7 Jahre zuvor
Auf der Couch saß eine Frau, bestimmt Anfang dreißig, welche sich mit meinem Vater zu unterhalten schien. Dieses Bild kam mir eindeutig zu normal vor, wenn man mein jetziges Leben betrachtete.
„Mia, Schätzchen, da bist du ja endlich!" sagte mein Vater freudestrahlend und kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ich stand nur wie versteinert da. Mia. Er hatte doch tatsächlich meinen Namen gesagt. Seit zwei Jahren hatte er mich nicht mehr so genannt. Wirklich nie. Perplex erwiderte ich die Umarmung und atmete den Dift meines Vaters tief ein. Er roch immer noch genauso wie früher, noch genauso gut. Bei diesem Gedanken lächelte ich und antwortete einfach aus Reflex. „Hey Daddy." Wir lösten uns wieder voneinander und mein Blick glitt zu der Frau hinter und, die sich gerade von dem Sofa erhoben hatte. Das gab mir die Zeit, sie einmal zu mustern. Sie hatte braune Harre, die locker zu einem Dutt nach oben gesteckt waren. Zudem trug sie ein dunkelblaues Kleid, welches ihr bis zu den Knien ging und an ihre Taille schmiegte sich ein schwarzer Gürtel, welcher dem ganzen Outfit noch ein bisschen mehr pepp einhauchte. Sie hatte schwarze Absatzschuhe an und ihre Grünen Augen standen in perfekten Kontrast zu ihrer ganzen Erscheinung.
„Hallo Mia, ich bin Mrs. Adams, aber du kannst mich ruhig Camille nennen. Wenn ich gesiezt werde, fühle ich mich immer so alt." Sagte sie mit einem kleinen zwinkern und lächelte mir aufmunternd zu. „Ok, Dankeschön" brachte ich nur hervor.
„Camille ist Ärztin und hat sich bereiterklärt, dir einen Crashkurs in Medizin zu geben. Ist das nicht toll? Ich habe ihr erzählt, dass du später auch gerne einmal in diese Richtung gehen willst. Das ist sozusagen ein verspätetes Geburtstagsgeschenk, also nochmal: Happy Birthday meine Süße!" sagte mein Vater, während mein Gehirn versuchte die ganzen Informationen zu verarbeiten. Crashkurs. Medizin. Geburtstagsgeschenk. Hä? Fragend schaute ich ihn an, bekam aber nur einen bösen Blick zugeworfen, der so viel bedeutete wie Spiel-bloß-mit-oder-du-wirst-es-bitter-bereuen. „Wow Daddy danke! Das ist ja der Wahnsinn!" erwiderte ich deshalb mit gefakter Freude und fiel ihm nochmals um den Hals. Ein zufriedenes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Ja, er hatte mich vollkommen in der Hand, das wusste er zu gut.
„Also dann, ich muss noch etwas erledigen. Camille hat sich extra den Tag heute frei genommen, um dir all deine Fragen zu beantworten. Also nutz die Chance." Sagte er zwinkernd, bevor er sich von Camille verabschiedete und wenig später das Haus auch schon verließ. Unschlüssig, was ich als nächstes tun sollte, stand ich einfach hilflos im Raum herum und blickte Camille an. „Na dann fangen wir mal an" sagte diese schon und half mir dabei, aus dieser unangenehmen Situation wieder herauszukommen. Gemeinsam setzten wir uns auf das Sofa und zum ersten Mal fielen mir die ganzen Bücher und Prospekte auf dem kleinen Tisch vor uns auf.
„Ach und auch noch von mir alles Gute zum Geburtstag. Wann hattest du denn?" fragte sie mich auch probt. Ja, gute Frage, wann hatte ich denn Geburtstag gehabt? Da unten verlor man jegliches Zeitgefühl und demzufolge wusste ich auch nicht, welcher Tag heute war. Zum Glück hang mir schräg gegenüber ein aktueller Kalender, was mich zeitgleich verwunderte, aber auch erleichtert aufschauen ließ. Heute war der 09.Juni, was heißt, dass ich gestern Geburtstag hatte! Hatte ich echt meinen eigenen Geburtstag vergessen? „Gestern" sagte ich deshalb, immer noch den Blick auf den Kalender gerichtet. „Oh na dann bist du ja noch ganz frisch 10 Jahre alt." Verwundert blickte sie mich an. „Dein Vater hat es mir verraten." Und damit war die Sache auch schon erledigt.
Den restlichen Tag verbrachten wir damit, die Bücher durchzuarbeiten, welche Camille mitgebracht hatte. Und ich muss ehrlich zugeben, dass mich das alles doch ziemlich faszinierte. Gebannt hörte ich ihr zu und stellte auch ab und zu Fragen, was Camilles Augen aufblitzen ließ. Man merkte einfach ganz genau, dass sie in ihrem Element war. So verging die Zeit und wir hatten gar nicht bemerkt, wie spät es eigentlich war, als uns eine Stimme aus unserer Unterhaltung riss.
„Hey ihr zwei, immer noch fleißig am tüfteln?" Es war mein Vater, der im Türrahmen lehnte und uns zufrieden anlächelte. „Achherje, ist es etwa schon so spät?" fragte Camille sichtlich erstaunt, worauf mein Vater nur nickte. Sie seufzte und stand kurz darauf auf, was ich ihr gleichtat. „War wirklich schön mit dir Mia. Ich hoffe du behältst deinen Traum bei, auch wenn du noch etwas klein bist, aber ich glaube du wärst echt eine tolle Ärzte." Sagte sie mit einem Lächeln und drückte mich zum Abschied noch. Gerade wollte sie ihre ganzen Bücher wieder einpacken, als sie kurz inne hielt und sich zu mir umdrehte. „Ach weißt du was, behalt das ganze Zeug einfach. Dir wird es eh vielmehr nützen als mir."
„Wirklich?" fragte ich erstaunt. „Aber klar doch, sieh es einfach als mein Geburtstagsgeschenk für dich an."
„Danke, das ist echt der Wahnsinn!" sagte ich und drückte sie noch einmal. Lachend erwiderte sie die Umarmung, bevor sie sich auch von meinem Dad verabschiedete. Sobald Camille aus dem Haus war, verfinsterte sich die Miene meines Vaters. „So, genug herumgeblödelt. Jetzt verschwinde endlich wieder. Das ist ja nicht zum Aushalten diese bescheuerte Freude. Bäh, ekelhaft!" Bei seinem plötzlich veränderten Tonfall zuckte ich leicht zusammen und mein Lächeln erstarb. „Was stehst du da noch so dumm rum? Verschwinde endlich wieder in dein Rattenloch, wo du hingehörst!" schrie er mich an, doch ich konnte mich noch immer nicht bewegen.
Auf einmal fing meine Wange an zu schmerzen. Er hatte mich geschlagen. Doch dieser Schlag löste mich aus meiner Starre und so rannte ich förmlich die Treppe zu meinem Zimmer herunter, die Bücher fest an mich gedrückt. Tränen rannen mir die Wangen hinunter und ich merkte, dass er mir folgte. In meinem Zimmer angekommen, drehte ich mich um und schaute in das zufriedene Gesicht meines Vaters. „Was sollte das heute?" Nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte ihn das, was mir schon die ganze Zeit auf der Zunge lag. Ein Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht als er sagte: „Das wirst du schon früh genug herausfinden" Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter und auf einmal wünschte ich mir, diese Frage nicht gestellt zu haben, denn ich wusste, die Antwort wurde mir nicht gefallen.
Die Tür wurde zugeschmissen und ich versank in der Dunkelheit des Raumes, die mich si schützend umgab. Ich legte mich auf meinen flauschigen Bodenbelag und ließ den Tag nochmal Revue passieren. Diesen Tag voller Freude und Ausgeglichenheit. Ohne Angst. Seit langem war ich endlich mal wieder richtig glücklich gewesen und zufrieden mit meinem Leben. Eine Träne stahl sich aus meinen Augen und ich rollte mich wie ein Igel zusammen. So schön dieser Tag auch überwiegend war, so sehr hatte ich auch vor dem nächsten Angst. Das wirst du schon noch früh genug erfahren. Spukten die Worte meines Vaters in meinem Kopf herum. Was meinte er damit? Ich hatte Angst, Angst es herauszufinden.
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Wie sehr wünschte ich mir jetzt eine Person, die sagt, dass alles wieder gut werden würde und ich nur träumte. Aber ich träumte nicht. Das hier war die knallharte Realität. Die Realität war scheiße. Aber ändern konnte ich sowieso nichts. Müde und erschöpft von dem Tag schloss ich meine Augen und schlief auch bald ein, begleitet von der Angst vor dem morgigen Tag.
gu@}o
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Mia
Teen Fiction"Hoffnung. Ein Wort mit acht Buchstaben, aber enormer Bedeutung" Mia ist 17. Seit ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben kam, ist ihr Leben nicht mehr das gleiche. Sie lebt in einem Keller ohne Fenster und ohne Licht. Jeden Tag kommt ihr Vater...