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Ich stehe in meinem Zimmer vor meinem Spiegel und betrachte mich selbst. Gar nicht so schlecht, denke ich und streiche mein langes, dunkelblaues Kleid glatt.

"Bist du endlich fertig Aria? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit"

Ich verdrehe meine Augen und gehe die Treppe herunter zum Flur. Also normalerweise wird man doch beim hinuntergehen der Treppe, an dem Tag des Abschlussballs fotografiert, aber anscheinend nicht in meiner Familie, hier ist nämlich nichts normal. Meine Mum malt sich genervt den Lippenstift nach und sieht mich dann an

"Also, als wir das Kleid gekauft haben, hat es dir noch gepasst. Du solltest weniger essen."

Jedes andere Mädchen wäre in Tränen ausgebrochen, aber ich war es gewohnt und es war mir egal. Ich schaue ein letztes Mal in den Spiegel und gehe dann mit ihr zum Auto. Wir steigen beide ein, während der ganzen Fahrt sprechen wir kein Wort.

An der Schule angekommen, versuche ich den letzten Tag in dieser Hölle zu genießen. Ich muss gestehen, dass ich nicht gerade beliebt bin. Die Mädchen haben alle reiche Daddys und ich habe überhaupt keinen Dad. Meine Mum war gerade 17, als sie meinen Vater kennenlernte, die beiden verliebten sich und wollten heiraten, bis meine Mum mit 18 erfuhr, das ich unterwegs bin. Mein "Vater" hatte darauf keine Lust und verließ meine Mutter. Seitdem hat sie ihn nie wieder gesehen.
Naja kommen wir zurück auf die Jungs, die auf der Schule sind, sie sind ebenfalls alle reich oder sportlich und damit sowieso beliebt. Eigentlich lassen mich die meisten hier in Ruhe, aber eine Jungsclique kann es einfach nicht sein lassen, besonders der Anführer der Gruppe nicht. Er heißt Harry, hat lange braune Locken, schon ein paar Tattoos und trägt oft Klamotten, die anscheind cool wirken. Naja, nur noch heute sehe ich diese Idioten und dann bin ich endlich von diesem langweiligen Holmes Chapel weg. Ich setze mich mit meiner Mum auf die reservierten Plätze und sehe mich um. Die Mädchen tragen alle lange glitzerne, teure Kleider und vor lauter Make-Up erkennt man sie gar nicht. Die Jungs tragen alle Anzüge und einige sehen sogar gut darin aus. Das Telefon meiner Mum klingelt, sie geht ran, steht auf und stellt sich ein paar Meter weiter entfernt hin.
Ich wollte gerade wieder die Leute beobachten, als sich eine große Gestalt vor mir aufbaut. Ich blicke in grüne Augen und weiß genau wer es ist. Harry.

"Wie viel musstest du denn bezahlen, dass jemand dich so gut aussehen lässt ?"

Ich verdrehe die Augen und versuche ihn zu ignorieren.

"Schade, dass jetzt alles vorbei ist, hatte gerade Gefallen daran gefunden, dir das Leben hier zur Hölle zu machen."

Er nimmt mein Kinn in seine Hände, und kommt meinem Gesicht ziemlich nah.

"Aber gut, dass man sich immer zwei mal im Leben sieht"

Er grinst, zwinkert mir zu und geht dann. Was für ein Arsch, denke ich mir nur und sehe auf die Bühne. Nur noch mein Zeugnis abholen, dann kann ich endlich  gehen...

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"Glückwunsch, du kannst anscheinend doch was", sagt mir meine Mum als wir zum Auto gehen. Ich bin Jahrgangsbeste und habe einen Schnitt von 1,0, doch das ist mir eigentlich egal, da es anscheind sowieso niemandem interessiert. Während bei den anderen geklatscht wurde, auf dem Weg zur Bühne, hat bei mir nur jemand laut "Opfer" gerufen, und ich gehe stark davon aus das es Harry war. Aber es war jetzt vorbei und ich fühlte mich endlich frei. Zu Hause angekommen, zog ich das Kleid aus, packte die letzten Sachen in meinen Koffer und ging damit runter zu meiner Mom. Sie saß an ihrem Schreibtisch und zeichnete etwas. Sie war Künstlerin, hatte aber schon lange keinen wirklichen Erfolg mehr.

"Sandra?"

Ich nannte meine Mum nicht Mum, denn sie wollte das nicht und so habe ich als Kind nicht das Wort Mama gelernt sondern als Erstes ihren Namen.

"Ich bin dann jetzt weg zum Bahnhof."

"Wohin willst du?"

"Ich werde nach London ziehen und dort Psychologie studieren,ich habe dir extra nichts gesagt, weil ich wusste du würdest es nicht wollen."

Ich bereitete mich innerlich schon auf einen Wutausbruch meiner Mum vor, doch es kam nur ein leises
"Mach doch." von ihr. Ich musste schwer schlucken, ich habe gehofft sie würde sich wenigstens etwas Sorgen machen. Ich nicke enttäuscht, drehe mich um und gehe aus dem Haus und laufe zum Bahnhof. Ich hole mir ein passendes Ticket und gehe zu meinem Gleis um dort auf den Zug zu warten. Irgendwie muss ich lächeln, ich fühle mich frei und unabhängig. Der Zug fährt ein, und ich freue mich auf das was in dem neuen Abschnitt meines Lebens passieren wird.

Love by detours (H.S.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt