe, du meinst für jede von uns!", erwiderte die andere, deren grau durchzogenes Haar den Stoff ihrer Bluse streifte, während ihre mit Adern durchzogenen Hände den Rollator energisch vorwärts trieben. Zusammen fingen sie an zu giggeln, bekamen sich fast nicht mehr ein.

Sie entfernten sich, gingen in die andere Richtung. Einzig die Uni selbst lag nun links der Haltestelle. Nur über die Rasenfläche, schräg gegenüber in das Gebäude D.

Ein kuppelförmiges Haus, zwischen all den anderen. Von oben herab blickend könnte man die Einrichtung zuerst mit einer Kirche verwechseln. Berüchtigt war das Gebäude dafür, dass durch die Kuppel keinerlei elektronische Strahlung gelang, sprich war der Empfang gleich null. Da nützte das beste Datenvolumen nichts.

Unter ihren Füßen war das Gras federnd, trocken. Die letzten Tage hatte es nicht geregnet. Ein Sommer wie im Bilderbuch.

Nalas Hände krallten sich an die Tasche. Langsam verwandelten sich ihre Knie in Pudding. Ihr Körper fixierte sich darauf nicht zu stolpern. Die blaue Jeans war frisch gewaschen und das graue Oversized Shirt würde mit Grasflecken aussehen wie ein Malerkittel, in welche man in der Grundschule gesteckt wurde.

Langsam, mit angehaltenem Atem ging sie um das runde Bauwerk herum. Zwar war rundherum alles gläsern und somit einsehbar, doch waren die gelben Vorhänge fast komplett zugezogen. Innen lag alles in einem kühlen Schatten. Die Tür stand offen.

Ein letztes Mal tief Luft holen. Neugierig, vor Spannung bebend trat Nala näher, durch die Tür.

Zuerst sah sie nichts, der runde Raum schien verlassen.

Stühle und Tische waren durcheinander, manche einzeln, wieder andere zusammengeschoben in Gruppen. Vor ihren Füßen lag eine leere Packung Kaugummi. Einzig ein Fenster war geöffnet. Leicht bauschte sich der Vorhang im Luftzug.

Ihr stockte der Atem. Im hinteren Bereich, an einer kleinen Tischgruppe. Beinah könnte man über ihn hinwegblicken, doch hatte man ihn erstmal bemerkt, war seine Präsenz unmöglich zu übersehen.

Den Blick gesenkt auf das Handy in seiner Hand. Locker auf dem Stuhl, ein Bein über das andere gelegt, sanft mit dem Fuß wippend. Ein lockeres schwarzes Oberteil, hochgekrempelt bis zum Ellbogen.

Die schwarze Basecap hatte er tief in die Stirn gezogen. Aus Erfahrung wusste Nala, dass der Schirm auf der Unterseite von leuchtend grüner Farbe sein würde.

Leichte Reflexionen waren zu erkennen, wo die Sonne sich in feinen Strahlen durch die Vorhänge schlich und auf das Glas der Brille traf.

Eine Hand fuhr hoch, strich kurz, völlig gedankenverloren über den Bart mit dem leicht rötlichen Ton in den blendenden Licht, welches herein fiel. Die Augen waren weiter auf das Display gerichtet.

Nala schluckte schwer. Ein Traum? Nein dafür fühlte sich das schlagende Herz und das aufkommende flaue Gefühl im Magen der Aufregung zu real an. Mit trockenem Hals holte sie Luft und trat näher ...

Fifty Shades of ForsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt