Carters Sicht:
Ich konnte es eigentlich noch gar nicht fassen, da ich es tatsächlich geschafft hatte, dass sich Charlotte Hampton bei mir freiwillig entschuldigt und das noch nicht mal unhöflich. Ich musste die restliche Stunde grinsen, da ich mich irgendwie gut fühlte.
Das lag nicht nur an ihrer Entschuldigung, sondern auch an ihrem Verhalten danach. Es war fast so, als wäre sie enttäuscht gewesen, dass wir nicht über solche Sachen redeten, wir waren schließlich auch keine Freunde.
Irgendwann im Biounterricht verlor ich dann langsam das Interesse an diesem Gedanken und konzentrierte mich auf meinen Biologieaufsatz. Immerhin musste ich die letzten Stunden noch genießen, bevor Charlie wieder in meinem Gartenhaus auftauchte und es wieder so enden würde wie gestern. In den Unterrichtsstunden und in der Mittagspause hatte ich wenigstens mal frei von ihrem gesamten Erscheinungsbild.
Irgendwie hätte ich es doch besser wissen müssen, oder? Schon als die Tür zum Fotoraum geöffnet wurde, fragte ich mich, wer sich hier rein verirrt hatte und als sich dann die Tür zur Dunkelkammer öffnete und ich Charlies schlecht gelauntes Gesicht erblickte, konnte ich nur seufzen und mich einfach wieder zu meinen Bildern umdrehen.
Wenn sie schon freiwillig zu mir in die Dunkelkammer kam, musste ihr Tag echt scheiße sein. Sie schob ein paar Mappen und Ordner beiseite und ich musste mich zwingen, sie nicht anzuschnauzen. Dann hüpfte sie halbwegs elegant auf die freie Fläche auf den Tisch und sah zu mir rüber. „Wusstest du, dass Miss Prinston verheiratet ist? Wer heiratet denn bitte so eine Olle Kuh?"
Ich runzelte die Stirn und arbeitete weiter. Die nächste Viertelstunde musste ich mir doch tatsächlich ihren Schultratsch anhören und langsam wunderte ich mich über mich selbst, da ich sie nicht einmal dran hinderte.
Irgendwann hatte sie sich anscheinend ausgelästert, denn sie lehnte sich stumm an die Wand und drehte am Deckel ihrer Wasserfalsche. Sie seufzte: „Ich hab keine Lust mehr." Jetzt sah ich sie das erste Mal richtig an: „Auf was?"
Sie machte eine ausholende Armbewegung: „Auf dieses gesamten Scheiß hier. Ich hasse die High School." Ich zog eine Augenbraue hoch: „Spricht da gerade der angeknirschte Teil von Jaspers Trennung oder der Charlie Hampton Teil?"
Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an: „Es gibt keinen angeknirschten Teil, ich meine, ich hasse nicht die High School direkt. Ich hasse die Menschen." Ich lachte und hob eine Fotolupe an mein neu erstandenes Bild: „Oh ja, der angeknirschte Teil."
Zu meinem Erstaunen lächelte sie sogar, als sie mir ihren bösen Blick zuwarf. Ich drehte mich zu ihr: „Warum?" Sie sah mich an und ich stellte fest, dass sie heute vollkommen ungeschminkt war. Okay, ich hatte keine Ahnung ob sie vollkommen ungeschminkt war, weil ich keine Ahnung vom Schminken hatte, aber sie trug schon mal keinen Lidschatten und diesen schwarzen Strich unter und über ihrem Auge.
Sie wirkte irgendwie viel menschlicher so und ich war kurz abgelenkt von dem kräftigen Grün, das ihre Augen jetzt ausstrahlten. Sie blinzelte: „Ach, keine Ahnung. Ich hab dieses ganze Schubladending so satt."
Ich stütze mich am Tisch ab: „Ich will diese tolle Unterhaltungsatmosphäre ja nur ungern zerstören, aber warst du nicht ein Teil dieser Schubladen?" Anstatt sauer zu werden, sah sie zu Boden: „Eben. Wir stecken uns alle in Schubladen und erwarten dann von uns selbst, dass wir da auch reinpassen. Nehmen wir mal dich."
Ich hob die Hände: „Wow, lass mich da raus." Tat sie natürlich nicht. „Warum hören die Leute nicht auf, dich Freak zu nennen? Weil du auf diesen Namen hörst. Denk ja nicht, mir fällt das nicht auf. Wann immer jemand Freak sagst, hebst du den Kopf. Genau wie ich, wenn jemand Cheerleader erwähnt. Oder Jasper. Ich meine, ich bin mir nicht sicher, ob du mehr als der Freak bist, aber ich würde liebend gerne mehr als die Cheerleaderin sein. Oder immerhin mehr als Jasper."
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"Ich hasse dich mehr."
RomanceKompliziert. Das war vielleicht gerade das richtige Wort, um Charlotte Hamptons und Carter Jones' Leben zu beschreiben. Herauszufinden dass der eigene feste/beste Freund schwul ist und Charlie ein ganzes halbes Jahr betrogen hat und das jetzt so zi...