Sechzehn

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Es war noch ganz früh, 5:30 Uhr verriet mir mein Wecker, als ich mich aus Jeremys Armen schälte. Ich musste dringend auf die Toilette. Ganz automatisch, wie ferngesteuert, griff ich nach dem neuen Blister neben meiner Zahnbürste, meine Pillenpause war vorbei. Aber warte mal... Etwas hatte doch gefehlt. Die Abbruchblutung hatte nicht eingesetzt... War es möglich, dass ich trotz Pille schwanger geworden war?! Nein, vermutlich nicht. Sicher nur der Stress... Ich nahm die neue Pille ein und nahm mir vor bei der nächsten Gelegenheit einen Frühtest zu besorgen. Der Test würde sicher zeigen, dass alles in Ordnung war. Etwas mulmig war mir zumute, aber andererseits hatte ich doch immer auf regelmäßige Einnahmen geachtet.

Da ich jetzt schon hellwach war und mir so viel durch den Kopf ging, vor lauter Nervosität, ging ich auf die Terrasse. Dort traf ich auf Justin. „Der frühe Vogel...", kam es mir gerade in den Sinn. Justin zuckte kurz zusammen, er hatte wohl nicht mit Gesellschaft gerechnet. „Woah, Angelina, eines Tages bekomme ich noch einen Herzinfarkt...", sagte er, aber grinste schon wieder halb, „setzt dich doch". Dabei deutete er auf den Stuhl neben sich. „Der Sonnenaufgang sieht wirklich schön aus", bemerkte ich träumerisch. „Wie kommt es, dass du schon wach bist?", fragte er und wendete seinen Blick kurz vom Naturschauspiel ab, um zu mir zu sehen. „Ach ich musste aufs Klo und dann...", ich stockte, sollte ich ihm meine Sorgen anvertrauen?!

In dem Moment sah ich zwei Personen, von der Morgensonne angestrahlt. Es war eine so friedliche Szene. Und sie warf mich komplett aus der Bahn. „Justin, siehst du die Beiden da?", fragte ich ihn und deutete mit dem Kinn in ihre Richtung. „Du meinst die Schwangere mit der kleinen Tochter", antwortete er. „Ja... ich... wie soll ich anfangen?! Ich hab Angst, dass ich schwanger bin, trotz Pille", gestand ich ihm. Er drehte sich jetzt komplett zu mir um. „Wäre das so schlimm?", fragte er ruhig. „Ich weiß nicht, ich habe gerade erst meine Gefühle für Jeremy erkannt und wir sind noch so jung und... und ich...", ich wusste nicht wie ich ihm erzählen sollte, was für mich so schmerzliche Erinnerungen wiederkehren ließ. „Hör mir kurz zu... ich muss das jetzt mal loswerden. Ich hab es all die Zeit versucht wegzudrängen, aber es ist doch fast jeden Tag präsent..."

Flashback

Es waren drei Wochen vergangen, seitdem ich mein eigenes Zimmer in der Klosterschule bekommen hatte. Ich hatte mich komplett zurückgezogen, sprach mit niemandem. An manchen Tagen fiel es mir schwer aufzustehen und oft weinte ich mich in den Schlaf, fühlte mich einfach schlecht. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, auch wenn es vermutlich besser gewesen wäre. Aber ich konnte nicht. Ich hatte Angst, dass jemand dachte ich hätte Mason umgebracht. Irgendwie war es ja auch meine Schuld, aber ich hatte das alles nicht gewollt. Pater Franklin hatte ich nur gesagt, dass ich Mason tot in der Gasse gefunden hatte und dass er eine Zeit lang mein Pflegebruder war. Er kümmerte sich daraufhin um seine Bestattung. Ich hatte mich nicht getraut zu fragen, wann und wo und ich hätte auch nicht dabei sein können, das hätte ich nicht geschafft, aber ich wusste, dass es eine Urnenbestattung gewesen war.

Ich lebte in der Zeit nur für die Schule, ich lernte und verdrängte alles andere. Aber es schien mir von Tag zu Tag schlechter zu gehen. Ich fühlte mich leer, da war keine Freude in mir, kein Appetit, ich schlief schlecht. Und ich war unglaublich müde, ich hing komplett durch. An manchen Tagen war mir so schlecht, dass ich mich quälte etwas zu essen. Andererseits hatte ich Fressattacken. Ich ärgerte mich über mich selbst, ich war unzufrieden. Im nächsten Moment kamen mir Tränen und ich wusste nicht mal warum. Ich fühlte mich wie ein nervliches und auch langsam wie ein körperliches Wrack. Und dann fingen die Unterleibsbeschwerden an. Ich dachte ich bekomme meine Tage, denn auch meine Brüste waren so empfindlich und spannten, aber meine Tage blieben aus. Ich fühlte mich so elend.

Als ich mich schließlich häufiger erbrechen musste, ging ich zur Krankenschwester. Diese nahm Blut ab und machte einen Urintest. Und das Ergebnis war ein kompletter Schock. „Du bist schwanger, Angelina", stelle Schwester Hannah fest, „etwa in der fünften Woche". „Nein...". Meine Welt brach gerade zusammen. Das durfte nicht sein. Ich fühlte, wie mich eine Welle der Panik erfasste. Mein Puls fing an zu rasen, mich wurde so schlecht, automatisch legte ich meine Hände auf den Bauch. Schwester Hannah, strich mir beruhigend über den Rücken, aber ich bekam keine Luft. Ich fühlte wie sie mir mit einem feuchten Tuch den Nacken und die Stirn kühlte. Ich schien zu glühen. Sie strich beruhigend weiter über mein Rückgrat und fragte dann letztlich, als ich mich etwas entspannt hatte „Hast du jemanden, der dich unterstützen kann?". „Nein, ich bin allein", erwiderte ich monoton.

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