Kapitel 22

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Die Tage vergehen, ebenso die Konzerte. Als ich aufwache, befinde ich mich im Tourbus. Es schwankt. Also sind wir auf einem Schiff.

Ich schnalle mich ab und stehe auf. Der Ersatzschlüssel liegt vor dem Lenkrad, daneben ein Zettel:

»Für den Fall, dass du aufwachst, nimm den Schlüssel, steig aus und schließ ab. LG Bambi«

Ich tue, wie mir auf dem Zettel gesagt wurde und verlasse das Autodeck.

Jemand tippt mir von hinten auf die Schulter. Ich drehe mich um und schaue die mir fremde Person an. Nein, irgendwie bekommt mir die Person bekannt vor, ich weiß nur nicht, woher ich sie kennen sollte.

»Hallo, Schatz. Ich hab dich echt vermisst.«

Warte. Ist das er? Ist das wirklich er? Der Junge, für den ich seit der fünften Klasse geschwärmt habe und mit dem ich dann schlussendlich zusammengekommen bin? Wo ich dann bemerkt hab, was für ein Arsch er doch eigentlich ist? Ist er das wirklich??

»Tut mir Leid, ich weiß nicht, wer du bist«, sage ich gelassen und drehe mich wieder um, um die Treppe hochzulaufen. Er hält mich fest.

»Du kennst mich sehr wohl. Wie könntest du mich vergessen?«

Ich drehe mich erneut um und schaue ihm nun direkt in die Augen.

»Oh ja, stimmt, irgendwoher kenne ich dich... Aber woher?«

Er beugt sich zu mir und küsst mich.

Ich erwidere seinen Kuss nicht, sondern schlage ihm ins Gesicht. Er löst sich von mir und schaut mich entgeistert an.

»Du bist ein Arschloch, weißt du das eigentlich?«, schnauze ich ihn zusammen.

»Aber ich... I... Ich liebe dich...«

»Nein. Nein, das tust du nicht. Du denkst, du liebst mich, aber es stimmt nicht. Du weißt nämlich nicht mal, was das ist! Lass dir eine Sache für dein späteres Leben sagen: Liebe ist, die Person so zu nehmen, wie sie ist. Sie nicht verändern zu wollen, wie du es bei mir versucht hast. Sie zu beschützen. Etwas zu riskieren. Das ist Liebe. Aber bei mir hast du ausgebadet. Du bist einer der Gründe, weshalb ich abgehauen bin. Ich kann es nicht fassen, dass du mir gefolgt bist. Du bist der arroganteste Arsch, den ich kenne! Und übrigens: Es tat weh. Was du mit meinem Herzen angestellt hast. Du hast es in zwei Hälften geteilt. Auf brutalste Art und Weise. Und es war dir egal! Und jetzt lass mich in Ruhe oder ich zeige dich wegen Belästigung an.«

Ich stürme die Treppe hinauf, in das Restaurant. Dort erblicke ich die anderen an einem Tisch sitzen und sich gut gelaunt unterhalten. Ich renne auf sie zu. Sie scheinen meine Schritte zu hören, denn sie drehen sich alle zu mir. Sami steht auf und hält seine Arme auf. Ich lasse mich hineinfallen. Sofort strömen die Tränen mein Gesicht hinunter. Sami tätschelt mir leicht den Kopf. Sagt nichts. Hält mich einfach in seinen kräftigen Armen.

Eine Durchsage kommt. Sie sagt wohl, dass wir in Kürze den Hafen erreichen und uns gegebenenfalls in unsere Fahrzeuge begeben sollen.

Also machen wir uns auf den Weg zu unserem Bus und steigen ein. Ich gebe Osmo den Ersatzschlüssel, welchen er dankend annimmt. Dann setze ich mich auf meinen Platz und hole meine Kopfhörer aus meiner Hosentasche. Ich schalte Heart to Heart von James Blunt ein. Es war unser gemeinsames Lied. Ich höre es, um meine Gefühle wieder loszuwerden.

Sami setzt sich neben mich und legt seinen Arm beruhigend um meine Schultern. Meine Tränen werden mehr und ich lehne mich an ihn.

»I met my ex«, schreibe ich ihm. Ich möchte momentan nicht reden.

»Okay...«, antwortet er. Oh Mann, ich liebe es, wenn er so antwortet. Daran merke ich, dass er wissen möchte, wie es weitergeht, mich aber nicht drängt und wenn ich nicht antworte, ist es auch in Ordnung. Das sagt dieses eine Wort mit den drei Punkten hintendran. Ich schreibe ihm die ganze Geschichte und er drückt mich leicht, wenn er bestimmte Stellen liest. Es beruhigt mich, ihn bei mir zu haben. Es tut generell gut, jemanden wie ihn zu haben.

»I'll b there 4 u :*«

»*-* luv u <3«

So in etwa geht das die ganze restliche Fahrt über, bis wir dort ankommen, wo wir uns vor der Tour alle getroffen haben.

»Tschüss Süße, war schön, dich mal wieder zu sehen«, verabschiedet Alina sich von mir und drückt mich.

»Geht mir genauso.«

Ich erwidere ihre Umarmung und drücke dann auch die anderen Mitglieder von »My first band«. Es war irgendwie schon ein cooles Erlebnis, mit allen zusammen auf Tour zu sein. Ich würde es liebend gerne des Öfteren wiederholen.

Auch von Jukka und Osmo verabschiede ich mich, da sie ja nicht bei uns wohnen.

»Moi moi, Eija.«

Jukka drückt mir einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange.

Flashback...

»Ja, das weiß ich.« ... »...als würdest du mit jemandem schlafen.« Sie lacht los ... »Danke, du bist die Beste!« ... gibt mir einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange.

Flashback Ende...

Ich stoße Jukka weg. Schaue auf den Boden. Atme schwer. Ich kann das nicht ertragen.

»Eija??«

Ich merke, wie Sami seinen einen Arm um meine Schultern legt und mit der anderen Hand meinen Oberarm festhält. Er möchte mich zum Auto führen, doch ich bleibe mittendrin stehen. Also hebt er mich hoch und trägt mich den restlichen Weg. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und lehne meine Stirn an seine Schulter. Ich kann nicht mehr. Halte das nicht mehr aus. Diese Last auf mir, niemanden außer Sami über Bellas Tod informiert zu haben.

»What's the matter?«, fragt er ruhig, nachdem er mich auf dem Beifahrersitz abgesetzt und sich selbst auf den Fahrersitz gesetzt hat.

»Bella...«, antworte ich. Nach kurzer Zeit fahre ich fort. »She gave me a kiss like Jukka did a moment ago...«

Ich breche noch mehr in Tränen aus. Wieso muss alles immer so beschissen sein? Man kriegt immer das, was man am wenigsten gebrauchen kann. Wie beim Schrottwichteln, wo meine Mutter immer mitgemacht hat. Sie hat immer irgendwas mit nach Hause gebracht, was sie am wenigsten von allem gebrauchen konnte. Wie gerne wäre ich doch jetzt bei ihr...

Ich nehme mein Handy aus der Hosentasche und wähle die mir noch bekannte Nummer.

»Hallo?«, ertönt eine männliche Stimme.

»Dad?«, frage ich verheult.

»Eija! Was ist los? Irgendwas mit Sami?«

Es stand also in der Zeitung, dass ich mit Sami zusammen bin.

»Nein, mit Sami ist alles in Ordnung. Ich würde nur gern mit Mom reden...«

»Sie ist im Moment nicht da, sie ist im Krankenhaus.«

Scheiße!

»Was ist mit ihr?«, frage ich geschockt.

»Es geht ihr nicht sehr gut. Aber ich fahre gleich ins Krankenhaus, dann kann ich dich von meinem Handy aus von dort nochmal anrufen und du kannst mit ihr reden, okay?«

Ich nicke.

»Okay, danke, Dad.«

Ich lege auf und stecke mein Handy weg. Dann schaue ich Sami an und weine erneut los.

LifesaverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt