Kapitel 19 -greifbare Nähe

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In den nächsten Tagen merkte ich mir jeden möglichen Fluchtweg und zeichnete auf Servietten Pläne von dem Lager. Kate tat das Gleiche, sie zeichnete von den Klassenzimmern Pläne, da ich vom Gruppenunterricht ausgeschlossen bin und Einzelunterricht erhalte, wegen dem "Vorfall" in Miami.

An einem Abend telefonierte ich mit den Jungs, sie waren besorgt, ob ich es schaffe und ich zweifelte zunehmend selbst, doch zum Glück muss ich das nicht alleine tun, Kate ist ja bei mir. Ich vermisse die Jungs und den Van sehr. Ich will zurück. Zurück zu den Jungs. Zurück zu Liam.

Wir sehen uns bald wieder. In zwei Tagen bist du draußen. Bis dann, Kleines.

Jace' und Cas' Worte hallten in meinem Kopf wieder. Tränen befreiten sich aus meinen Augen und kullerten ihren Weg meine Wangen runter. Liam's Haltung gegenüber mir, als wir uns verabschiedeten. Er wollte Stärke beweisen, doch am Telefon klang er alles andere stark. Ich bekam das Gefühl, dass er und die Jungs mich vermissten, doch ich muss ihnen beweisen, dass ich das schaffe.

Bald ist es soweit, ich brauche nur noch Messer und irgendeine Waffe für Kate. Normale Küchenmesser würden es für den Anfang tun oder ich suche in den Büros der Lehrer. Aber wann soll ich suchen, ich habe keine Zeit mehr.

"Emma?", Kate erschien in meinem Sichtfeld und lächelte mich an, " Ich hab was gefunden, komm mit.", sie nahm mich am Arm und zog mich in den Schlafsaal. Ich sah mich vorsichtig um, aber war erleichtert, dass wir alleine waren. Sie holte ein Geschirrtuch unter ihrem Kissen hervor und gab es mir. "Ein Handtuch?", ich sah sie fragend an und betrachtete das Bündel in meinen Händen, doch plötzlich blitze etwas glänzendes auf. "Nein, hast du nicht?", ich holte das Messer hervor und betrachtete es. "Wow, du bist die Beste! Wie hast du das gemacht? Nein, sag's nicht, das ist egal, wir gehen heute Nacht.", ich strahlte den restlichen Tag mit der Sonne um die Wette und bemühte mich nicht mehr im Unterricht und in den Arbeitsschichten, ich wollte nur noch hier raus und heute Nacht ist es soweit.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. 14:38. Noch 10 Stunden, dann würden wir gehen. Kate tat mir gleich und versäumte drei von sieben Unterrichtsstunden, um ihren Rucksack zu packen und um in der Küche Nahrung für den Fall zu stehlen.

Eine Durchsage ertönte in den Klassenzimmern und Kate schreckte auf, sie ließ Äpfel fallen und lauschte gespannt, "Kate Smith und Emma Miller sofort ins Büro des Rektors!". Kate schoss Röte ins Gesicht und bekam ein mulmiges Gefühl im Magen.

"Emma und Kate, ich bin ettäuscht von euch.", der Rektor begrüßte uns mit diesen Worten und ich wechselte mit Kate unsichere Blicke. Scheiße, wir sind aufgeflogen. 

"Ihr habt mich und die Lehrer in diesem Lager schwer enttäuscht. Was habt ihr euch nur gedacht?", er blickte uns enttäuscht an, aber sein Oberkörper war angespannt und seine Hände zu Fäusten geballt, als würde er gleich ausholen. Ich spürte das kalte Metall des Messers unter meiner Uniform an meinem Rücken und war jederzeit bereit es hervorzuholen. Ich war in Alarmbereitschaft. Ich hatte keine Angst mehr und stellte mich allem, was jetzt auf mich zukommt und blickte zu Kate, ihr liefen Tränen die Wangen runter, sie zitterte am ganzen Körper, bemerkte aber nicht, dass ich sie anblickte.

"Ihr habt eine Strafe verdient. Ihr seid für 72 Stunden vom Unterricht ausgeschlossen. Was habt ihr euch nur bei einer solchen Schandtat gedacht?", er blickte mir tief in die Augen. In seinem Blick zeichnete sich Wut ab und ich fragte mich, worüber er so enttäuscht war.

Wenige Augenblicke später hörte ich einen Schrei von Kate und der Rektor lag er am Boden und ich stand mit einem Fuß auf ihm und mit einer Hand hatte ich seinen Arm in die Höhe gezogen. Er hatte uns schlagen wollen. "Emma, was soll das?", der Rektor brüllte unter mir und ich wusste nicht, was gerade geschehen war. Plötzlich breitete sich Panik in mir aus und ich tastete unbemerkt an meinen Rücken, doch das Messer war noch. "Emma, geh runter von mir!", der Rektor brüllte, doch ich ignorierte es, stattdessen sagte ich: "Tun Sie das nie wieder. Man schlägt keine Mädchen. Kate und ich sind schwer enttäuscht." Ich zog seinen Arm höher, doch drückte mit meinem Fuß seinen Oberkörper zum Boden. Ich ließ los und nahm Kate an der Hand und verschwand mit ihr in der Abstellkammer, wo ich mit den Jungs telefoniere.

"Emma, warum hast du das getan?!", Sam schrie durch das Telefon, "er wird dir jetzt Polizisten an den Hals hetzen, hast du daran gedacht?!" "Sam, alles ist gut, bis heute Nacht.", ich lächelte Kate an und auch in ihren Augen sah ich Freunde. "Was, ist es schon so weit? Soll Leon jetzt los?", Sam war merklich beruhigt und ich hörte einen Handschlag im Hintergrund. Ich kicherte und bejahte seine Frage, wir verabschiedeten uns und ich konnte mein Glück kaum fassen. Kate fiel mir in die Arme und bedankte sich tausend mal. "Danke Emma, du bist die Beste!", sie lachte, die Freude stand ihr im Gesicht geschrieben.

Es war schon 20:46 und so langsam begann die Nachtruhe. Draußen ertönte eine Sirene und ich hörte Männer mit dunklen Raucherstimmen lachen. Im Gang ertönten schwere Schritte und die Mädchen rannten auf die Gänge raus. Ich folgte ihnen und quetschte mich zusammen mit Kate nach vorne durch. Polizisten kamen mit einem jungen Mann herein und blieben in der Mitte des Ganges stehen. Sie hatten seine Augen vorher verbunden und enthüllten jetzt das geheimnisvolle Gesicht. Das blutrote Tuch fiel zu Boden und mein Atem stockte. Liam. Alles in mir bebte und mein Herz pochte mir bis zu den Ohren. Auch sein Atem stockte, als er mich sah, sein Oberkörper versteifte sich, man erkannte, dass sich sein Beschützerinstinkt hervorgeschlichen hat. Die Schüler um mich herum tuschelten und ich hörte schon, wie sich einige die wildesten Geschichten um sein Erscheinen ausdachten. Ich lachte in mich hinein und war irgendwie stolz, dass er zu mir gehörte und er nur mich anblickte.

Vor einigen Tagen haben wir Tests durchgeführt, um die Wirkungsweise unserer genetischen Veränderungen zu testen und die Ergebnisse haben gezeigt, dass alle Jungs übernatürlich stark, schlau und schnell sind. Da wir als Gruppe unterwegs sind, hat sich bei allen der Beschützerinstinkt entwickelt und sie haben alle das Bedürfnis mich beschützen zu wollen. Bei Sam und Cas ist er am stärksten ausgebildet, ich fand das Ergebnis ironisch gegenüber der Tatsache, dass Sam mich hasste und nur das Nötigste mit mir sprach. Außerdem hat sich durch die Pillen der Anführercharakter von Liam sehr stark entwickelt und die Jungs hören unwillkürlich auf Liam und befolgen Anweisungen von ihm.

Liam formte mit seinen Lippen ein Hallo, scheinbar bemerkte es keiner und ich lächelte bis über beide Ohren. Er war wirklich da.

"Lasst mich durch!", der Rektor zwängte sich durch die Reihen von jungen Mädchen und Jungen. "Na sieh mal einer an, wen haben wir denn da?", der Rektor hatte ein verschmitztes Grinsen aufgesetzt und ich hasste ihn mit jeder Sekunde mehr. Ich sah, wie Liam genauso fühlte, seine Augen waren zusammengekniffen und auf seiner Stirn formte sich ein V. Er war wütend, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dieser Mann machte sich lustig über ihn und das konnte er gar nicht leiden, Liam wollte sich losreißen, um ihn anzugreifen, doch die Polizisten hatten ihn fest umklammert. "Meine lieben Schüler, seht ihn euch an. So hilflos dieser Mann, was treibt er sich auch auf unserem Gelände rum? Mein Lieber was hast du denn getan?", er drehte sich zu Liam und sah ihn verschmitzt an. Liam wandte sich ab und sah mich an, in seinen Augen war eine Art Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach mir? Nein, das kann nicht sein, oder?  Am liebsten würde ich loslaufen. Zu ihm. Er war in greifbarer Nähe und doch so unerreichbar. "Führt ihn ab.", der Rektor machte eine Handbewegung und sah Liam an, als wäre er mehr wert. Dieses arrogante Schwein. Ich würde am liebsten - ich sollte mich beruhigen, ich muss mich jetzt konzentrieren. "Gute Nacht, Schüler.", der Rektor rieb sich seinen Arm und zuckte zusammen, als er die Schulter traf. Kate und ich wechselten wissende Blicke aus und lächelten. Die Schüler trennten sich wieder und waren so schnell gegangen, wie sie gekommen sind.

Verboten - Schicksal und VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt