Kapitel 23

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Wincents Sicht

Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, hatte sich meine Schwester schon auf der Couch ausgebreitet und die Fernbedienung in Beschlag genommen. Ich ließ mich neben ihr auf die Couch fallen und zog den restlichen Teil der Decke über meine Beine. "Hey, das war meine Wolldecke", beschwerte sie sich sofort. "Jetzt ist es meine", erwiderte ich grinsend. "Auf dem Sessel liegt noch eine Wolldecke", rief meine Mutter aus der Küche. "Aber Shayenne du kannst mir sowieso mal kurz helfen." "Na, super. Das macht ihr beide doch extra", sagte sie und verschwand in die Küche. In der Zeit schnappte ich mir die DVD-Hülle vom Wohnzimmertisch und legte die DVD in den DVD-Player ein. Leila hatte mich irgendwie auf den Film neugierig gemacht und wenn ich es ehrlich zugab, hatte ich "Avengers: Infinity War" sogar schon zweimal im Kino gesehen. In dem Moment kam Shayenne aus der Küche und balancierte in jeder Hand eine Schüssel. Während sie die Chipsschüssel auf den Tisch stellte, setze sie sich mit der anderen Schüssel auf die Couch. "So das Popcorn ist auch fertig", meinte meine Mutter und stellte eine riesen Schüssel Popcorn und eine mit Gummibärchen auf den Tisch. Meine Mutter nahm sich die andere Wolldecke vom Sessel und breitete sie am anderen Sofaende aus. "Hey, die Decke wollte ich doch haben", meinte meine Schwester. "Ihr zwei werdet euch wohl eine Decke teilen können", meinte sie nur ungerührt. "Klar", erwiderte ich und hob die Decke hoch, damit Shayenne drunter schlüpfen konnte. Sie murmelte irgendwas vor sich hin, schlüpfte aber widerwillig drunter. "Ist die DVD-Frage jetzt geklärt?", fragte meine Mutter. "Ja", sagte ich, während Shayenne gleichzeitig den Kopf schüttelte. "Was denn jetzt?", fragte meine Mutter verwirrt nach, jedoch hatte meine Schwester schon ihre eigenen Schlüsse daraus gezogen. "Nein, das ist unfair. Wir haben noch gar nicht dadrüber diskutiert und letztes Mal haben wir schon diesen Rennfilm mit den Autos gesehen." "Du meinst "Fast and the Furios", das war ein Actionfilm", verbesserte ich sie. "Ja, ganz genau und jetzt bin ich mit aussuchen dran." "Sicher", sagte ich und drückte auf die Playtaste der Fernbedienung, damit der Vorspann anfing. "Du bist echt gemein", entgegnete meine Schwester und schnappte sich die DVD-Hülle von "Tatsächlich Liebe". "Hä, wo ist die DVD hin?" "Vermutlich im DVD-Player", antwortete meine Mutter grinsend und wedelte mit der Hülle von "Avengers: Infinity War", wo die DVD noch drin steckte. Meine Mutter warf mir ein Augenzwinkern zu, wahrscheinlich hatte sie mein Spiel relativ schnell durchschaut. Als der Filmtitel auf dem Bildschirm erschien, schaute meine Schwester mich immer noch ungläubig an. "Seit wann gibst du so leicht nach?" "Ausnahmsweise heute", meinte ich und lehnte mich zurück. Ich sah, dass mir beide kein Wort glaubten. "Ja, okay. Ihr habt mich erwischt. Eine Freundin hat mich überzeugt bekommen, dass ich mir den Film unbedingt anschauen soll." "Nele oder Paula?", fragte Shayenne sofort. Nele und Paula gehörten zu meinem engsten Freundeskreis, wir hatten uns vor Jahren beim Feiern in Berlin kennengelernt. Seitdem gehörten sie fest zu meiner Clique und berieten mich zu sämtlichen Frauenthemen. "Nein, keine von beide. Die Freundin kennt ihr nicht." "Ist es eine Freundin oder ist es die Freundin?", fragte Shayenne aufgeregt. Ich hörte wie Mom ihr Lachen am Unterdrücken war. "Nein, ich bin immer noch Single. Es ist nur eine Freundin und sie ist schon vergeben. Können wir das Thema fallen lassen, ich möchte den Film sehen." "Klar", kicherte meine Schwester und drückte auf Play. Ich musste ehrlich zugeben, dass der Film wirklich lustig war. Ich hatte schon lange nicht mehr so herzhaft gelacht. Ich beobachtete die glücklichen Gesichter meiner Familie und war unfassbar froh darüber. Ich hatte beiden vom Anschlag erzählt und auch kurz erzählt, dass ich jemandem geholfen hatte. Die Details, dass ich sie ins Krankenhaus begleitet hatte und ins Hotel hatte ich jedoch weggelassen. Meine Mutter war einfach erleichtert gewesen, dass mir nichts passiert war und mir war nochmal bewusst geworden, wie unfassbar dankbar ich für diese Familie und für das Leben war, welches ich momentan führen durfte. "Bekomme ich die Schale auch mal?", sagte ich und zeigte auf die blaue Schüssel, welche Shayenne seit sie auf der Couch saß für sich beanspruchtete. "Vielleicht aber wenn ich sie dir gebe, isst du alles ohne mich auf", meinte sie und machte keine Anstalten die Schüssel rüberzureichen. "Du weißt ganz genau, dass in der blauen Schüssel meine Lieblingssüßigkeiten sind. Bitte", sagte ich. "Ihr immer mit euren Keksen", meinte Mom und schüttelte den Kopf. "Na gut", meinte Shayenne, doch statt sie rüberzureichen, rutschte sie mit der Schüssel rüber. "Nur zur Sicherheit, dass du nicht alles ohne mich isst." "Wie nett von dir", sagte ich und griff in die Schüssel. Dabei aß ich überhaupt nicht viel Süßkram. Stattdessen machte ich viel Sport, ich ging jeden zweiten Tag ins Fitnessstudio oder joggen. Aber zu Keksen konnte ich noch nie nein sagen. Als der Abspann des Films über den Bildschirm lief, drehte sich meine Mutter zu mir um. "Du kannst deiner Freundin meinen Dank ausrichten, dass sie dich für den Film überredet hat." "Mache ich. Ich fahre übrigens morgen früh los, ich habe gedacht, ich bringe Shayenne noch zur Schule und fahre von dort weiter nach Berlin." "Aber bitte lass zwischendurch, was von dir hören." "Mache ich, versprochen. Diese Woche bin ich sowieso die meiste Zeit im Studio und am Wochenende habe ich zwei Auftritte", sagte ich, während ich die Schüsseln einsammelte. "Du brauchst mich nicht fahren. Ich kann mit dem Bus fahren", redete Shayenne dazwischen. "Du musst nicht extra an der Schule Halt machen." Ich drehte mich zu ihr um. "Wieso? Die Schule liegt doch sowieso auf dem Weg. Das mache ich gerne." "Na gut, wenn du unbedingt willst. Du lässt dich sowieso nicht vom Gegenteil überzeugen", meinte sie und tippte irgendwas auf ihrem Handy ein. "Ich bin oben. Gute Nacht und danke, dass wir nicht den Actionfilm geschaut haben. Der Abend war echt schön." Und damit verschwand sie nach oben. Stirnrunzelnd schaute ich zu meiner Mutter. "Was war das denn jetzt?" Doch sie zuckte nur mit den Achseln. "Pubertät mehr sage ich dazu nicht."

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