Chapter 8

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All my possessions for a moment of time

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All my possessions for a moment of time.
- Elizabeth I.

May 4th, 1568

Der nächste Tag stellte sich als besonders stressig heraus und ließ mich vorerst vergessen, in was für einer beschissenen Lage ich mich mittlerweile befand. Morgens musste ich mich für den Dienst in der Küche anmelden, wo uns die Aufgaben zugeteilt wurden. Ich begleitete die alte Dienerin Molly, die bereits seit dreißig Jahren angestellt war, zu Blanche Parry, welche die Oberste Kammerfrau der Geheimkammer und die Wächterin der Juwelen der Königin war.
Als wir das Zimmer betraten, ging ich herüber zum Fenster und zog die Vorhänge auf, so wie es mir zuvor gesagt wurde. Das Licht der Morgensonne schien sofort hindurch und gab das Gesicht der Kammerfrau zu erkennen.
»Lady Blanche«, sprach Molly sie an.
Die Frau erwiderte nichts, sondern warf die Decke beiseite und erhob sich. Sie war bereits sechzig Jahre alt. Ihre rot-braunen Haaren, die zerzaust von ihrem Kopf herabhingen, zeigten graue Strähnen auf. »Mein Morgenmantel, Molly«, sagte sie und die Zofe, die diesen bereits in der Hand hielt, zog ihn Blanche über.
»Wer ist die Neue?«, verlangte diese zu wissen, ohne mich anzusehen.
»Elizabeth, M'lady.«
»Die Waschschüssel, Molly«, sagte Blanche daraufhin nur, als hätte sie bereits Interesse an mir verloren. Doch kaum war Molly verschwunden, wandte sich die Kammerfrau an mich. »Und du, Kind, das gelbe Kleid.«
Allmählich war ich es leid, von jedem als Kind oder Mädchen bezeichnet zu werden, aber anscheinend war das hier noch mehr Gang und Gebe als in meiner Zeit, dass die Älteren auf die Jüngeren herabblickten.
Sofort ging ich zum Kleiderschrank und suchte nach einem gelbe Kleid. Ich zog es heraus und versuchte es so vorsichtig wie möglich auf dem Bett abzulegen. Da kam bereits Molly mit der Waschschüssel, die sie auf den Tisch stellte. Während Blanche Parry sich wusch, brachte die Zofe den Nachttopf weg, so dass ich wieder allein mit der Frau war. Diese verschwand kurz darauf hinter dem Paravan und zog sich um. Ich wartete mitten im Zimmer, ohne zu wissen, was ich jetzt tun sollte.
»Willst du da den ganzen Tag herumstehen, Kind?«, erklang auf einmal die Stimme Blanches. »Eine alte Frau wie ich kann sich nicht mehr alleine anziehen.«
Hastig eilte ich hinter den Paravan und wurde sogleich meinem ersten Problem ausgesetzt – ich hatte bisher noch niemanden angezogen; vor allem nicht solch eine Kleidung. Blanche trug bereits ein Hemd, welches an den Knien mit Bändern fixiert worden war. Nun lagen mehrere Kleidungsstücke über dem Paravan, was mich sofort in Panik versetzte.
Beruhige dich, Liz. Es darf nicht auffallen, dass du in Wirklichkeit ein dummes, planloses Mädchen bist.
Ich atmete tief durch und ergriff das, was noch am sinnigsten zu sein schien – der weiße Unterrock. Ich versuchte mich, so gut es ging, an die zahlreichen Geschichtsfilme zu erinnern, die ich mit JJ geguckt hatte. In denen haben Zofen oft die Damen angekleidet.
»Schläfst du gleich ein?«, fragte Blanche auf einmal und riss mich sofort aus den Gedanken.
»Nein, ich … Verzeihung.« Ich zog den Unterrock über den Kopf der Frau, dann ergriff ich das Korsett, welches am Bauch spitz zulief, und legte es Blanche um. Erneut verfiel ich in Panik. Die ganzen Schnüre am Rücken überforderten mich.
»Hast du schon einmal jemanden angekleidet?«, fragte Blanche, die mein Zögern bemerkt hatte.
»Nein«, gestand ich.
»Es scheint, als müsstest du noch Vieles lernen, Kind.«
In diesem Moment trat glücklicherweise Molly hinter den Paravan.
»Molly, zeig dem Kind, wie das geht.«
Die Zofe nickte und ich trat zur Seite, damit sie Blanche das Korsett schnüren konnte. Allerdings zog sie es ihr wieder aus und auch den Unterrock. Dann schnürte sie das Korsett und legte den Unterrock darüber. Nun war mir die Situation noch peinlicher. Nach diesem kam der riesige Reifrock, der ab der Taille ein radartiges Untergestell hatte und dann wie eine Tonne zu den Boden fiel. Nun folgte das Kleid, bei welchem ich helfen musste. Als wir es der Frau übergezogen hatten, fiel mir erst auf, wie es optisch wirklich aussah. Vorne war es offen, so dass der Rock darunter zu erkennen war, welcher sich zusammen mit den Ärmeln farblich und stofflich vom restlichen Kleid absetzte. Diese waren rötlich-braun. Das restliche Kleid bestand aus einem gelben Stoff mit blumenartigen Symbolen. Zudem war das Kleid eckig ausgeschnitten.
Doch das war noch nicht alles. Wir stopften die Ärmel an den Schultern und am Oberarm aus. Zudem mussten wir den Rock über dem Reifrock mit Nadeln in Falten stecken. Danach legten eine fächerförmige Halskrause um, welche sich vorne V-förmig öffnete. Es folgten Schuhe und Handschuhe. Ich machte mir irgendwann nicht mehr die Mühe, darauf zu achten, woraus sie bestanden – ich schätze, es würde euch auch nur langweilen. Wir steckten Blanches Haare hoch und legten ihr ein Haarnetz um, welches vorne als Akzent einen kleinen Stein aufzeigte sowie eine klobige Kette mit einem Saphir.
Als wir endlich fertig waren, konnte ich nicht anders, als erleichtert aufatmen. Glücklicherweise bemerkte niemand meine Freude. Ich betrachtete Blanche kurz aus einem Meter Entfernung, und musste feststellen, dass das alles andere als meine Mode war. Viel zu viel Prunk, viel zu viel Mist, welchen man trug. Da war ich froh über meine Tunika und meine Haare, die hinten mit einem Band zugeschnürt waren. Eine Haube hätte ich tragen müssen, sofern ich verheiratet gewesen wäre.
»Die Königin erwartet euch bereits, M'lady«, sagte Molly.
»Danke, Molly.« Blanche lief mit ihrem unfassbar breiten Kleid in Richtung Tür, blieb jedoch vor mir stehen. »Ich will, dass du ab heute jeden Tag meine Kammerzofe bist. Das nächste Mal erwarte ich, dass du alles im Schlaf kannst, verstanden?«
»Ja, M'lady.« Demütig ließ ich den Kopf sinken.
»Und sei nicht so still, das nervt mich. Eine alte Dame wie ich will unterhalten und nicht von einem so jungen Ding wie dir bemitleidet werden.«
»Ich habe Euch nicht -«
Ehe ich weitersprechen konnte, hob Blanche die Hand. »Du hast es gedacht. Tief da drin.« Sie tippte mir an die Stirn. »Heute Abend sehe ich dich wieder, Kind. Molly, du hast diesen Abend frei.« Und mit diesen Worten ging sie davon, begleitet von Molly, während ich einfach im Zimmer stand und nicht wusste, was ich gerade alles auf mich zukam.

Die Taschenuhr - Lang lebe die Königin! [Band 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt