Chapter 6

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There is no greater hell than to be a prisoner of fear

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There is no greater hell than to be a prisoner of fear.
- Ben Jonson, englischer Dramatiker




2nd May, 1568

Am nächsten Tag gingen wir die selbe Tour durch wie am Tag zuvor. Ich sympathisierte immer noch nicht mit dem Gedanken, andere zu bestehlen, dennoch half ich Daisy dabei – immer wieder mit dem Hintergedanken, dass ich Kilian etwas schuldig war, sonst würde ich wohl oder übel ohne Essen und einen warmen Schlafplatz auf der Straße landen.
Wie es der Zufall wollte, trafen wir Lucas und einige andere Jungen auf der Straße, nachdem wir jemanden in dem engen Gedrängel des Marktes sein Geld gestohlen hatten. Lucas warf mir nur einen knappen Blick zu – seine Aufmerksamkeit galt eher Daisy.
»Wie viel hast du?«
»Wie oft willst du mir noch diese Frage stellen, Scar«, gab Daisy ernst zurück und zum ersten Mal sah ich, dass sie nicht immer dieses fröhliche Mädchen war.
»Wie oft soll ich dir noch erzählen, dass du mich nicht 'Scar' nennen sollst?«, entgegnete Lucas nur.
»Ich tue das nur, wenn du mir weiterhin diese Frage stellst.«
Da kam Lucas bedrohlich näher, so dass nur noch wenige Zentimeter die beiden trennten. »Du weißt, dass Kilian die Einnahmen erhöhen will«, zischte er. »Wer nicht das Geld hat, der fliegt.«
»Wie wär's, wenn du dich um deinen eigenen Mist kümmerst, Lucas?«, meinte ich.
Ruckartig hob der Junge seinen Kopf. Seine Augen funkelten. »Halt dich da raus, Neuling, du hast hier nichts zu melden. Du wirst eh die Erste sein, die fliegt.«
»Hey, pass auf, was du sagst, Scar, oder du spürst schneller meine Faust in deiner hässlichen Visage, als dass du den Mund aufmachen kannst!«, fuhr Daisy den Jungen an.
Überrascht über ihren Beschützerinstinkt sah ich sie an. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, vernahmen wir eine Stimme in meinem Rücken.
»Elizabeth?«
Ruckartig wandte ich mich. Wer nannte mich hier schon beim Namen – oder besser: Wer kannte mich in diesem Zeitalter überhaupt? Und als ich erkannte, wer es war, setzte mein Herzschlag kurzerhand aus. Doch nicht nur bei der Erkenntnis, sondern auch bei seinem folgenden Satz.
»Was machst du bei diesen Kanalratten?«
Josephs Miene war voller Abscheu und er spuckte mir das Wort förmlich vor die Füße. Jetzt konnte ich eins und eins zusammenzählen; warum Daisy gestern so schnell wie möglich verschwunden war, bevor der Schmiedejunge uns hätte erkennen können – irgendein Zwist verband die Straßenkinder mit Joseph. Vielleicht steckte auch viel mehr dahinter und alle aus Josephs Schicht verabscheuten sie. Wie auch immer, ich sah dem Jungen an, dass er nicht wirklich begeistert davon  war, dass ich zwischen diesen Menschen stand.
»Sie gehört zu uns, Joseph«, meinte Daisy mit finsterer Miene. »Falls du also ein Problem damit hast, sag es frei heraus. Aber du weißt, wie es beim letzten Mal endete.«
»Wir haben deinen hübschen Freunden den Arsch versohlt, und ihr seid wie Memmen davongerannt«, sagte Lucas mit einem spöttischen Grinsen.
»Wir sind nicht davongerannt«, spie Joseph voller Hass aus.
»Verzeih, dann muss ich mir deinen bürgerlichen Arsch wohl eingebildet haben«, entgegnete Lucas.
Joseph erwiderte den Sarkasmus nur mit einem abwertenden Blick. »Verschwindet aus diesem Viertel. Ihr habt hier nichts verloren.«
»Ach, bist du auf einmal der Eigentümer dieser Stadt?«
»Du kannst von Glück reden, dass ich nicht die Stadtwache rufe, Lucas, sie hätte euch schon längst für das hingerichtet, was ihr tut.«
Daisy warf die Hände hoch. »Da bekommen wir's ja mit der Angst zu tun!«, rief sie sarkastisch. Dann lachte sie. »Kommt, Leute, er ist es nicht wert.«
Während die anderen bereits losgingen, blieb ich noch einige Augenblicke stehen.
»Du hast dir die falschen Freunde ausgesucht, Elizabeth«, sagte Joseph nur, ehe er mit einem enttäuschten Blick davonging, dann folgte auch ich den anderen.
»Was ist zwischen euch vorgefallen, dass ihr euch nicht leiden könnt?«, fragte ich Daisy, als ich die anderen erreicht hatte.
»Gab es dort, wo du herkommst, nie solche Konflikte?«, wollte sie wissen.
»Es gibt immer welche, die denken, sie stünden über dir«, meinte Lucas.
»Hey, ihr da!«, rief jemand gerade in dem Moment, als ich den Mund zur Antwort öffnen wollte. »Im Namen der Königin, bleibt sofort stehen!«
Ich weiß noch, dass ich mich aus Reflex umgedreht und noch gerade so die Silhouetten der Wachen erfasst hatte. Allerdings drang in diesem Moment bereits Daisys »Renn, Elizabeth!« an meine Ohren, so dass ich mich, ohne zu zögern, in Bewegung setzte und rannte. Das nächste, woran ich mich erinnerte, war wie wir durch schmale Gassen rannten. Ich versuchte mit aller Kraft, an den anderen dranzubleiben, doch waren diese deutlich trainierter und schneller als ich. Irgendwann packte mich jemand und ich wurde so kraftvoll nach hinten gezerrt, dass ich stolperte und zu Boden fiel.
»Im Namen der Königin Elizabeth I. nehme ich Euch hiermit fest. Ihr werdet wegen Diebstahls beschuldigt und müsst Euch nun in aller Öffentlichkeit Eurer gerechten Strafe unterziehen, die morgen bei Sonnengang vollstreckt wird.«
Ohne dass ich mich wehren konnte, wurde ich auf die Beine gezogen und grob davon geführt. Ich war erschrocken von dem Geschehen, dass ich noch nicht einmal wirklich realisiert hatte, was gerade geschah – doch dies würde sich bald ändern.

Die Zelle war dunkel und kalt. Unruhig lief ich in der Ecke auf und ab, nach einem Ausweg suchend. Als man mich hierhergebracht hatte, hatte man mir die Uhr und mein Geld abgenommen, was die Sache noch schlimmer machte. Sie hatten mich sofort nach meinem Namen gefragt – ich hatte ihnen geantwortet.
Ich wusste, was auf 'Diebstahl' stand – und das machte mir ungeheure Angst. Die ganze Situation war so schnell eskaliert, dass ich nichts dagegen hätte tun können.
Wieso hast du dich schon wieder auf so einen Scheiß eingelassen?, fuhr ich mich innerlich an. Du weißt doch, was beim letzten Mal passiert ist.
Die Erinnerung an meine letzte Reise versetzte mir einen Stich ins Herz, und hastig schob ich die Gedanken beiseite. Nun musste ich mich erst einmal auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Das Problem war nur, dass die Zeit schneller verging, als mir lieb war, so dass ich immer mehr in Panik geriet. Anfangs hatte ich unzählige Male gerufen, dass ich unschuldig wäre, doch niemand hatte darauf reagiert, und wenn, dann wurde mir nur Prügel angedroht.
Als die Sonne schließlich aufging und ich immer noch keine Lösung gefunden hatte, gab ich es auf. Die Wachen kamen, führten mich aus der Zelle, und für einen kurzen Augenblick dachte ich darüber nach, zu fliehen. Doch ich ließ es. Ich kannte mich hier eh nicht aus und wahrscheinlich würde es mich nur noch mehr in die Scheiße hineinreiten.
Überraschenderweise war ich nicht die Einzige, die zum Hinrichtungsblock in der Mitte irgendeines mir unbekannten Platzes geführt wurde. Fünf weitere begleiteten mich – alles Männer.
»Was hast du ausgefressen?«, fragte mich auf einmal einer von denen mit rauer, tiefer Stimme. Er war weitaus älter als ich, wahrscheinlich um die vierzig. Seine schwarze Haare zeigten vereinzelte graue Strähnen auf und tiefe Augenringe zeichneten sich unter seinen dunklen Augen.
Wir standen neben dem Podest und warteten auf unser Urteil. Die Menschenmassen kamen bereits herbeigelaufen – es war wirklich unfassbar, wie viele Leute sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen wollten.
»Mir wird Diebstahl angehängt«, raunte ich ihm zu. »Aber ich bin unschuldig.«
»Das sind wir alle«, gab der Mann schmunzelnd zurück. »Alle unschuldig.«
Sein Lächeln ließ mich verwundert das Gesicht verziehen. Ich wusste nicht, ob er es ernst meinte oder nicht, weswegen ich unterließ es, nachzufragen, was ihm vorgeworfen wurde.
»Elizabeth Wright«, sagte der Ausrufer und sofort packte mich eine Wache, die mich die Stufen heraufzerrte, »Ihr werdet des Diebstahls bezichtigt und werdet Euch nun Eurer gerechten Strafe, die jedem Dieb zusteht, unterziehen müssen. Habt Ihr noch irgendetwas einzuwenden?«
»Ich bin unschuldig«, sagte ich wahrscheinlich schon zum hundertsten Mal, und nun wünschte ich mir eher in einem Gerichtssaal in meiner Zeit zu sitzen und wirklich etwas ausgefressen zu haben, als hier im 13. Jahrhundert und zu Unrecht bestraft zu werden. »Ich habe nichts gestohlen.«
»Ihr wurdet von einem Augenzeugen wiedererkannt«, meinte der Ausrufer, der eine schwarze Robe trug. Die grauen Haare versteckte er unter einer Mütze.
»Welcher Augenzeuge?«, verlangte ich sofort zu wissen.
»Das hat Euch nicht zu interessieren«, gab der Mann tonlos zurück.
»Ich bin unschuldig, verdammt! Und wenn Ihr keine Beweise habt, könnt Ihr mich nicht einfach hinrichten!«
Augenblicklich begannen die Männer auf dem Podest zu lachen, und auch die Menge zu meinen Füßen stimmte mit ein.
Das hier ist nicht das 21. Jahrhundert, Liz, erinnerte ich mich.
Als das Lächeln des Ausrufers verschwand, nickte er der Wache zu, die mich vor den Richtblock auf die Knie drückte.
»Rechtens der Strafe bei Diebstahl werdet Ihr, Elizabeth Wright, die rechte Hand verlieren – die Hand der Schande und der Sünde.«
Die Wache packte meinen Arm und drückte ihn auf den Block. Ich versuchte mich zu wehren, doch war der Griff zu stark. Da kam auch bereits der Scharfrichter, vollkommen in Schwarz gekleidet und ein Beil in der Hand haltend. Mein Herz klopfte wild und ich versuchte den Blick abzuwenden.
»Sieh hin!«, fuhr die Wache mich an und drückte meinen Kopf grob herum.
Tränen der Angst stiegen in meine Augen, die ich geschlossen hielt. Ich zitterte. Jede Sekunde wartete ich darauf, dass das Beil herabfiel und mir die Hand abtrennte, doch nichts geschah – wahrscheinlich gefiel es ihnen, den Verurteilen Angst zu machen. Ich öffnete noch einmal die Augen, was ein Fehler gewesen war, denn in diesem Moment holte der Richter aus.
»Halt!«, brüllte auf einmal eine Stimme und mein Herz setzte aus, als der Richter tatsächlich innehielt. »Ich bürge für dieses Mädchen!«
Ich sah, wie Joseph sich zwischen den Menschen in die erste Reihe drängte.
»So läuft das nicht, Bursche!«, entgegnete der Ausrufer.
»Sie ist noch ein Kind«, meinte Joseph auf mich deutend. »Und wenn niemand bestätigen kann, dass sie tatsächlich jemanden beklaut hat, kann das Urteil nicht vollstreckt werden.«
Einige Sekunden Stille verstrichen.
»Deine Familie genießt ein hohes Ansehen in dieser Stadt«, sagte der Ausrufer. Stille trat ein, die mir immer mehr Angst bereitete. »Deines Vaters wegen werde ich diese Göre freilassen. Unter einer Bedingung – du setzt sicher, dass sie nie wieder auch nur einen Fuß in irgendein Gasthaus setzt. Und wenn ich sie wiedersehen sollte, wird das ebenso wenig gut für sie ausgehen. Verstanden?«
»Verstanden, Ser«, sagte Joseph und in diesem Moment wurde ich auf die Beine gezerrt und in Richtung Treppe geschubst. Wankend lief ich die Stufen hinunter, direkt auf Joseph zu.
»Komm«, sagte er und zog mich mit sich. Ich stand so sehr unter Schock, dass ich nicht einmal etwas erwidern konnte. Ich ließ mich einfach mitziehen.

1746 Wörter

Irgendwie mögen es die Leute, Liz hinzurichten 😅😂

Wie findet ihr Joseph? Glaubt ihr, das hat Konsequenzen?

Und wer hat Liz verraten?

Die Taschenuhr - Lang lebe die Königin! [Band 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt