Kapitel Elf

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Charlies Sicht:

Vielleicht hätte ich Carter davor Fragen sollen. Vielleicht hätte ich gar nicht erst den Vorschlag machen sollen. Es war neun Uhr morgens, Samstag. Der Familienausflug-Samstag. Ich saß auf meinem Bett und starrte gegen die Wand. Vielleicht würde Carter ja gar nicht mitkommen. Warum machte ich mir denn plötzlich so große Sorgen?

Ich seufzte und zog eine kurze Jeans und ein weißes lockeres Top an, über das ich mein dunkelrotes Sweatshirt warf. Ich sah mich eine ganze Weile im Spiegel an. Rot war meine Lieblingsfarbe, aber ich besaß kaum rote Sachen. Und auch jetzt fühlte ich mich irgendwie komisch. Ich zog mein dunkelblaues Sweatshirt hervor und tauschte mein rotes dagegen.

Ich fühlte mich zwar immer noch komisch, aber es fühlte sich gewohnter als sonst an. Ich packte mir eine kleine Tasche und lief dann die Treppe herunter. Meine Eltern wuselten in der Küche umher, um ja auch nichts zu vergessen. Ich verdrehte die Augen und setzte mich an den Tisch zu Luke.

Dieser sah richtig niedlich aus, mit seiner kleinen Sonnencapi und dem kleinen passenden Wanderrucksack. Ich sah ihm dabei zu, wie er versuchte die abstehenden Bändel zusammenzubinden. Als er meinen Blick bemerkte, streckte er mir die Zunge hin. Ich streckte meine Zunge zurück und brachte ihn so zum Lächeln.

Das hatte ich irgendwie ziemlich vermisst. In den letzten Wochen hatte ich meinen Bruder kaum gesehen, weil ich mal wieder so beschäftigt mit Jasper gewesen war. Ich ließ mich seufzend auf den Stuhl zurückfallen und starrte gedankenlos auf den Tisch. Als es fünf Minuten später klingelte, starrte ich immer noch auf den Tisch. Die Stimme meiner Mom erklang aus der Küche: „Machst du unseren Gästen kurz auf, Charlie? Ich muss noch die Paprika einpacken."

Natürlich musste sie noch die Paprika einpacken, hoffentlich hatte sie auch noch an die Tomaten, Karotten und sonstigen Gemüsesorten gedacht. Ich schlürfte zur Tür und öffnete diese. Noch bevor ich sie ganz öffnen konnte, zog mich Carter am Handgelenk mit, quer durchs Zimmer und die Treppe hoch.

Seine einzigen Worte waren: „Wir müssen reden." Als ich ihm unbeholfen die Treppe hinauffolgte, versuchte ich mir die Worte zu Recht zu legen, um mich bei ihm für die Einladung zu entschuldigen. Ich stutzte.

Warum wollte ich mich jetzt schon bei Carter entschuldigen? Wir stolperten in mein Zimmer und bevor er den Mund aufmachen konnte, fing ich an zu reden: „Es tut mir leid, okay? Ich und meine dummen Planungen und Hoffnungen. Ich wollte nur deine Mom mal wieder sehen und irgendwie habe ich mich..."

Carter unterbrach mich: „Entschuldigst du dich gerade für die Einladung?" Ich hielt in der Bewegung inne: „Wolltest du nicht mit mir darüber reden?" Er sah mich irgendwie reuevoll an und ich fragte: „Wenn du nicht über das reden wolltest, über was wolltest du dann reden?"

Carter stiefelte auf und ab und fuhr sich durch die Haare. Meine Hand zuckte, als ich diese Bewegung sah, da danach all seine Haare komplett in verschiedene Richtungen abstanden und ich den Drang hatte sie wieder richtig hinzurichten.

Carter blieb stehen und sah eindringlich an: „Es wird ein Video geben auf dem ich in übler Weise über dich rede." Ich sah ihn verwirrt an: „Und?" Carter wurde fast rot: „Und?! Das waren schlimme Dinge, die ich da gesagt habe und es ist auch noch im Internet."

Ich biss mir lächelnd auf die Lippe: „Fühlst du dich etwa schlecht?" Carter sah nicht so belustigt aus, er trat einen Schritt näher: „Darum geht's. Als ich all diese Scheiße gelabert habe, habe ich alles ernst gemeint und glaub mir, das war eine harte Scheiße. Aber danach, danach habe ich mich schlecht gefühlt. Und bin weggelaufen."

Ich wusste nicht, was er jetzt von mir erwartete. Sollte ich wütend sein? Oder traurig? Ich verdrehte die Augen: „Meine Güte, Carter, mach dir nicht in die Hosen. Du hast schon viel über mich gelästert, ich müsste mich jetzt quasi auch bei dir entschuldigen, weil ich es schon dreißigtausend Mal gemacht habe... Du hast auch jedes Recht über mich zu lästern. Wir beide haben doch ein Geschäft. Das ist alles."

"Ich hasse dich mehr."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt