Chapter 1

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Do not tell secrets to those whose faith and silence you have not already tested

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Do not tell secrets to those whose faith and silence you have not already tested.
- Elizabeth I.

Montag. Erster Schultag nach den Osterferien. Ich kam dank meines Busses zu spät, weswegen ich meine Freunde nicht noch vor dem Unterricht antreffen konnte; ein Teil von mir war auf irgendeine Art und Weise sogar froh.
In den ersten beiden Stunden hatte ich Deutsch. Ich klopfte an der Tür, die mir kurz darauf von einem Mitschüler geöffnet wurde, und huschte leise zu meinem Platz. Herr Berger, ein noch recht junger Lehrer in lockerem Shirt und Jeans, hatte mir den Rücken zugedreht und schrieb etwas an die interaktive Tafel. Keine Ahnung, ob er mich bemerkt hatte oder nicht – er ließ es sich nicht anmerken.
»Verschlafen?«, fragte Anna, neben der ich saß.
»Bus hatte Verspätung«, erklärte ich knapp und ich beugte mich etwas nach vorn, um meinen Stuhl näher heranziehen zu können. Dabei rutschte die Taschenuhr unter der Bluse hervor und fiel schwer auf den Tisch, so dass sich alle bei dem lauten Geräusch umwandten – bis auf Herr Berger. Hastig versteckte ich die Uhr wieder hinter der Schicht Stoff.
»Aus Rom?« Anna deutete auf die Taschenuhr.
»Ja.« Wie von selbst erfasste ich die Stelle, wo sich die Taschenuhr befand. Hitze war mir unbemerkt ins Gesicht gestiegen. Wieso hatte ich solch eine Angst? Als ob jemand beim bloßen Anblick der Uhr herausfinden würde, dass sie magisch war. Mein Unterbewusstsein schien jedoch von dieser These ziemlich überzeugt zu sein.
»Also«, sagte Herr Berger auf einmal und wandte sich zu uns um. »Wer von euch will mir etwas über den Barock erzählen?«

Nach den ersten beiden Stunden durfte ich erfreut feststellen, dass ich Mathe-Ausfall hatte. Die Pause über verbarrikadierte ich mich mehr oder weniger auf dem Klo; ich war wirklich nicht in der Stimmung meine Freunde zu treffen und ihnen von meinem Urlaub zu erzählen – der länger als erwartet gewesen war. Nach dem Klingeln ging ich in die Mensa; dort waren kaum Schüler in der Freistunde. Die meisten von uns verbrachten ihre Zeit in den für uns freigestellten Räumen, wo dann jedes Mal die Sau abging. Es wurde herumgebrüllt, mit Essen abgeworfen oder sich aus Spaß geprügelt (manchmal wurde aus Spaß auch Ernst).
Als ich die Mensa betrat, saßen nur vereinzelt Schüler an den langen, sonst überfüllten Tischen. Ich setzte mich an einen freien Platz, stellte meine Tasche auf den Stuhl neben mich und holte meine Bücher heraus, die ich heimlich meinen Eltern entwendet hatte; sie hätten mir eh nicht geglaubt, hätte ich sie gefragt, ob ich mir einige ihrer Geschichtsbücher ausleihen könnte.
Ich hatte mich bisher nicht getraut, in der römischen Geschichte nachzulesen und zu gucken, was sich verändert hatte. Deswegen hatte ich die restlichen Ferientage hauptsächlich damit verbracht, mich über Zeitreisen zu informieren. Paul Davies, John Earman, David K. Lewis – alle hatten darüber geschrieben, doch hatte mir keine dieser Quellen helfen können.
In Gedanken versunken blätterte ich das Buch über die englische Geschichte durch. Da ich nach zwei (oder drei) bedeutenden Königinnen Englands benannt worden war, und zwar Elizabeth und Victoria, interessierte es mich sehr, wie die beiden gewesen waren. Natürlich hatten wir diese Themen auch im Unterricht behandelt, dennoch hatte ich damals Geschichte verabscheut. Erst jetzt, nachdem ich einige Monate in der römischen Antike verbracht hatte, war mein Interesse geweckt worden.
»Tiefe Selbstfindungsphase?«, erklang auf einmal eine Stimme.
Ich blickte auf und sah mich um. Erst nach einigen Sekunden realisierte ich, dass es JJ gewesen war, die mit mir gesprochen hatte; ein dunkelhäutiges Mädchen, welches in meinen Jahrgang ging und mit so wenig Leuten wie möglich sprach. Ihre lockigen Haare hatte sie nach hinten zu einem lockeren Zopf gebunden. Ihre dunklen Augen schienen mich beinahe zu durchbohren. Vor ihr lag ein aufgeschlagenes Buch. So wie ich sie »kannte« (und das war in großen, fetten Anführungszeichen) wahrscheinlich ein Mathebuch oder so etwas in der Art; wir waren im selben Mathekurs. Sie war in unserem gesamten Jahrgang als kompletter Streber abgestempelt worden, sofern ich mitbekommen hatte.
»Redest du mit mir?«, fragte ich sichtlich verwirrt.
»Hast du darüber gerade die letzten zehn Sekunden nachgedacht?«, gab JJ keck zurück. »Mann, du solltest dein Leben überdenken. So viel verschwendete Zeit ...«
»Und das kommt ausgerechnet von dir«, meinte ich und nickte ihrem Buch zu. »Du lernst den ganzen Tag. Das ist Zeitverschwendung.«
»Und du? Scheint mir, als würden wir dasselbe tun. Was hat Elizabeth Victoria Meyer dazu bewegt, ein Sachbuch aufzuschlagen? Scheint mir eine sehr tiefe Selbstfindungsphase gewesen zu sein, dein Urlaub.« Spöttisch grinsend sah sich mich an.
»Hast du kein Buch, was du auswendig lernen musst?«, gab ich genervt zurück und ließ meinen Blick wieder auf meine eigenen Seiten sinken.
»Versteh schon – es ist uncool mit einer Streberin wie mir zu reden. Pass auf, deine Clique wird gleich reinkommen und dich ebenfalls als Streberin abstempeln.« Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.
Ich hob den Kopf. »Was hat das mit Coolness zu tun?«, wollte ich verwirrt wissen.
JJ stützte ihre Ellenbogen rechts und links neben ihrem Buch ab und beugte sich etwas vor. »Sag du's mir. Warum gibt sich wohl niemand von deinen Leuten mit Leuten wie mir ab? Das ist uncool. Streber zu sein und fürs Abitur zu lernen ist uncool
Ich zog fassungslos die Stirn in Falten. »Du redest mit niemanden von uns.«
JJ lehnte sich zurück. »Touché.«
Ich schüttelte nur den Kopf und las weiter in meinem Buch. Kurz darauf hörte ich, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurden und quietschend über das Parkett schleifte, dann erklangen Schritte, die auf mich zukamen. Kurz darauf wurde mir mein Buch unter der Nase weggezogen.
»Die Geschichte Englands? Seit wann liest du Geschichtsbücher?« JJ blickte vom Einband auf und sah mich mit erhobener Augenbraue an.
»Gib das wieder her!«, zischte ich und riss ihr das Buch aus der Hand.
Das Mädchen hob beschwichtigend die linke Hand - in der rechten hielt sie ihr eigenes Buch; irgendein Mathebuch für Fortgeschrittene.
»Ganz ruhig, Tiger, kannst deine Krallen wieder einfahren. Ich will dir nicht das Fell abziehen und zu meinem Teppich machen.«
JJ hatte das Buch zugeschlagen, weswegen ich jetzt nach meiner Seite suchen musste. »Hast du keine Freunde?«, fragte ich genervt.
»Nein.« JJ umrundete den Tisch und ließ sich mir gegenüber nieder. »Du aber anscheinend auch nicht, sonst würdest du die Freistunde nicht in der Mensa mit Sachbüchern verbringen.«
»Woher willst du wissen, was ich normalerweise in meiner Freistunde mache?«
JJ lehnte sich schmunzelnd im Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Glaub mir, ich würde merken, wenn eine Elizabeth Victoria Meyer in ihre Freistunde regelmäßig in der Mensa verbringt. Du bist doch eher im Rückzugsraum mit den anderen aus deiner Clique.«
»Musst du jedes Mal meinen ganzen Namen nennen?«, gab ich nur genervt zurück.
»Nein. Aber es bringt dich auf die Palme und ich find's witzig. Außerdem ist das doch dein Name, oder? Ich wette, du kennst nicht mal meinen.«
»Doch. JJ.«
»Super.« Sarkastisch zeigte JJ mir zwei Daumen nach oben. »So nennen mich alle, aber das ist nicht mein richtiger Name.«
»Woher soll ich denn wissen, wie du richtig heißt, wenn alle dich JJ nennen?«, meinte ich verständnislos.
JJ antwortete nicht.
»Und wie heißt du richtig?«, fragte ich daraufhin.
»Das verrate ich dir erst, wenn du mir dein Geheimnis verrätst.«
Augenblicklich setzte mein Herz aus. Ich spürte die Hitze in meinen Kopf steigen. »Ich hab kein Geheimnis«, entgegnete ich.
JJs Augen schienen mich zu durchbohren. Meine Hände begannen zu schwitzen. Nervös erwiderte ich den Blick.
»Ich kann riechen, wenn mich jemand anlügt«, sagte JJ todernst.
»Ach, echt?« Meine Stimme war rau und brüchig.
»Ja, echt.«
Weitere Sekunden unangenehmer Stille vergingen, als JJ auf einmal lachte.
»War nur 'n Scherz. Mann, du hättest dein Gesicht sehen sollen.« Lachend schlug sie auf den Tisch.
»Ein … ein Scherz?«, wiederholte ich mit pochendem Herzen.
»Ja.« JJ lachte erneut, doch auf einmal wurde ihr Blick wieder ernst. »Es sei denn, du hast tatsächlich ein Geheimnis.«
»Ich denke, jeder hat Geheimnisse«, gab ich zurück.
»Ja, da hast du recht.« JJ kniff die Augen zusammen und musterte mich nachdenklich. »Du bist komisch, Liz.« Sie erhob sich. »Aber das ist okay. Ich bin auch komisch. Wir sehen uns.« Mit diesen Worten ging sie davon.
Perplex sah ich ihr hinterher, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Mein Herz pochte immer noch wie wild, und tief durchatmend lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück.

»Hey, El!«, rief auf einmal jemand in meinem Rücken, als ich gerade zum Busbahnhof gehen wollte. Ich wandte mich um. Alina, eine meiner engsten Freundinnen, kam auf mich zugelaufen.
»Ich hab dich den ganzen Tag nicht gesehen«, sagte sie. »Ich dachte schon, du wärst krank. Wo warst du?«
»Ich brauchte nur etwas Ruhe«, erklärte ich.
Lina hob eine Augenbraue. »Ruhe?«, wiederholte sie ungläubig.
»Ja. Du weißt doch … Urlaub mit meinen Eltern – das raubt einem die Nerven.«
»Du Ärmste.« Lina legte mir einen Arm um die Schulter. Ihre blonden langen Haaren flogen mir teilweise ins Gesicht, als sie mich näher zu sich heranzog, so dass ich meinen Kopf wegzog. »Die übliche Tour? Geschichte über Geschichte?«, sprach sie unbeirrt weiter.
Ich nickte.
»Das Fach sollte verboten werden – und dass Eltern mit ihren Kindern zu solchen Urlaubsorten fahren auch. Rom? Bitte. Kann man nicht mal am Strand liegen und in der Sonne chillen?«
Ich antwortete nicht.
»Ach, Eli-Maus, wir fahren einfach in den Sommerferien zusammen nach Kalifornien oder Florida. Was meinst du?«
»Klingt super«, sagte ich und zwang mich zu einem aufgesetzten Lächeln.
In diesem Moment erreichten wir den Busbahnhof. Unmengen von Schülern standen hier. Ich lebte in Hamburg, eine norddeutsche Hafenstadt. Meine Eltern und ich wohnten in einem Haus etwas weiter außerhalb, wo es ruhig war und kein Straßenlärm uns um acht Uhr morgens am Samstag weckte.
»Hast du mir eigentlich etwas mitgebracht?«, fragte Lina mich auf einmal.
Verwirrt sah ich sie an. »Woher?«
»Aus Rom?«
»Tut mir leid, ich hab das total verplant«, sagte ich entschuldigend; und das hatte ich wirklich. Weder vor noch nach meinem Abenteuer hatte ich an Mitbringsel für meine Freunde gedacht. Normalerweise suchte ich immer am vorletzten Urlaubstag nach Souvenirs, dieses Mal jedoch durfte ich die letzten Tage im Krankenhaus und schließlich unter strenger Aufsicht meiner Eltern verbracht.
Lina nickte verstehend. »Hast du eine neue Kette?« Sie deutete auf meinen Hals, wo man die goldenen Glieder der Kette erkennen konnte.
»Ja ...«
»Zeig mal.« Aus »zeigen« wurde »Ich nehme mir die Kette einfach, ohne Eli vorher zu fragen«, so dass Lina schließlich die Taschenuhr in der Hand hielt, während ich noch die Kette trug, was dann ungefähr so aussah, dass ich mich unbeholfen nach vorne beugte. »Von deiner Oma?«, fragte Lina verwundert. »Seit wann trägst du so was?« Sie wollte die Uhr öffnen, doch abrupt riss ich sie ihr aus der Hand.
»Sie gefällt mir halt«, gab ich knapp zurück und versteckte sie wieder hinter meinem Oberteil.
Mit gerunzelter Stirn sah Lina mich an. »Geht's dir gut? Du bist irgendwie komisch.«
Wie von selbst blickte ich an Lina vorbei. Ich erfasste JJ, die auf einen der Plätze saß. Sie hielt ein Buch in der Hand, wie immer, doch ihr Blick ruhte auf mir – und irgendwie war es die Art von Blick, die mir Angst machte; als ahnte sie, dass ich ein Geheimnis hatte.
»Eli?«, fragte Lina und schnipste mit ihren Fingern vor meinen Augen, so dass ich vor Schreck zusammenzuckte und wieder zu meiner Freundin sah.
»Nein. Alles in Ordnung. Bin nur noch etwas geschafft von meinem Urlaub ...« Ich sah wieder zu JJ, doch diese hatte sich wieder ihrem Buch zugewandt.

1907 Wörter

Ich kannte Zendaya schon vorher, aber richtig bemerkt habe ich sie erst in Spiderman - Homecoming. JJ ist an diesem Charakter inspiriert. Ich hoffe, sie gefällt euch genauso wie mir :3

Was sagt ihr zu Elis verändertem Wesen?

Und wie findet ihr JJ?

Die Taschenuhr - Lang lebe die Königin! [Band 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt