Chapter 11

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There is nothing which so beautifies and adorns the soul and mind of man as does knowledge of the good arts and sciences

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There is nothing which so beautifies and adorns the soul and mind of man as does knowledge of the good arts and sciences.
- John Dee, englischer Mathematiker und Mystiker

John Dee hatte recht gehabt - seine Bibliothek war riesig. Laut seiner Aussage war es sogar die größte Englands. Die Bibliothek befand sich in Mortlake, ein Vorort vom Stadtbezirk London Borough of Richmond upon Thames - also fern vom Palast und fern von Lettice Knollys.
Ich hatte die ganze Nacht an dem verdammten Boden im verdammten Ballsaal gesessen, ohne überhaupt ein Auge zugemacht zu haben. Lettice Knollys hatte meine Arbeit mit skeptischer Miene begutachtet, mich jedoch schließlich freigesprochen. Ein paar Stunden hatte ich noch schlafen können, bevor John Dee mich mit seiner Kutsche abgeholt hatte. Er hatte mich sogar bei Lady Blanche entschuldigt, die, laut ihm, 'meine Abwesenheit sehr bedauerte'. Ich glaube, er hatte etwas übertrieben.
»Wie geht es dir, Kind?«, wollte Dee wissen, als ich meinen Blick erstaunt über die Decken hohen Regale wandern ließ.
»Ich bin überwältigt«, antwortete ich ehrlich, auch wenn ich mich etwas über das Wort »Kind« ärgerte.
Wieso nennt mich jeder 'Kind'? Ich habe einen Namen ...
»Und wie geht es dir noch?« Dee musterte mich eindringlich, was mir irgendwie unheimlich war.
»Ich bin müde.«
Der Mann nickte verstehend. »Ich lasse dir einen Tee zubereiten. George?«
Sofort kam ein Mann herbeigeeilt. Sein blond-braunes Haar reichte ihm bis zu den Ohren. Seine Sachen ähnelten dem eines Dieners. »Ja, Sir?«
»Koch uns einen Tee, wenn du so nett wärst. Wir nehmen dann am Kamin Platz.«
»Natürlich, Sir.« So schnell wie George gekommen war, war er auch wieder verschwunden.
»Ein guter Junge. Manchmal etwas durch den Wind, aber hilfsbereit. Macht alles, was man ihm sagt.«
Ich nickte verstehend.
»Du kannst dich gern umsehen«, meinte Dee und deutete auf die Regale.
Überrascht sah ich ihn an. »Wirklich?«
»Natürlich. Nur zu. Hier gibt es viele Bücher. Manchmal sitze ich stundenlang hier und lese und trinke Tee. Ich lasse mich von den Worten in die verschiedenen Welten ziehen. Ich halte mich von ihnen gefangen, so lange, bis ich das Ende der Geschichte erreicht habe und die Worte mich wieder gehen lassen. Der Zauber hat ein Ende, und ich bin zurück. Ein trauriges, aber auch ein wunderschönes Erlebnis. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte ein Teil der Geschichte sein - sie formen und richten. Doch dann wird mir bewusst, dass, wenn auch nur eine Kleinigkeit verändert wird, sich alles verändert, und somit verblasst auch die Schönheit dessen, was ein anderer errichtet hat.«
Irgendwie war ich mir nicht mehr sicher, ob er tatsächlich noch über Bücher und ihre Geschichten sprach, oder nicht doch über etwas anderes. Doch mein Gedanke wurde verworfen, als Dee erneut auf die Regale deutete.
»Schau dich um. Vielleicht findest du etwas.« Der Mann mit der weißen Perücke wandte sich ab und lief den Gang zwischen den großen Regalen entlang, und im nächsten Moment war er hinter einer Ecke verschwunden.
Ich zögerte kurz, ehe ich mich für eine Seite entschied und auf ein Regal zulief. Bis vor wenigen Monaten hatte ich Bücher verabscheut, jetzt faszinierten sie mich. Dee hatte recht - die Wörter zogen einen in die Welt hinein und ließen einen nicht mehr los.
Ich ließ meine Finger die Rücken entlangwandern, spürte das Leder, sog die verschiedenen Gerüche ein. Die Titel brannten sich in meinen Kopf, blieben dort für eine Weile, bevor sie sich wieder auflösten. Viele der Werke kannte ich nicht, viele Autoren hatte ich noch nie gehört. Dennoch war ich überwältigt. So viel Wissen, so viel Macht an einem Ort. So viele Autoren, die sich wahrscheinlich noch nie gesehen hatten, waren zusammen in Regale gereiht worden - und jeder erzählte seine ganz eigene Geschichte.
Ich erreichte das Ende des Ganges und bog nach links um die Ecke. Sofort fiel mir das Buch in der Vitrine am anderen Ende der Bibliothek auf. Kurz sah ich mich um, bevor ich auf dieses zulief. Bücher, die sich in Vitrinen befanden, waren entweder verboten oder etwas Besonderes. Ich musste mich zwingen, das Glas nicht zu berühren, als ich mich vorbeugte, um das Buch genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war klein, ähnelte eher einem Tagebuch. Der Einband war aus weinrotem Leder. Auf den offenen Seiten stand etwas mit Hand geschrieben. Ich beugte mich weiter vor, um die Schrift besser lesen zu können. Der Autor hatte ziemlich unordentlich geschrieben. Erst nach einigen Sekunden realisierte ich, dass es auf Deutsch geschrieben worden. Am Anfang der Seite stand: 8. Mai 1568. Ich überflog die nächsten Worte. Der Autor beschrieb seinen Tag, sprach davon, dass er im Schloss arbeitete.
»Interessant, nicht?«, erklang auf einmal Dees Stimme, und vor Schreck stolperte ich zurück.
»Ich ...« Verwirrt deutete ich auf das Tagebuch. »Das ist Hochdeutsch.« Mehr brachte ich nicht heraus, und ich wusste auch nicht so recht, warum ich ausgerechnet das gesagt hatte. Wahrscheinlich hielt mich der Mann jetzt vollkommen für verrückt.
Doch er nickte nur. »Ja, Hochdeutsch.«
Ich musterte den Mann nur noch verwirrter, als ich bemerkte, dass er es keineswegs seltsam fand. »Diese Sprache, diese Rechtschreibung und Grammatik, sie ist nicht aus diesem Jahrhundert«, entgegnete ich nachdrücklicher und deutete auf das Buch.
»Ich habe auch nie etwas anderes behauptet«, sagte Dee und legte ein Lächeln auf seine Lippen.
Mein Gesichtsausdruck wechselte zu Entsetzen, und verzweifelt blickte ich einmal zu dem Buch und dann wieder zu Dee. »Ich glaube, Ihr müsst mir erklären, was genau hier los ist.«
Dee vollführte eine Handbewegung und deutete in die Richtung, aus der er gekommen. »Bei einer Tasse Tee, Miss Wright«, sagte er, und mit klopfendem Herzen setzte ich mich in Bewegung.

Die Taschenuhr - Lang lebe die Königin! [Band 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt