Caro - Kapitel 8

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Warum war die Pause nur so kurz? Fünf Minuten später standen die fünf vor ihrem Haus und trennten sich in die verschiedensten Richtungen. Caro hatte Glück und musste nur ein Haus weiter, wo die Percussion & Latin Jazz-AG probte. Alle anderen waren schon da, was den Moment ein wenig peinlich machte, als sie die Tür hinter sich schloss und vor allem von Hannes, der auch in der AG spielte, Blicke im Rücken beziehungsweise in seinem Fall auf ihrem Po spürte. Bei dem Gedanken schoss ihr sofort die Röte ins Gesicht, sodass sie schnell die Klangstäbe von ihrem Stuhl nahm, sich hinsetzte und sich die bereits von der Vormittagsprobe aufgeschlagenen Noten ansah. Genauer gesagt waren es keine Noten, sondern Orientierungen zum Einsatz, wie sie in der Percussion AG üblich waren. Es war ein neues Stück, Dear Mister Smith, und Caro waren noch einige Stellen unklar. Doch ihr Lehrer, Herr Traut, bestand darauf, das Stück erst einmal durchzuspielen, dann könne man ja weitersehen. Caro war das „erst einmal durchspielen" schnell leid geworden, schließlich waren die Stücke in der Percussion AG verhältnismäßig sehr lang und dementsprechend ermüdend, wenn man die richtigen Einsätze nicht kannte. Doch Caro bekam es laut Herr Traut gut hin, die Einsätze zu erwischen und die zahlreichen Symbole zu deuten. So stand ein x für Einsatz, ein gerader Strich für ein abruptes Ende usw. Nach einem Jahr in der Percussion AG wusste sie einiges Unentbehrliche über die Mitspieler sowie Herrn Traut. Sie kannte die Namen und Klangweisen der verschiedenen Instrumente, aber auch Zwischenmenschliches wie zum Beispiel zwischen Herr Traut und der Pianistin, die sich nach Caros Vermutung näher als erlaubt standen. Viele angenehme Stunden wollte sie nicht missen. Doch diese Stunde würde nicht dazugehören, wenn es weiterging wie jetzt, dachte Caro. Ihr war es egal, wie gut sie laut Herrn Traut spielte - Die Struktur des Stücks sowie das Stück an sich wollten sich Caro nicht erschließen. Sie spielten es oft durch. Caro hatte mittlerweile eine Taktik erlernt, trotz vieler Wiederholungen jedes Mal voll dabei zu sein. Sie stellte sich jedes Mal eine andere Person vor, die vor ihr saß und ihr zuhörte. Einmal wählte sie Hannes aus – das einzige Mal, dass sie perfekt durchspielte. Caro musste über Hannes' Patzer in genau diesem Durchlauf umso breiter grinsen. Ihr Wille, es dem arroganten und perversen Mistkerl so richtig zu zeigen, war gelungen. Auch als Herr Traut ihr einen missbilligenden Blick zuwarf, schaffte sie es nicht, das von Sekunde zu Sekunde breiter werdende Grinsen von ihrem Gesicht verschwinden zu lassen. Als sie Hannes' abfallende Laune bemerkte musste sie noch stärker Grinsen. Tatsächlich tat es ihr für Hannes überhaupt nicht leid. Herr Traut, dem der Unmut über das Spannungsverhältnis zwischen den beiden vom Gesicht abzulesen war, startete einen neuen Durchgang. Diesmal war Hannes derjenige mit dem fehlerfreien Durchlauf, weswegen sich Caro über den ganz und gar nicht gelungenen Durchlauf so sehr ärgerte, dass Herr Traut letzten Endes sein Ziel erreichte und das Grinsen von Caros Gesicht verschwand. Taten ihr die Wangen weh!

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