Kapitel 2

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Leilas Sicht

Bevor Wincent mich erreichen konnte, liefen bei mir die ersten Tränen. Sein Gesichtsausdruck konnte einfach nur bedeuten, dass sie ... Aber ich wollte es mir einfach nicht vorstellen, dass konnte doch nicht sein. "Leila", hörte ich Wincent immer wieder sagen. "Seid ihr aus Hamburg?" "Was??", fragte ich total verwirrt. "Ob ihr in Hamburg wohnt?" "Äh, ja. Wieso?" Doch er ging auf meine Frage nicht ein und wurde stattdessen noch blasser. "Bist du mit dem Auto hier?" "Ja, also nein. Es ist Majas Auto und ich weiß nicht, wo die Schlüssel sind." "Okay, dann nehmen wir ein Taxi", sagte er und zog sein Handy aus der Hosentasche. "Wieso Taxi? Wohin willst du?" "Sie wird ins Krankenhaus gefahren." Warte, ich dachte, sie hätte es nicht geschafft. Doch bevor ich mich darüber freuen konnte, spürte ich, dass da noch irgendwas war. "Ich habe sie nicht richtig gesehen, aber der Sanitäter meinte, dass deine Beschreibung passen würde. Sie ist, aber schwer verletzt." Schwer verletzt, schoss es mir durch den Kopf. Was war bloß mit dem Baby? "Wie geht es deiner Platzwunde?", riss mich Wincent aus meinen Gedanken. "Geht schon", erwiderte ich stirnrunzelnd. "Müssen wir nicht noch irgendwelche Aussagen machen?", fragte ich, als Wincent das Taxi zu uns winkte. "Nein, ich habe meine Personalien und deinen Namen einer Polizistin gegeben. Ich hoffe, das war okay." Ich nickte. Wincent hielt mir die Tür des Taxis auf und ließ sich neben mir auf dem Rücksitz nieder. "Wir müssten ins Albertinen Krankenhaus", rief er dem Taxifahrer zu. "Kommst du von hier?", fragte ich ihn. Er drehte sich perplex zu mir. "Oh, ich dachte du würdest wissen, wo ich..." Ich schaute ihn verständnislos an, woher sollte ich wissen, wo er wohnte. Ich kannte ihn doch gar nicht. "Im Moment wohne ich in Berlin, aber ich komme aus der Nähe von Kiel." Ich nickte, obwohl ich nicht verstand warum er auf ein Konzert in Hamburg ging, wenn er zurzeit in Berlin wohnte. "Wir sind da", hörte ich den Taxifahrer sagen, vor uns erstreckte sich ein riesiger Gebäudekomplex. Wincent steuerte direkt auf den Haupteingang und die Rezeption zu. "Guten Abend, wir suchen Maja..." Er blickte fragend zu mir. "Maja Schneider. Sie müsste  gerade eingeliefert worden sein." "Sie ist im OP. Sie können gerne hier vorne auf Neuigkeiten warten." Wir nickten und ließen uns auf den erstbesten Stühlen nieder. Ich musterte Wincent von der Seite. "Warum machst du das?" "Was?", fragte er. "Ich meine, dass warten. Ich bin doch eine komplett Fremde für dich. Du müsstest, dass doch gar nicht tun. Ich meine, du warst doch bestimmt, auch mit jemandem auf dem Konzert und nicht alleine." Er schaute mich aus einem undefinierbarem Blick an. "Ich war mit mehreren Leuten auf dem Konzert. Aber, die kommen auch mal ohne mich klar. Und was bin ich, denn für ein Mensch, wenn ich dich in so einer Situation allein lasse." Ich nickte, obwohl ich ihm seine Erklärung nicht abnahm, warum auch immer. Es war irgendwie ein Gefühl, dass er nicht die ganze Wahrheit erzählte. "Gehören sie zu Maja Schneider?", fragte ein Arzt in OP-Kleidung. Ich nickte. "Dürfte ich Sie einmal ins Nebenzimmer, bitten." "Ich warte hier", hörte ich Wincent sagen, als ich dem Arzt folgte. "Vielleicht sollten wir uns setzen." Mulmig schaute ich den Arzt an. "Sind Sie die Freundin von Frau Schneider?" "Ja, wir waren zusammen auf dem Festival." "Es tut mir wirklich sehr leid, aber die Verletzungen ihrer Freundin sind so schwer, dass sie es nicht schaffen wird." Ich schluckte. "Was ist mit dem Baby?", fragte ich erstickt. "Ihre Freundin wollte, dass das Baby zuerst gerettet wird. Aufgrund dessen war es uns nicht möglich ihrer Freundin zu helfen. Wenn Sie wollen, können Sie zu ihr, wenn Sie sie jedoch in anderer Erinnerung behalten wollen, würde ich es Ihnen lieber ersparen." "Ich muss zu ihr. Das bin ich ihr schuldig." "Sind Sie sicher?" Ich nickte, da ich meiner Stimme nicht traute. "Gut, dann folgen Sie mir." Wie hätte ich mich auf diesen Augenblick vorbereiten sollen. Ich meine, wir waren vorhin noch auf einem Festival, haben gefeiert und gelacht und jetzt lag sie im Sterben. Ich unterdrückte ein Schluchzen. Der Arzt drückte eine Tür auf, hinter dem sich ein spärlich eingerichtetes Zimmer befand. Ich erkannte sie kaum wieder, überall waren Schläuche und Maschinen. Der Arzt schloss leise die Tür hinter sich und ich ließ meinen Tränen einfach freien Lauf. Ich ließ mich auf einem Stuhl nieder und griff nach ihrer kalten Hand. "Wieso Maja? Wieso du? Wie soll die Kleine jetzt ohne dich aufwachsen? Du hast dich doch so auf das Baby gefreut." Ich spürte wie etwas meine Hand drückte und sah, dass Maja flackernd die Augen öffnete. "Das Baby", brachte sie raus. Ich drückte beruhigend ihre Hand. "Dem Baby gehts gut." "Es tut mir so leid, dass ich mich vor dich geworfen habe." "Du hast was gemacht?", keuchte ich und ließ vor Schock ihre Hand los. "Bitte Leila. Kümmer dich um das Baby. Bitte!" "Maja, ich kann dein Baby nicht großziehen, ich habe davon überhaupt keinen Plan. Und wie soll ich überhaupt..." "Versprich es mir, Leila. Ich wünschte ich müsste dich nicht darum bitten, aber ich könnte mir keine bessere Mutter vorstellen." Ihre Augen schauten mich voller Hoffnung und Vertrauen an. Was wäre ich jetzt für eine Freundin, wenn ich ihr ihren letzten Wunsch nicht erfüllen könnte. Hätte ich mir nicht, an ihrer Stelle, das gleiche von ihr gewünscht. "Ich verspreche es dir. Ich kümmere mich um die Kleine, Maja."

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