Kapitel 5

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Leilas Sicht

Das Taxi hielt ein paar Meter außerhalb von der Halle, da die Halle mit einem Absperrband weitläufig abgesperrt war. Es herrschte ein großes Polizeiaufgebot und überall tumelte sich die Presse. Ein Mann mit braunen Haaren winkte uns von Weitem aufgeregt zu. "Einer meiner Freunde", hörte ich Wincent sagen, welcher zurück winkte. Ich nickte. "Ich möchte dich nicht weiter aufhalten. Du kannst ruhig zu deinen Freunden gehen." "Sicher? Soll ich nicht noch deine Tasche mitsuchen gehen?" "Nein, danke, dass bekomme ich schon hin." "Dann lass uns, wenigstens noch die Nummern tauschen. Kannst du deine auswendig?", fragte er und zog sein Handy aus der Hosentasche. "Klar", sagte ich und diktierte ihm meine Nummer. "Am Besten, schreib ich dich an. Schreib einfach zurück, wenn du dein Handy wieder hast", meinte er. "Ist gut." Er zog mich nochmal in eine feste Umarmung. "Pass auf dich. Und melde dich, sobald du dein Handy wieder gefunden hast." "Mache ich. Und danke für alles, Wincent." Ich löste mich aus seiner Umarmung und beobachtete ihn, bis er bei seinem Freund angekommen war und mit ihm einschlug. Ich löste meinen Blick von Wincent und überlegte, wo ich jetzt am Besten meine Tasche finden konnte. Ich ließ meinen Blick über das Gelände schweifen und sah in einiger Entfernung ein provisorisches Schild mit der Aufschrift "Helping Point" stehen. Ich beschloss, dort mein Glück zu versuchen. "Entschuldigung, ich war gestern auf dem Festival und habe im Chaos meine Tasche verloren. Können Sie mir dazu irgendwie weiter helfen?" Die Dame nickte und zeigte auf ein weißes Zelt, welches hinter mir stand. "Alles was liegen geblieben ist, befindet sich dort vorne in dem Zelt. Es kann jedoch sein, dass einige Tasche noch in der Halle sind, im Moment dürfen wir sie jedoch aufgrund der Einsturzgefahr nicht betreten." "Okay, danke. Dann versuche ich dort mal mein Glück." Und tatsächlich zu meiner Überraschung, befand sich meine schwarze Tasche im Zelt, sie war zwar voller Blutflecken, doch meine Wertsachen waren noch alle da. "Können Sie sich irgendwie ausweisen, dass ich weiß, dass die Tasche Ihnen gehört?", sprach mich ein Polizist an. "Ja, ein Moment", meinte ich und zog meinen Personalausweis aus meinen Portmonee raus. Auf dem Foto konnte man eindeutig sehen, dass es sich um mich handelte. "Ja, super, dass passt", hörte ich den Polizisten sagen. "Dankeschön." Ich schaltete mein Handy an und sah etliche Nachrichten und Anrufe von Freunden, Familie und Kilian. Ich ignorierte sie alle und blickte auf mein Sperrbildschirm, auf welchem Maja mich anstrahlte. Es war eines meiner Lieblingsbilder von uns gewesen und war erst vor einer Woche von uns entstanden, als Kilian im Park einen Schnappschuss gemacht hatte. Eine Träne tropfte auf das Bild und ich wischte sie eilig fort. "Maja", flüsterte ich. "Wieso, das alles?" Mir fiel wieder der Brief ein, den mir der Arzt in die Hand gedrückt hatte, vorsichtig zog ich ihn aus meiner Hosentasche. Meine Hände zitterten so stark, dass es ewig dauerte, bis ich das Kuvert auf hatte. "Leila", stand in großen Buchstaben auf dem Papier. "Ich habe lange überlegt, dir diesen Brief zu schreiben, aber die Ärzte machen mir wenig Hoffnungen, dass ich die Nacht überleben werde. Ich habe die Hoffnung aufgeben, dass ich mein Baby nochmal in meinen Armen halten darf, dafür bin ich einfach zu schwach. Ich weiß, ich war immer die Kämpferin von uns beiden und es tut mir leid, dass ich mich vor dich geworfen habe. Aber sonst würde du jetzt hier liegen und mit dem Tod kämpfen und mein Leben ist schon verkorkst genug. Ich meine, ich habe es dir nie gesagt, aber ich habe dich um dein Leben beneidet. Du warst glücklich, du warst happy mit Kilian, hast eine tolle Familie, die hinter dir steht. Du bist mit deinem Studium erfolgreich, verdienst gut Geld nebenbei, hast ein Haus mit Kilian. Ich weiß, ich habe nie gesagt, dass ich unglücklich bin, weil ich immer versuchte, das Beste daraus zu machen. Aber ich stand alleine da, war hochschwanger, hatte mehrere Nebenjobs, keinen festen Verdienst, mein Studium konnte ich kaum finanzieren, hatte keine Familie, die hinter mir stand. Und diese unendliche Panik meinem Kind nicht das geben zu können, was es später brauchte. Es ist kein Vorwurf an dich, aber bei dir sah alles so einfach, so leicht, so perfekt aus. Ich weiß, dass war es auch nicht immer bei dir gewesen, aber als dieser Mann vor dir stand mit der Waffe.... Ich wusste, dass er schießen wird, ich habe mich in dem Affekt vor dich geworfen, weil ich gedacht habe dein Leben wäre zu schade, als das es jetzt schon zu Ende wäre. Ich weiß du denkst, wie unverantwortlich ich gewesen bin, da ich nicht nur für mich alleine verantwortlich war. Aber das Baby hat überlebt und ich weiß, du kannst viel besser für das Kind sorgen. Es tut mir leid, dass ich dich in diese Rolle reingedrängt habe, aber ich vertraue dir dieses Baby an, weil ich weiß, was du für ein toller Mensch bist. Das alles könnte ich der Kleinen nie bieten. Kilian und du könnt ihr das alles bieten. Und ich weiß es war mehr als egoistisch, so zu handeln, dass Baby hätte es nicht schaffen können, aber vielleicht war es das Risiko wert, damit die Kleine ein besseres Leben hat. Ich liebe sie über alles, Leila. Sag ihr das, wenn sie groß ist und ich liebe dich Leila für alles in den letzten Jahren, für deinen Mut, deinen Kampfgeist und für deinen Glauben an mich, als ich schon selber nicht mehr an mich geglaubt habe. Es tut mir unfassbar leid. Verzeih mir, Süße." Der Brief verschwomm vor meinen Augen und ich merkte, wie die Schrift vor meinem Augen verwischte. Mein Handy klingelte neben mir. Kilians Name blinkte auf. Ich drückte ihn weg. Ich konnte nicht, konnte jetzt einfach nicht mit ihm reden. Mein Entschluss stand fest, ich musste ins Krankenhaus zurück.

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