Kapitel 22

1.3K 41 12
                                    

Leilas Sicht

Schon wieder war ich auf der Flucht nur diesmal wusste ich noch nicht wohin. Ich hatte mich mit Mia auf dem Weg zum Bahnhof gemacht, wieso das wusste ich selber nicht. Wo sollte ich überhaupt noch hin? Es gab keinen Ort mehr, wo ich hinkonnte, wo ich überhaupt sicher war. Doch trotzdem gab es noch diesen einen kleinen Lichtblick. Obwohl ich mir noch nicht mal sicher war, ob es überhaupt ein Lichtblick war. Aber es war die einzige Chance, die ich hatte. Mia schlief seelenruhig und bekam von meiner Unruhe zum Glück nichts zu spüren. Ständig wanderte mein Blick zwischen dem Bahnsteig und der Uhr hin und her. Die Angst Kilian auf dem Bahnsteig zu sehen oder die Polizei, ließ mir eine Gänsehaut den Rücken runterlaufen. Unruhig musterte ich die Menschen in meiner Umgebung, doch die meisten waren beschäftigt und würdigten mich keinen Blickes. Trotzdem war ich erleichtert, als der Zug einfuhr und die roten Leuchtbuchstaben der Endhaltestation mir wie eine Zuflucht erschienen. Die Zugfahrt würde mindestens zwei Stunden dauern. Von daher war ich froh, dass ich einen Sitzplatz direkt am Fenster fand, damit Mia wenigestens rausschauen konnte. Das Zugabteil war ziemlich voll und der ältere Herr, welcher mir gegenüber saß, musterte mich neugierig. Jedoch sah es nicht so aus, als würde von ihm Gefahr ausgehen. Ich ließ Mia im Maxi-Cosi liegen, da ich sie nicht wecken wollte. Mein Blick wanderte zum Fenster, wo in einem Eiltempo die Landschaft an mir vorbeizog und ich Hamburg hinter mir ließ. Das erste Mal seit Jahren, dass ich Hamburg ohne Kilian verließ. Seit ich zu Kilian nach Hamburg gezogen war, hatte ich keinmal die Stadt alleine verlassen. Jetzt fühlte es sich wie eine Befreiung an, obwohl es eine Fahrt ins Ungewisse war. Ich kramte mein Handy aus meiner Handtasche, welches schon wieder mehrere Nachrichten anzeigte. Ich wischte alle weg und ging auf meine Kontakte. Ich scrollte soweit runter bis ich bei W war und ließ meinen Finger über dem Display verweilen. Sollte ich wirklich oder war das alles nur eine schwachsinnige Idee? Er war ein Fremder, wir hatten uns nur einmal gesehen und ein paar Mal telefoniert. Aber welche Chance hatte ich noch? Ich musste es wenigstens versuchen. Mit zitternder Hand presste ich mir das Telefon ans Ohr und lauschte dem stetigen Tuten. Ich dachte schon, dass er nicht mehr drangehen würde und wollte auflegen. Doch in dem Moment meldete sich seine Stimme. "Wincent, hallo?" Ich zögerte, seine Stimme hörte sich so weit weg an. Vielleicht war es doch die falsche Entscheidung. "Hallo, ist da jemand?" "Leila ist hier, sorry. Ich wollte nicht stören. Tut mir leid." "Hey, du störst doch nicht. Ich freue mich, dass du anrufst. Ich wollte dich auch schon anrufen." Ein Lächeln huschte mir über die Lippen, das allererste heute. "Ich bin ab heute in Berlin, vielleicht hast du Lust dich zu treffen? Aber nur wenn du Zeit hast?", schob ich schnell hinterher. "Ja, gerne. Ich habe schon die letzten Tage überlegt, ob ich einfach mal nach Hamburg kommen soll. Aber ich wollte dich nicht überfordern, solange ist das ja alles noch nicht her." Ich schluckte und versuchte nicht an diesen Tag zu denken. "Ich bin wohl noch in Schleswig-Holstein bei meiner Familie. Ich fahre morgen früh zurück nach Berlin. Ich bräuchte ca. zwei Stunden, ich würde dich dann anrufen, wenn ich da bin." "Oh, Gott. Hätte ich gewusst, das du bei deiner Familie bist, hätte ich nicht angerufen. Tut mir unfassbar leid", entschuldigte ich mich. "Alles gut, wir sind sowieso noch am Streiten, welchen Film wir uns heute Abend anschauen sollen." "Was steht denn zur Auswahl?", fragte ich neugierig. "Tatsächlich Liebe und Avengers: Infinity War." "Lass mich raten, du bist für Avengers", erwiderte ich lachend. "Wie kommst du denn dadrauf?", antwortete Wincent beleidigt. "Das weiß ich auch nicht. Ich habe nur geraten. Aber 'Tatsächlich Liebe' ist so ein schöner Weihnachtsfilm und ganz viel zum Lachen. Den musst du mal gesehen haben. Der perfekte Familienfilm." "Das hat meine Mom auch gesagt", erwiderte Wincent. "Dann werden ich mich wohl mal breitschlagen lassen. Aber wehe der Film ist nichts." "Ich verspreche dir du wirst lachen. Er ist richtig gut." Ich hörte eine Frauenstimme im Hintergrund und Wincent, welcher antwortete, dass er gleich kommt. "Ich will dich nicht weiter aufhalten. Mach dir einen schönen Abend mit deiner Familie." "Danke. Bist du schon in Berlin?" "Nein, noch nicht. Ich sitze im Zug." "Dann komm gut an und ich melde mich morgen bei dir." "Ja, ist gut. Bis morgen." Ich legte auf und presste das Handy glücklich an meine Brust. "Das hört sich nach einem tollen Freund an", erwiderte der Mann, welcher mir gegenüber saß und mich musterte. "Äh, nur ein Freund. Nichts festes", sagte ich und ließ mein Handy in der Tasche verschwinden. "Sicher", sagte er und zwinkerte mir zu. Verwirrt drehte ich mich zu Mia, welche immer noch schlief und bis jetzt noch nichts mitbekommen hatte.

Ein Teil von dir, ist immer noch hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt