Kapitel 1

2K 51 1
                                    

Leilas Sicht

Schreie, überall ertönten lautstarke Schreie. Ich hörte die Stimme meiner Freundin im Ohr. "Runter, Leila. Mach schon." Ich spürte ihre Hand auf meinem Arm, wie sie mich versuchte auf den Boden runter zu drücken. Wieder ertönte ein Schuss durch die Halle. "Wir müssen hier raus, Maja. Sonst sind wir tot." Ich riss sie mit mir hoch und sah mich suchend nach dem Ausgang um. Überall waren Menschen, welche panisch durch die Gegend rannten. Ich versuchte Majas protestierende Stimme zu ignorieren und zog sie hinter mir her. Wir hatten die Mitte der Halle erreicht, als genau vor uns eine Frau lag, sie lag in einer Blutlache und ich musste an mich halten, um mich nicht zu übergeben. Ich ließ Majas Hand los und beugte mich runter, um nach einem Puls zu fühlen. Doch so sehr ich mich anstrengte, ich konnte leider keinen mehr finden. "Leila", hörte ich Maja schreien. Ich blickte wieder hoch und sah einen jungen Mann mit einer Waffe in ein paar Metern Entfernung stehen. Ich hatte das Gefühl, die Welt war stehen geblieben, alle Schreie und Schmerzenslaute waren für mich nicht mehr zu hören. Da war nur noch dieser Mann, welcher mir mit seinen schwarzen Augen hasserfüllte Blicke zuwarf. Warum hatte ich mich zu dieser Frau runter gebeugt, wieso war ich nicht mit Maja weiter gerannt? Renn, schrie mich mein Verstand an. Aber im Inneren wusste ich, dass ich keine Chance mehr hatte. Ich konnte sehen, wie sich seine Hand Richtung Abzug bewegte und wartete auf den Schmerz. Doch statt eines Schmerzes, riss mich irgendwas mit Gewalt zu Boden und Schwärze breitete sich vor meinen Augen aus.

Ein ekeliger Geruch nach Abgestandenem und Blut stieg mir in die Nase und ich drehte meinen Kopf zur Seite, um mich zu übergeben. Warum war ich noch am Leben, schoss es mir durch den Kopf. Ich wendete meinen Kopf zur Seite und erkannte erst jetzt, wo ich drauf lag, so dass mir mein Mageninhalt schon wieder hochkam. Mühsam stemmte ich mich nach oben, als ich einen ausgestreckten Arm vor mir wahrnahm. "Können sie aufstehen? Ich helfe ihnen", hörte ich eine Männerstimme sagen. Ich versuchte zu nicken und ergriff die fremde Hand. Als ich neben dem Unbekannten stand, bemerkte ich erst, wie wackelig ich auf den Beinen war und griff panisch nach seinem Arm. "Geht es?", hörte ich ihn besorgt fragen. "Ja, geht schon, nur etwas schwindelig." "Ich bin übrigens Wincent." "Leila", erwiderte ich. Mein Blick wanderte wieder runter zu der toten Frau, welche wahrscheinlich meinen Sturz abgefedert hatte. "Wo ist Maja?", fragte ich ihn panisch. Wincent sah sich stirnrunzelnd um. "Wer ist Maja? Außer dich habe ich keinen mehr gesehen, zumindest lebend", fügte er leise hinzu. Panisch drehte ich mich um, doch überall war ein solches Durcheinander, dass ich niemanden erkennen konnte. "Ich muss sie finden. Wir waren zusammen hier." Doch Wincent schüttelte den Kopf. "Das bringt nichts, wenn sie noch lebt, wird sie es nach draußen geschafft haben." Er zog mich Richtung Ausgang, während ich mich immer wieder suchend umblickte. Doch von Maja war nichts zu sehen. Als wir den Ausgang erreichten, konnte ich nicht sagen, wie viele Leichen ich gesehen hatte oder über, wie viele ich gestolpert war. Das erste was mich empfing, war eine eiskalte Novembernacht und Blaulicht, welches sich in den Fenstern spiegelte. Ein Sanitäter kam auf uns zugerannt. "Sind sie verletzt?", hörte ich ihn fragen. Ich schüttelte den Kopf und sah mich nach Maja um. "Leila, du blutest am Kopf", hörte ich Wincent sagen. "Du solltest dich behandeln lassen." Verwundert fasste ich mir an den Kopf und spürte, dass ich eine Platzwunde am Kopf hatte. Doch ich schüttelte den Kopf, ich musste Maja finden. "Pass auf, ich suche sie und du lässt dich, während dessen behandeln. Welche Haarfarbe hat sie denn?" "Braune lange Haare und ca. 1,80 cm groß." Ich versuchte mich an ihre Klamotten zu erinnern, doch in meinem Kopf herrschte nur Leere. "Ich finde sie, versprochen", hörte ich ihn sagen. Wincent drückte meine Hand nochmal und verschwand in der Dunkelheit. "Am Besten gehen wir zum Rettungswagen, damit ich mir ihre Verletzung genauer ansehen kann." Panisch blickte ich in die Dunkelheit. Der Sanitäter schien meine Sorge zu verstehen. "Keine Sorge, ihr Freund wird uns schon finden." Ich wollte erwidern, dass er nicht mein Freund war, sondern ein Unbekannter. Aber die Worte wollten nicht über meine Lippen kommen.

Ein Teil von dir, ist immer noch hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt