30.Kapitel

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Bella

Ich verschränke die Arme vor meiner Brust und sehe mich zitternd um. Es ist zwar kühl, jedoch bezweifle ich stark, dass sich wegen der Kälte alles in mir schüttelt. Ich streiche mir eine nach vorn gefallene dunkle Strähne nach hinten und erblicke ihn endlich.
Er ist gekommen.
Genauso wie ich.
Es gibt wieder ein ‘Wir’. Auch, wenn nur für einen Abend.
Er sieht sich um und sein Blick bleibt plötzlich auf mir haften. Ich schlucke und Tränen sammeln sich in meinen Augen. Ich schlucke. Es ist gefühlte Jahre her, dass er mich angeschaut hat. Dass er mich überhaupt beachtet hat. Doch er hat sein Versprechen gehalten und ist mit mir auf dem Weihnachtsball. Langsam kommt er auf mich zu. Sein Blick starr auf mich gerichtet, während ich hilfesuchend die Halle nach etwas scanne, an dem ich mich festhalten kann.
“Hey.” Seine Stimme. Wann habe ich sie das letzte Mal gehört? Er klingt so fremd. Genauso wie das Gefühl, das mit ihm gekommen ist. Fremd. Ich fühle mich in zwei gerissen. Die eine Hälfte möchte ihm um den Hals fallen, weinen, ihm verzeihen, dass er nicht da war. Die andere Hälfte möchte nichts lieber als meine Hand mit einem lauten Klatschen auf seiner Wange sehen.
Ich sauge Luft so tief ich kann ein versuche die Tränen verschwinden zu lassen.
Dann tue ich es. Nichts.
Ich sage: “Hi.”
Doch plötzlich kann ich meine Tränen nicht mehr halten und ich lasse meine flache Hand an seinen Wangenknochen klatschen. Er senkt den Kopf. Schließt seine Augen für ein paar Sekunden. Dann hebt er seinen Blick und sieht mir durchdringend in die Augen. Er ignoriert die Leute um uns herum. Er sieht nur mich an. Warum breitet sich diese Genugtuung in mir aus?
“Danke.”
“Was?”, schreie ich beinahe. Doch dann atme ich. Bei allen Gesprächen mit ihm in meinem Kopf, die jeden Abend, jeden Tag stattgefunden haben, habe ich mir immer wieder geschworen, nicht zu schreien. Das würde höchstwahrscheinlich das Schlimmste mit sich ziehen. Er würde auch schreien. Und das will ich nicht. Doch was will ich eigentlich?
“Ich habe das verdient.”
“Oh, du hast noch viel mehr verdient!” Ja,Bella, mischt sich die Stimme meines Unterbewusstseins wieder ein. Das letzte Mal, als sie in meinen Gedanken rumgefuscht hat, hat auch nicht gut geendet. Lass es nicht noch einmal dazu kommen.
Also lass es. Es bringt nichts.
“Ich weiß. Ich bin ein schrecklicher Mensch. Und das Schrecklichste überhaupt ist, dass ich nicht bemerkt habe, dass ich rücksichtslos und naiv gehandelt habe. Ich habe mir dir gespielt, ohne dass ich es gemerkt, geschweige denn gewollt habe. Es tut mir leid. Und ich kann verstehen, dass es nichts auf dieser Welt gibt, was das wieder gerade biegen kann. Ich habe dich gebrochen. Und als du draußen im Schnee standest und fast..” Er beißt sich auf die Unterlippe und sucht etwas an der Decke der Halle. Tränen bilden sich in seinen Augen. Meine Wangen sind schon nass. “Ich werde mir das nie verzeihen können, weißt du. Nie.” Er sagt das Wort mit Nachdruck, doch es berührt mich nicht. Jedenfalls lasse ich es von außen so aussehen. “Meine Welt ist zusammengebrochen und ich wollte nichts lieber, als alles rückgängig zu machen. Ich hatte so Angst um dich. Ich saß an deinem Bett, solange ich konnte. Die ganze Nacht. Ich habe deine Hand gehalten und dann habe ich es gespürt. Deine Hand hat gezuckt. Sich fester um meine geschlungen. Vielleicht war es auch nur Einbildung, aber-” Ich unterbreche ihn, bevor ich einen mentalen Zusammenbruch erleben muss.
“Ich muss wohl in einen sogenannten Delirium gewesen sein, denn wenn ich gewusst hätte, dass du mich berührt hättest, hätte ich meine Hand weggezogen!”
Ich wende ihm so schnell ich kann, meinen Rücken zu und renne die Stufen nach oben.
STOP.
Wenn du jetzt gehst, Bella. Wenn du ihn jetzt zurücklasst.
Es wird alles noch schlimmer.
Ist es nicht das, was du wolltest? Dass er zurück kommt und alles bereut?
Dass er sich entschuldigt?
Dass es besser wird?
Wenn du jetzt gehst, verlierst du ihn.
Ich schnelle herum, nehme zwei Treppenstufen auf einmal, stolpere und falle in seine beschützenden starken Arme, die mich fest halten. Fester, als mich je jemand zuvor gehalten hat.
Wir weinen beide.
Ich kralle meine Fingerspitzen in seinen Umhang.
Er gräbt seine Hände in meine offenen Haare.
Wir lösen uns langsam wieder voneinander, obwohl ich lieber für den Rest meines Lebens in seinen Armen gelegen hätte, und er nimmt meine Hand.
“Komm mit”, flüstert er, leicht lächelnd. Doch ich gehe nicht mit ihm. Ich bleibe stehen, hebe meine freie Hand und wische die Tränen von seinen Wangen, seinem Kinn. Dann folge ich ihm. Es ist mir egal, wo er mich jetzt hinführt, hauptsache wir sind allein.
Mein Herz schlägt. Wieder. Es hat lange nicht mehr geschlagen. Es fühlt sich an, als wären alle verwelkten Blumen in mir wieder aufgeblüht in all möglichen Farben, als wäre das Eis um meinem Herzen geschmolzen.
Es fühlt sich an, als würde ich wieder leben.
Wir laufen durch die endlosscheinenden Gänge Hogwarts' bis er endlich in einen kleinen Flur abbiegt, der in einem großen Fenster mündet. Er hebt mich auf das Fensterbrett und setzt sich selbst gegenüber von mir. Das schwache Mondlicht wirft weiche Schatten auf sein Gesicht und er lächelt sanft. Ron greift nach meiner Hand und streichelt sie zärtlich. Mit jeder seiner Berührungen verzieht sich der Nebel in meinem Kopf ein Stück mehr. Es wird klarer. Ich kann immer mehr sehen. Plötzlich bahnt sich ein schwacher Lichtschein den Weg durch das schwarzgraue Ungetüm, namens Rauch, so wie die Sonne an den meisten wolkenverhangenen Tagen.
Und mit der Sonne kommt Licht.
Und mit dem Licht die Hoffnung.

Ein Jahr voller GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt