There is nothing more dangerous than security.
- Sir Francis Walsingham
3rd May, 1568
»Danke«, sagte ich, als Joseph mir etwas zu trinken reichte. Ich nippte kurz daran. »Was ist das?«
»Bier«, erklärte Joseph knapp und lehnte sich gegen den Tisch mir gegenüber. Wir saßen in seiner Küche, die nicht gerade groß war. Dennoch reichte sie für eine Feuerstelle, einen Tisch und vier Stühle.
Ich trank einige Schlucke und blickte verstohlen über den Rand des Bechers. Der Junge musterte mich.
»Hast du etwas gestohlen?«, fragte er auf einmal.
Langsam ließ ich den Becher sinken. »Nein ...«, ich machte eine Pause, »nicht wirklich. Ich war nur … dabei ...«
»Inwiefern dabei?«, hakte Joseph nach.
»Daisy hat das Geld gestohlen«, erklärte ich, »ich stand nur daneben.«
Ich sah dem Jungen an, dass er gerade zu einem Konter ausholte. Allerdings kam er nicht dazu, da in diesem Moment ein kleines Mädchen, ohne anzuklopfen, die Tür aufriss und in die Küche stolperte.
»Oh, 'tschuldigung«, nuschelte es peinlich berührt und schlug den Blick nieder, als es mich sah.
»Elizabeth, das ist Seraphine, meine Schwester«, stellte Joseph vor.
Das kleine Mädchen hatte kurze, braune Haare und es trug eine Hose und ein Hemd, so dass ich es beinahe mit einem Jungen verwechselt hätte. Jetzt verstand ich, was Joseph damit meinte, dass seine Schwester sich nicht wie ein Mädchen verhielt.
»Was ist?«, verlangte Joseph zu wissen, als Seraphine nicht die Anstalten zu machen, das zu tun, weswegen sie gekommen war.
»Vater will dich sprechen ...« Sie sprach leise und hielt den Blick weiterhin gesenkt. Ich war mir sicher, dass es meinetwegen war, und irgendwie ließ mich nicht der Gedanke los, dass ich jetzt in einem schlechten Licht vor dieser Familie da stand.
»Weswegen?«, hakte Joseph nach.
»Ihretwegen.« Das war das erste Mal, dass das Mädchen aufblickte und mich ansah, allerdings nur kurzzeitig.
Ja, ich stehe in einem schlechten Licht vor dieser Familie.
Joseph erhob sich mit einem genervten Seufzen und trat durch die Tür, durch welche seine Schwester gekommen war, hindurch. Diese war mit der Schmiede verbunden. Kurz darauf vernahm ich das laute Gebrüll einer tiefen Männerstimme – wahrscheinlich Josephs Vater. Nervös blickte ich zu Seraphine, die mich weiterhin ignorierte.
»Seraphine ist ein sehr schöner Name«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
»Danke«, sagte sie leise und blickte verstohlen auf. »Elizabeth ist auch ein schöner Name. Die Königin heißt so. Wenn ich groß bin, will ich genauso sein wie sie.«
»Du willst eine Königin sein?«, fragte ich.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will nur so stark und mutig sein wie sie.«
»Ich glaube, du bist bereits sehr stark und mutig«, sagte ich und lächelte leicht.
Das Mädchen lächelte zurück. »Ich vertreibe immer die Katzen, wenn sie unserer Schmiede zu nahe kommen, und die nervigen Jungen.«
»Na, siehst du?«
In diesem Moment betrat Joseph wieder den Raum und Seraphine verschwand mit einem leisen »Auf Wiedersehen«.
»Hast du Ärger bekommen?«, fragte ich den Jungen, sobald seine Schwester außer Reichweite war. »Meinetwegen?«
»Ich kann nicht behaupten, dass mein alter Herr nicht sauer war«, meinte Joseph, »allerdings hält das eh nie lange an.«
Ich nickte verstehend und stellte den Becher, den ich immer noch in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch.
»Wir müssen eine Lösung finden, dich erst einmal aus dem Blickwinkel des Richters zu schaffen. Ser Thomas wird das Ausgesprochene ansonsten wahrmachen; sieht er dich noch einmal, wird er keine Gnade walten lassen.«
»Warum eigentlich? Kann er jemanden einfach ohne feste Beweise verurteilen?«
»Thomas hasst Verbrecher jeder Art. Er hinterfragt keine Fakten. Er sieht jemanden ins Gesicht«, auf einmal kam Joseph so nah, dass uns nur noch wenige Zentimeter trennen; seine dunklen Augen durchbohrten mich, »und sieht einem tief in die Seele. Irgendetwas findet er immer. Sei es ein falscher Blick, eine falsche Bewegung – jeder von uns ist ein Sünder und jedem von uns wird eine Strafe zuteil. Thomas ist der wahre Scharfrichter. Jedoch gibt er kein gerechtes Urteil von sich.«
Ich wagte es erst wieder, zu atmen, als Joseph zurückgewichen war. Seine Worte waren so voller Wahrheit, dass ich insgeheim sofort hinterfragte, was seine Sünde war. Doch ich behielt es lieber für mich – wahrscheinlich wollte ich es auch gar nicht wissen.
»Und was geschieht jetzt mit mir?«, fragte ich stattdessen.
Joseph straffte seine Haltung. »Ich hab da schon eine Idee.«
Dass ich JJ's Aufforderungen kein bisschen bisher nachgegangen war, fiel mir erneut auf, als ich vor dem Hampton Court Palace stand. Das rote Gestein wirkte bei der aufgehenden Sonne noch kraftvoller als ich es von meiner eigenen Zeit kannte. Der Palast wirkte bereits jetzt wie ein monumentales Bauwerk. Da ich es jedoch noch prachtvoller kannte, wusste ich, dass noch einiges daran umgebaut werden würde.
»Ich danke Euch noch einmal, dass Ihr mir diese Chance ermöglicht«, sagte ich an Josephs Mutter Serena gewandt, die mich an diesem Morgen zu ihrer Arbeit brachte, um mich dem Personal vorstellen zu können.
»Danke mir nicht zu früh, Kind«, erwiderte die Frau mit den braunen Haaren, die sie streng hinten hochgesteckt hatte. »Diese Arbeit ist anstrengender als manche Arbeit eines Mannes, glaube mir.« Und mit diesen Worten ging sie voran. Ich folgte ihr durch den Torbogen; die Wachen ließen uns, ohne uns zu beachten, passieren. Durch den Personaleingang betraten wir schließlich das Schloss.
»Ich werde dich zunächst zu Lady Lettice bringen, die entscheiden wird, ob du überhaupt hier arbeiten darfst. Also mach einen guten Eindruck, Kind.«
Serena lief so zügig, dass ich wirklich Mühe hatte, an ihren Fersen zu bleiben. Als wir durch all die Korridore liefen, kamen uns immer mal wieder Diener entgegen, und ich fragte bereits des Öfteren, wie ich ihr überhaupt durchsehen sollte. Auf einmal blieb Serena vor einer Tür stehen. Bevor sie jedoch klopfte, wandte sie sich noch einmal an mich.
»Sie kann manchmal etwas streng sein. Lass dich nicht einschüchtern.«
Ich nickte, und da klopfte Serena bereits.
»Herein«, kam es kurz darauf aus dem Inneren und die Frau zu meiner Rechten öffnete die Tür.
»Ich wollte Euch unsere neue Bedienung vorstellen, M'lady, sofern es Euch beliebt.«
»Bring sie herein«, kam es nur tonlos zurück und auf Serenas Wink hin betrat ich das Zimmer.
Eine rothaarige Frau, wenige Jahre älter als ich, stand in Morgenmantel vor mir. Prüfend musterte sie mich, ließ ihren Blick an mir herabwandern.
Lettice Knollys, schoss es mir durch den Kopf. In einigen Jahren würde sie den Favoriten der Königin heiraten; und dafür verbannt werden.
»Wie ist dein Name, Mädchen?«, verlangte die Frau von mir zu wissen.
»Elizabeth, M'lady«, sagte ich und versuchte dabei den Blickkontakt so gut wie möglich aufrechtzuerhalten.
»Wie alt bist du?«
»Siebzehn.«
Lettice nickte, dann wandte sie sich an Serena. »Wo hast du sie gefunden?«
»Mein Sohn und sie sind befreundet. Er sagte, sie hätte einige Qualitäten. Ihre Mutter war bereits Dienerin am Hofe in Canterbury.«
Lettice hob abschätzend die Augenbrauen. »Canterbury? Die Stadt, die nur von trunkenen Geistlichen besessen ist? Matthew Parker ist der amtierende Erzbischof. Der alte Sack ist nicht einmal in der Lage seiner Königin ordentlich zu dienen; er ist weder im Geheimrat, noch lässt er sich hier blicken, wenn er zu einem Fest geladen ist.«
»Man erzählt sich, er bewegt sich so wenig, dass es drei Bedienstete benötigt, die ihn stützen müssen«, meinte ich spaßeshalber; auch wenn ich keine Ahnung hatte, wer Matthew Parker war.
Kurz musterte mich die Hofdame, dann lächelte sie knapp. »Du hast Humor, Kleine, und du scheinst mir taff.« Lettice schnipste. »Serena, bring sie zu Paul. Er soll dem Mädchen alles Wichtige zeigen.«
Wir verließen Lettices Gemach und erneut begann der unendlich scheinende Weg durch das Schloss.
»Das nächste Mal sprichst du erst, wenn man dich auffordert«, meinte Serena erbost. »Sie ist nicht nur die Hofdame der Königin, sondern sie ist auch adlig. Sie steht über dir, vergiss das nicht. Keine Ahnung, was man dich in Canterbury gelehrt hat, aber London ist nicht die Stadt der Geistlichen, sondern die Stadt der höchsten und stärksten Mächte Englands.«
»Verstanden«, sagte ich nur, und da erreichten wir auch schon den Raum, in welchem sich die Bediensteten zurückziehen konnten.
»Paul?«, rief Serena durch den Raum. Viele männliche Bedienstete saßen hier und spielten zusammen Karten oder aßen.
Kurz darauf erhob sich ein junger Mann, der ein schwarzes Barett trug und eine Schecke, deren Kragen teilweise aufgeknöpft war. Locker kam er auf uns zu, was ihn nicht arrogant, sondern eher unbesonnen wirken ließ.
»Das ist Elizabeth. Sie wird ab heute bei uns arbeiten. Lady Lettice möchte, dass du sie herumführst und ihr alles erklärst, ja?«
»Dann muss jemand anderes Sir Francis übernehmen«, meinte Paul nur. »Er ist vor einigen Tagen mit seinem Stiefsohn Christopher nach London zurückgekehrt. Ich sollte ihn eigentlich etwas an den Hof gewöhnen. Seine Mutter starb vor vier Jahren, sein Vater ist ebenfalls tot. Der Junge hat niemanden mehr.«
»Ich weiß, wie gerne du Walsingham dienst, Paul, aber ich gebe hier nicht die Befehle. Jemand anderes wird deine Aufgabe mit dem Jungen übernehmen oder du lässt es verschieben. Ich bin mir sicher, dass Sir Francis das verstehen wird. Ihm bedeutet deine Meinung viel.« Mit diesen Worten verschwand Serena und ließ mich somit hilflos zwischen all den Unbekannten stehen.
»In Ordnung«, murmelte Paul und sah mich in diesem Moment zum ersten Mal an. »Dann sollten wir beginnen. Das wird nämlich eine Weile dauern.«
Ganz unrecht hatte er nicht; denn er zeigte mir gefühlt jede Küche, jeden einzelnen Trakt und jede Blume im Garten. Natürlich durfte nicht das 'große Haus der Erleichterung' fehlen; eine große wassergespülte Toilette mit 28 Plätzen. Hinzu kam der große Bankettsaal, die Kapelle, die Tennisplätze und die Bowlingbahnen. Sichtlich froh war ich, als es hieß, dass wir uns nicht den 450 Hektar großen Wildpark ansehen würden – Paul erwähnte nur, dass er existierte, und das reichte vollkommen; ich würde ihn mir ja eh nie ansehen, da ich da nichts tun konnte, was entweder zu meinem Geschlecht, noch zu meinem Zuständigkeitsbereich gehörte.
»Viele der Dienerschaft leben hier in eigenen Wohnungen. Ich schätze, das wirst du auch, oder?«, fragte Paul mich, während wir durch den Garten liefen.
»Ähm, keine Ahnung«, gestand ich. »Serena hat noch nichts dazu gesagt.«
»Ja, Serena ist eine der wenigen, die mit ihrer Familie in der Stadt lebt. Doch bei dieser Familie wundert es auch keinen. Ihr Ehemann, der Alte Pete, hat jede Bitte abgeschlagen, hier seine Schmiede aufzubauen, und obwohl er unten in der Stadt lebt, ist er einer der königlichen Schmiede. Die Familie erntet dadurch hohes Ansehen. Es erstaunt mich, dass du Bekanntschaft mit ihnen gemacht hast.«
»Ja, es war eher Zufall gewesen«, meinte ich.
Paul lächelte nur.
»Serena meinte, dass Francis Walsingham hohen Wert auf deine Meinung legt. Du stehst ziemlich weit oben, oder?«
»Ich verstehe nicht recht, was du meinst«, sagte Paul.
»Ich meine, es ist doch nicht sonderlich oft so, dass Diener geschätzt werden, oder?«
»Du denkst, alle Diener werden wie Abschaum behandelt?«, gab Paul fragend zurück.
»So in der Art, ja.«
Da begann der junge Mann zu lachen. »Ich schätze, du hast noch nicht an sonderlich vielen Höfen gearbeitet. Natürlich bin ich weder adligen Geschlechts, noch habe ich das Recht die Adligen zu bevormunden. Sir Francis schätzt mein Wort, weil er es so will. Nicht jeder tut das. Selbst die Königin hat ihre Lieblingshofdamen und jene Hofdamen, die lieber den Mund halten sollten, egal ob sie adlig sind. Meine Aufgabe ist es, zu dienen, das tue ich. Dabei bin ich das, was man gerade von mir verlangt, zu sein – der Berater, der Stumme, der Freund. Du musst dich an deine Herren anpassen; das ist das, was dich als Diener ausmacht. Du musst wissen, wann du unsichtbar bleibst und wann du ins Licht trittst.«
Nachdenklich musterte ich ihn. So wie es zumeist in den Filmen dargestellt worden war, dass die Dienerschaft nur irgendwelche Trampel waren, die wie Abschaum behandelt wurden, so war es in Wirklichkeit gar nicht.
»Paul, ich habe dich schon gesucht«, erklang in diesem Moment eine Stimme und als ich nach vorne blickte, stand vor uns ein Mann mit dunklen gelockten Haaren, die unter seinem Barett hervorblickten. Auf dem schmalen, bartlosen Gesicht trug er ein sanftes Lächeln. Seine Haltung war gestrafft, dennoch nicht zu streng und militärisch.
»Sir Francis«, sagte Paul und verbeugte sich, die Arme auf dem Rücken verschränkt. Sofort knickste ich mit gesenktem Kopf – es war eher aus Reflex und wirkte ziemlich unbeholfen, doch achtete der Mann eher weniger auf mich.
»Ich hatte dich erwartet, doch Jack sagte mir, dass du einen Neuzugang einweisen solltest.«
Paul richtete sich auf, und erst da hob ich ebenfalls den Blick. »Verzeiht, Sir. Das nächste Mal werde ich sofort Eurer Bitte nachkommen.«
Walsingham winkte ab. »Nicht so wild. Christopher ist eh zu sehr damit beschäftigt, sich mit seinen Bücher zu befassen und sich zu belesen. Er wird bald wieder die Universität Cambridge besuchen.«
»Cambridge? Eine gute Wahl, Sir!«
Der Mann nickte dankend. »Wenn es deine Zeit erlaubt, würde ich dich bitten, jetzt deiner Aufgabe nachzugehen. Es hat keine Eile, dennoch würde ich es begrüßen, wenn der Junge für wenige Stunden das angenehme Maiwetter genießt. Vielleicht könnt ihr beide Tennis spielen?«
Paul nickte respektvoll. »Natürlich, Sir.« Dann wandte er sich an mich. »Morgen beginnt dein Arbeitstag. Pünktlich bei Sonnenaufgang!« Damit ging er davon. Sir Francis jedoch blieb noch stehen und musterte mich prüfend, was mir ziemlich unangenehm war. Wahrscheinlich wäre ich einfach weggegangen, würde ich mich in meiner Zeit befinden, allerdings sah es jetzt anders aus, denn wusste ich nicht, ob es der Hierarchie wegen erlaubt war, einfach zu gehen.
»Wie ist dein Name?«, fragte der Mann.
Bald konnte ich für diese Frage eine Strichliste führen.
»Elizabeth, Sir.«
»Du bist nicht von hier, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aus Canterbury.«
»Canterbury. Tatsächlich.« Er stellte es nicht als Frage, doch sein Nicken daraufhin und sein stechender Blick ließen mich verkrampfen.
»Ja«, sagte ich nur und versuchte dabei so ehrlich wie möglich zu klingen.
Noch einmal nickte der Mann. »Dann noch einen schönen Tag, Elizabeth aus Canterbury.« Wie er es sagte und seine Art, wie er sich abwandte und gemächlich seinen Weg fortsetzte, ließ mich wissen, dass er etwas ahnte. Nicht die Sache, dass ich aus einer anderen Zeit kam, eher, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, und das bereitete mir Sorge.2349 Wörter
Heute ist Sonntag - das heißt, ein neues Kapitel!
Liz arbeitet jetzt am Hof, zumindest versucht ihr es. Was haltet ihr von den Leuten, denen sie begegnet ist?
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Die Taschenuhr - Lang lebe die Königin! [Band 2]
AventuraNach dem Abenteuer in Rom ist Eli wie ausgetauscht - und das fällt jedem auf, dem sie begegnet. Auch JJ, einer Mitschülerin, welcher sie sonst aus dem Weg gegangen war. Zwischen den beiden ungleichen Mädchen entwickelt sich eine Freundschaft, die zu...