Kapitel 14 - Warum?

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1 Jahr zuvor

Schützend hielt ich meine Arme vor meinen Kopf. Er hatte doch tatsächlich den Eimer nach mir geworfen! Zum Glück konnte ich schnell genug reagieren, sodass der Eimer an meinen Armen abprallte, welche nun aber anfingen zu schmerzen. Ängstlich wich ich zurück, bis ich wieder einmal die Wand an meinem Rücken spürte. Toll. Mein Vater kam langsam auf mich zu und rieb seine Hände gegeneinander, so, als ob er sich auf das bevorstehende freuen würde.

Natürlich freute er sich. Dachte ich mir. Es wäre komisch, wenn er sich nicht freuen würde. Ich schnaubte.

Plötzlich verschnellerte er seine Schritte und zog mich ruckartig an meinem Zopf hoch. „Zeig mir gefälligst etwas Respekt, du hässliche Schlampe!" zischte er und spuckte mir dabei ins Gesicht. Angewidert schloss ich die Augen, was sich im Nachhinein jedoch als großer Fehler herausstellte. „Schau mich verdammt nochmal an, wenn ich mit dir rede!" schrie er und sogleich spürte ich seine Hand an meiner Wange, welche daraufhin sofort anfing stark zu pochen. Entsetzt riss ich meine Augen auf und schaute genau in seine.

Früher hatte er Rehaugen gehabt. Braune liebevolle Augen, die mich immer besorgt musterten, wenn es mir einmal nicht gut ging. Davon war jetzt nichts mehr zu erahnen. Jetzt waren diese braunen Augen einfach nur noch von Hass versehen. Hass und Verachtung.

„Warum siehst du so aus wie sie?!!" schrie er wutentbrannt und sah mir tief in die Augen. „Hör! Auf! Damit!" Mit jedem Wort, das er sprach, schlug er meinen Kopf gegen die Wand hinter mir. Sofort begann sich alles zu drehen, mir wurde schlecht und ich spürte einen unangenehmen Schmerz an meinen Hinterkopf.

„Du sollst aufhören verdammt!!" Er boxte mir mit der einen Hand in den Magen, während die andere mich festhielt, sodass ich nicht umfiel. Nach ein paar Schlägen ließ er von mir ab und ich glitt die Wand hinunter. Mein Vater lief in dem Raum hin und her und schrie, ich solle aufhören, aufhören so auszusehen wie sie! Aber was konnte ich denn ändern? Nichts. Ich wollte doch nicht mal so aussehen wie sie! Was kann ich denn dafür? Nichts, einfach nichts! Das sind die bescheuerten Gene!!

Am liebsten hätte ich ihm das ins Gesicht geschrien, aber die Folgen wären unerträglich gewesen, das wusste ich. Und somit saß ich einfach nur auf dem kalten Boden, spürte, wie die Kälte des Wassers immer mehr meine Körpertemperatur senkte. Ich begann zu zittern, während ich weiterhin meinen Vater beobachtete, wie er in meinem Zimmer wütete.

Auf einmal ging er in das Badezimmer und kam anschließend mit einem Gegenstand in der Hand wieder. „Hör auf so auszusehen, hör auf. Das hast du nicht verdient. Nur sie darf so aussehen, nur sie." Murmelte er kaum verständlich, als er sich auf mich zubewegte. Nun erkannte ich den Gegenstand in seiner Hand, es war eine Schere. Ich bekam Angst, was hatte er vor? Was? Immer noch zitternd versuchte ich Abstand zwischen uns zu bringen, indem ich mich an der Wand von ihm wegbewegte. Mit mäßigem Erfolg. Ich war einfach schon zu schwach, um mich schneller zu bewegen. Er hingegen topfit und schon bei mir.

„Steh auf! STEH AUF!!" brüllte er und sofort versuchte ich mich aufzurichten, jedoch sackte ich wieder in mir zusammen. Meine Beine wollten mich nicht tragen und es drehte sich alles, meine Sicht verschwamm, doch ich riss mich zusammen, meine Augen offen zu halten. Ihm dauerte das alles natürlich zu lange, sodass ich wieder an meinen Haaren hochgezogen wurde, nur, um Sekunden später wieder auf den Boden zu fallen. Ich fing den Sturz mit meinen Händen ab und verharrte einen Moment auf allen Vieren, bis der Schwindel etwas nachgelassen hatte.

Was war passiert? Ich sah zu meinem Vater, welcher in der einen Hand die Schere und in der anderen Hand meinen Zopf hielt. Nein.

„Jetzt siehst du nicht mehr so aus wie sie." Sagte er und warf die Haare zusammen mit der Schere auf den Boden. Er lachte. Er stand einfach so da und lachte. Mein Gehirn brauchte noch etwas, um zu verstehen, was gerade passiert war, wurde jedoch von seinem penetranten Lachen abgehalten, ein deutliches Bild zustande zu bringen.

Wieder kam er auf mich zu, immer noch lachend. „Jetzt siehst du nicht mehr so aus wie sie" wiederholte er und riss meinen Kopf gewaltsam nach oben. „Jetzt nicht mehr. Und ich werde alles daran setzten, dass das auch so bleibt" Ein Psychogrinsen zierte sein Gesicht, welches einen Schauer durch meinen ganzen Körper wandern ließ.

„Du bist Abschaum. Einfach nur Abschaum." Er stieß mich nach hinten, nur um mir anschließend in den Magen zu treten. Schützend rollte ich mich zusammen. Das kann doch alles nicht wahr sein! Das darf nicht wahr sein!

Auf einmal ließ er von mir ab. Völlig überrascht nahm ich meine Arme herunter und entspannte mich kurz. Ein Fehler, ein fataler Fehler. Denn er nutzte diese Chance, drehte mich auf den Rücken und setzte sich auf mich. Sein Gewicht erdrückte mich fast und als ob das nicht schon schlimm genug war, setzte er seine Hände an meinen Hals und drückte zu.

„So wirst du nicht mehr aussehen wie sei! So nicht! Nicht mit Narben und Flecken! Nicht so!" Wieder lachte er und ich bekam kaum noch Luft. Sollte das mein Ende sein? Sollte so alles enden? Wenn ja, dann hatte ich umsonst gekämpft, umsonst die Hoffnung nicht aufgegeben.

Schwarze Punkte begannen sich auf mein Sichtfeld zu verteilen, mein Kopf drohte zu zerplatze, als er plötzlich von mir abließ. Keuchend rang ich nach Luft und versuchte mich aufzusetzen.

„Nein" murmelte er. „Du hast nicht das recht sie jetzt schon wieder zusehen. Du nicht. Du nicht" murmelte er und wand sich von mir ab, um zu gehen.

„Und übrigens: Happy Birthday, Schlampe!" sagte er, bevor er das Zimmer verließ und die Tür hinter sich zuknallte.

Nein. Er hatte ihn nicht vergessen. Er hatte an meinen Geburtstag gedacht. Warum? Warum hätte er das nicht vergessen können? All die Jahre hatte er daran nicht gedacht, nur heute? Das kann doch nicht wahr sein! Warum? Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre!

Tränen rannen über mein Gesicht und nun wurde mir auch klar, warum er so fokussiert auf Mama gewesen war. Er hatte sich auch an den Abend erinnert, an den Abend auf der Couch. Das Gespräch über meinen 16. Geburtstag.

Wieder wurde ich unendlich traurig und lehnte mich gegen meine geliebte Wand.

Mama, ich vermiss dich, ich vermiss dich so sehr. Flüsterte ich, kurz bevor mir schwarz vor Augen wurde.

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