Gut gelaunt komme ich von einem gewonnenen Fußballspiel nach hause und will mir gerade eine Banane aus der Obstschale nehmen, als Mama die Küche betritt. „Hallo Lou, wie war das Spiel? Habt ihr gewonnen?" Sie lässt sich schwer atmend auf einen Stuhl am Küchentisch sinken. „Mein Gott, bin ich froh, wenn ich diese riesige Kugel wieder los bin. Setz dich doch noch ein paar Minuten zu mir, ich glaube, es ist an der Zeit, dir von jemandem zu erzählen."
Mit gerunzelter Stirn setze ich mich ihr gegenüber und sehe sie erwartungsvoll an. „Lou, es gibt da etwas, das wir dir wohl schon viel früher hätten erzählen müssen. Papa und ich, wir dachten immer, du wärst noch nicht alt genug, um es zu verstehen, aber wahrscheinlich war das nur eine Ausrede. Wahrscheinlich haben wir uns einfach nur davor gedrückt." Sie dreht ein Wasserglas in ihren Händen und betrachtet den letzten Schluck darin.
Auf einmal sieht sie mir direkt ins Gesicht, in ihren Augen schwimmen Tränen. „Dein Papa ist nicht dein leiblicher Vater."
Geschockt sehe ich sie an. Was hat sie da gerade gesagt?
Währe da nicht dieser Schuldbewusste Ausdruck in ihren Augen, würde ich behaupten, dass sie gerade einen Scherz gemacht hat. Einen sehr schlechten, wohl gemerkt.
„Sag doch bitte was!" Mama sieht mich flehend an, aber ich schüttele nur verständnislos den Kopf, nicht im Stande zu begreifen, was sie mir da gerade erzählt hat. „Was?...Ich versteh nicht...?"
„Das ist eine recht lange Geschichte." Mama lässt die wenigen Tropfen Wasser durchs Glas laufen. „Du weißt, dass ich, bevor ich Papa hier geheiratet habe, einige Zeit in England gelebt habe?" benommen nicke ich. „Allerdings war ich nicht nur für einige Monate dort, sondern einige Jahre. Ich habe mit einem Mann zusammen gelebt. Ich habe ihn geliebt, aber er war beruflich immer viel unterwegs. Bei einem Besuch hier zu Hause in Deutschland bin ich dann nach vielen Jahren wieder auf Mattis getroffen, und ich musste feststellen, dass dein Vater doch nicht meine Größte Liebe war." Versonnen betrachtet sie den Boden des Glases.
Erst als ich wieder in Deutschland gelebt habe, habe ich festgestellt, dass ich schwanger war." Sie errötete und mied meinen Blick. „Nur wer der Vater war, konnte ich nicht genau sagen. Aber als ich dich im Krankenhaus in den Armen hatte, war mir sofort klar, dass Mattis es nicht sein konnte. Ein Vaterschaftstest hat es uns bestätigt." Mama beendet ihre Erzählung. Eine Träne läuft ihr über die Wange, aber ich bin nicht im Stande, auch nur in irgendeiner Weise zu reagieren.
„Ich habe ihn hier her eingeladen, deinen Vater." Bricht Mama irgendwann das Schweigen. „Er kommt am Samstag her."
Irgendwie will mir das alles nicht so recht in den Kopf. Warum jetzt, warum gerade heute? Will ich meinen leiblichen Vater überhaupt kennen lernen? Will er mich kennen lernen? Wollte er doch die letzten Jahre auch nicht, oder etwa doch? Was ist, wenn er mich überhaupt nicht mag, wenn er total blöd ist? Bisher war doch alles gut hier, warum denn jetzt so was? Ich will nicht! Oder vielleicht doch?
Die Tage bis zum nächsten Samstag vergehen wie im Flug. Noch immer gelingt es mir nicht, zu verstehen, was Mama mir vor wenigen Tagen erzählt hat. Ich schaffe es nicht, darüber zu sprechen. Nicht einmal mit meinen beiden besten Freunden Mina und Finn.
Den gesamten Samstagmorgen liege ich in meinem Bett und starre Löscher in die Luft. Was ich auch anfange, ständig schweifen meine Gedanken ab; zu ihm. Es ist verrückt; bis vor einer Woche war alles noch normal, und jetzt stellt sich alles auf den Kopf.
Jetzt ist es so weit, Die Zeiger meiner Uhr haben sich doch noch bewegt, und fast auf die Sekunde genau um halb drei klingelt es unten an der Haustür. Ich höre Schritte, höre, wie sie von jemandem geöffnet wird, wie Mama jemanden begrüßt und Schlussendlich meinen Namen ruft.
Langsam gehe ich zur Türm die Klinke fühlt sich unter meinen zitternden Fingern eiskalt an und ich habe das Gefühl, als bräuchte es eine immense Kraft um sie nach unten drücken zu können.
Aber dann schaffe ich es doch. Ich nehme all meinen Mut zusammen, atme einmal ganz tief durch und gehe den ersten Schritt in den Flur, dann den ersten die Treppe hinunter, Und schneller als es mir lieb ist stehe ich am Fuß der Treppe und blicke auf den Mann, der dort in der Tür steht.
Ich stehe einfach nur da. Der Moment zieht sich wie eine Sekunde im Matheunterricht. Und während ich ihn so anstarre durchfährt mich plötzlich ein Blitz. Das ist nicht irgendein Engländer! Das da vor mir ist Ethen Kimball, einer der bekanntesten Filmproduzenten dieser Zeit. Mina bezeichnet ihn nahezu täglich als den Filmproduzenten schlecht hin.
Jetzt bloß keinen Schockoder sonst irgendetwas anmerken lassen!

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Ich Und Meine Brüder
Novela JuvenilLou ist 14 und erfährt, dass ihr Vater gar nicht ihr leiblicher Vater ist und sie zudem drei ältere Brüder hat, von denen sie bisher nichts wusste. Schon steht ihr gesamter Altag auf dem Kopf. Wie geht man damit um, auf einmal zu einer der bekanntes...