Dreizehn

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Gespräche mit Gott... die hatte ich oft geführt in den letzten drei Jahren. Ich hatte ihn gebeten, mir beizustehen, mir zu helfen, mir die Schuld zu nehmen. Ich hatte gebetet und geweint, war oft in der Kirche gewesen und hatte viel mit Pater Franklin gesprochen. Er hatte mir Mut zugesprochen und mich aufgerichtet, wenn ich dachte ich würde fallen und könnte nicht mehr weiter. Oft war ich kurz davor meinem Leben ein Ende zu setzten, aber dann hat sich einiges verändert. Mein Denken hatte sich grundlegend geändert, ich sah wieder einen Sinn im Leben, auch wenn der äußere Umstand etwas makaber erschien und auch das brachte mich kurzfristig komplett aus dem Konzept.

Ich ging in den Seitenflügel der Kirche und zündete eine Kerze an. Das tat ich so gut wie immer, wenn ich über Mason oder die folgende Zeit nachdachte. Es war die Zeit gewesen, in der ich mir geschworen hatte, nie wieder eine Träne zu vergießen. Ich wollte nicht mehr weinen, denn ich wollte nicht mehr traurig sein und ich beschloss, dass es an der Zeit war komplett neu anzufangen. Mein Leben hatte mich mehrfach dazu gebracht, alles in Frage zu stellen und das tat es erneut. Während ich die Kerze in meiner Hand betrachtete stellte ich mir ein paar Fragen, die ich in der nächsten Zeit für mich klären wollte. Wie geht es mir? Was fühle ich? Was habe ich für Ziele? Wie geht es weiter? Auf diese Fragen wusste ich noch keine Antworten, aber ich würde nach ihnen suchen.

Ich erhob mich langsam und durchquerte den Mittelgang der Kirche. Ich ging bis ganz nach vorne und legte mich auf den Rücken vor dem Kreuz nieder und blickte nach oben in das Gewölbe. Der hellblaue Farbton erinnerte mich an den Himmel. Und genau den stellte ich mir gerade vor. Ich blickte in den Himmel, um mit Gott zu sprechen. Ich faltete also meine Hände zusammen und ließ sie auf meiner Brust ruhen. Ich bat ihn mir zu helfen, Antworten zu finden und mich zu beschützen. Ich hatte wirklich Angst. Angst vor der Zukunft, Angst vor der Ungewissheit, Angst vor dem Typen, der mich stalkte, Angst vor mir selbst. Bitte lieber Gott, zeig mir den Weg. Ich bekreuzigte mich und stand auf.

Ich ging zur Tür rechts von mir und klopfte an. Jetzt, wo ich schon einmal hier war, wollte ich Pater Franklin Hallo sagen. „Hallo Angelina, mein Mädchen", sprach er, als er die Tür öffnete. Er bat mich herein. „Hallo Pater. Ich freue mich, Sie zu sehen. Ich wollte häufiger in die Messe kommen, aber ich habe es nicht geschafft", sagte ich leise. „Ach Mädchen, das ist nicht schlimm. Ich schließe dich trotzdem jeden Tag in meine Gebete mit ein. Ich weiß doch, dass du es nicht leicht hattest. Wie ist es dir ergangen in den letzten Monaten?"

„Danke für Ihr Verständnis, ich weiß es zu schätzen, was Sie für mich getan haben und immer noch tun. Ohne Ihre Unterstützung wäre ich vermutlich schon lange nicht mehr hier. Ich hatte das Gefühl, dass ich hier herkommen sollte. Es war schwer in letzter Zeit. Es ist schon fast ein Jahr her, dass ich die Schule fertig habe und dass ich hier war und es ist wieder einiges passiert", erzählte ich ihm. Er schaute mich väterlich besorgt an und legte mir wie immer, wenn wir ein ernstes Gespräch führten kurz die Hand auf die Schulter. Irgendwie gab mir das Kraft weiterzusprechen. Heute und damals bedeutet es mir viel, dass der Pater mir zuhörte und mich unterstützte. Er war wie ein Vater für mich geworden, der Vater den ich nie hatte.

„Wissen Sie, ich hab das Gefühl, dass sich mein Leben gegen mich wendet, immer wenn ich denke, dass etwas Gutes geschieht, passiert danach etwas Schlimmes. Ich war zufrieden mit dem, was ich hatte. Ich hatte einen Job gefunden in einem Blumenladen. Ich hatte eine eigene Wohnung und ich war einfach glücklich. Und dann vor fünf Wochen, es war an meinem Geburtstag...", ich stockte kurz, „...da wurde ich brutal überfallen. Ich habe Angst Pater. Ich werde verfolgt und angegriffen. Ich fühle mich nicht sicher. Und ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. All meine Erinnerungen, alles was mir passiert ist und was mir angetan wurde, das kommt alles wieder hoch und.... Ich habe das Gefühl zu fallen. Die Kontrolle zu verlieren...", Tränen rollten über meine Wangen, „... ich weiß nicht, wie viel ich noch ertragen kann, bevor ich ganz zerbreche. Pater sagen Sie mir bitte, wann hört das auf?"

„Es mag nicht so aussehen und Gottes Wege scheinen oft unergründlich, oder gar unfair, aber nichts passiert ohne Grund. Auf dunkle Momente folgen auch immer wieder helle. Wenn ein Unwetter vorüber ist, kommt die Sonne wieder raus. Es ist ein ewiger Kreislauf. Wir müssen darauf vertrauen, dass diese Momente des Glücks überwiegen und wir sollten sie immer dann genießen und Gott dafür danken, wenn sie da sind. Wir können das Glück nicht erzwingen und oft haben wir das Gefühl, dass es uns durch die Finger rinnt, es uns entgleitet. Genau dann solltest du nicht aufgeben. Jeder hat seine Aufgabe auf der Erde und eine Bestimmung zu erfüllen. Wenn deine Zeit vorüber ist, dann wird Gott es dich wissen lassen und dich zu sich rufen. Bis dahin, geh entschlossen und mutig durch die Zukunft. Stell dir einmal die Frage, was ist es, was du zum Leben brauchst. Sind deine Grundbedürfnisse befriedigt. Ist dein Hunger gestillt, hast du einen Ort zum Schlafen, hast du soziale Kontakte. Wenn du diese Fragen mit Ja beantworten kannst, dann ist das schon viel Wert. Vertrau darauf, dass deine Freunde dich unterstützen und dir helfen deinen Weg zu finden. Oft siehst du die Wege nicht, aber du gehst sie automatisch und wenn sich eine Tür vor dir verschließt, dann öffnet sich eine andere. Blick dich gerne um und schau in die Vergangenheit, lerne aus ihr, aber geh vorwärts und lebe im Jetzt. Lass die Zukunft auf dich zukommen, lächle ihr entgegen soweit es möglich ist. Bleib offen für Neues, sei aufgeschlossen und frohen Mutes. Gott wird dich leiten. Nun geh mit Gott, geh mit seinem Segen. Der Friede sei mit dir"

Ich hoffte es sehr. Ich bedankte mich und trat wieder heraus. Raus in den Regen. Ich blieb im Regen stehen und fühlte wie es nass über mein Gesicht lief, in meinen Ausschnitt und dort in meiner Kleidung verschwand. Der Regen spülte ein Stück der Last von meinen Schultern fort, ich spürte, wie ich langsam freier atmete. Das Gespräch mit Gott und dem Pater hatten mich etwas aufgebaut. Ich wusste jetzt, dass ich definitiv eine Auszeit nehmen wollte. Und ich hatte mir auch schon überlegt, wo ich hin wollte. Ich würde es Jeremy und Justin mitteilen. Beide sollten ein Teil meiner Reise werden.

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