I See You.

„Ich muss ihn anrufen."

Vom Keller hochgekommen, bin ich überrascht, als ich einen Tisch unberührt vorfinde und Cole hinter der Theke, wo er uns Getränke macht.

Er ist fertig und begibt sich zum Tisch. „Ich beiße nicht", bemerkt er mich und ich fühle mich dämlich, weil ich da so dumm stand. Wobei ich nicht weiß, ob er wirklich zahm ist...

Ich gehe zum Tisch und setze mich. Vor mir steht ein Longdrink. Sehr hübsch gemacht, ich meine Cole macht seinen Job ja gut. Dagegen kann ich nichts sagen. Cole sitzt vor mir und es kommt mir einfach wie eine absurde Situation vor. So saßen wir noch nie beieinander. Gut, immer gibt es ein erste Mal, nur dachte ich, mit Cole wird das nie passieren, weil er mich ganz einfach nicht mag.

„Ich wollte mit dir über Onkel Fred reden", beginnt er und seine Augen sind so unglaublich klar. Da liegt keine Wut drin oder Verachtung... so wie praktisch an jedem Tag. Heute ist er einfach anders. Cole wirkt sogar sympathisch. Lina, reiß dich zusammen! Du analysierst Cole jetzt nicht! „In letzter Zeit geht es ihm schlechter. Von Tag zu Tag und er selber scheint das nicht einsehen zu wollen." Jetzt fühle ich mich schlecht, weil ich über Cole nachdenke, als richtig im Thema zu sein. Dabei ist das viel wichtiger. Ich habe es schon am Telefon gehört. „Wir sollten nicht auch noch einen Anlass bieten, dass er sich Sorgen machen muss", beendet er seine, sagen wir Einleitung. Ich sehe ihn besorgt an und denke nach. Dabei gibt es nichts nachzudenken.

„Ähm, ja klar." Ich schüttle meinen Kopf. „Ich habe ja auch kein Problem mit dir", merke ich an, wobei ich es im Moment doch habe. Seit dem Kuss... Davor war ich nie mit Vorurteilen übersät. Er hat mich einfach provoziert, mich runter gemacht und was noch so dazu gehört.

Cole schaut kurz auf seine Finger und dann wieder mich an. Sein Blick ist entschlossen und kein deut unsicher. Dabei könnte ich schwören, dass ich nur so vor Unsicherheit trotze. Das erregt sehr oft Mitleid, dabei brauche ich das nicht. „Es tut mir leid", entschuldigt er sich zum ersten Mal bei mir... Nur wofür? „Ich war ein echtes Arschloch, da hast du recht. Du hattest auch mit allem Recht, damals im Keller. Mich hat mein Stolz getragen. Ich habe viele Onkel, aber nur Fred sieht was in mir. Als du kamst, hat sich was verändert. Er hat immer davon gesprochen, wie ausgesprochen nett und hilfsbereit du bist. Was ein Glück es wäre, wenn du seine Enkelin wärst..." Cole macht eine kleine Pause und trinkt etwas. „Dass du nicht hässlich bist, macht es auch nicht besser. Natürlich bist du nicht hässlich, ich weiß nicht genau, wie du im Inneren bist. Ich weiß nur, was ich mitkriege und was Fred mir predigt. Alles in Allem hört es sich an, als wärst du nicht von dieser Welt..." Ich bekomme Gänsehaut, denn ich kann kaum glauben, dass Cole vor mir sitzt. Er sieht mir so eindringlich in die Augen und sagt das so sicher, dass ich nicht glauben kann, dass es real ist. Die Worte kommen auch unglaublich rüber, alleine aus dem Grund, weil sie aus Cole kommen. „Ich hoffe einfach, ich habe dich nicht allzu sehr verschreckt...Mit dem Kuss", vollendet er seine Erklärungen. So habe ich das alles nie gesehen und Cole erscheint mir in einem völlig neuen Licht. Es kribbelt in meinem Bauch und ich verstehe einfach nicht wieso. Mir ist das so unangenehm, daher sehe ich runter, auf meine Finger, schüttle dabei meinen Kopf.

„N...Nein, natürlich nicht. Ich... es tut mir leid... Das mit Onkel Fred. Ich wusste nicht, dass..."

„Natürlich nicht", unterbricht er mich und lacht etwas. Oh mein Gott, Cole lacht. Ich träume definitiv. „Woher denn auch?" Wir sehen uns an und ich weiß nicht genau, was ich sagen oder machen soll. Das ist nicht Cole. Zumindest nicht der, den ich kenne... Er ist... nett?

Wie soll ich es nur beschreiben? Alles was er macht und tut entspricht dem Gegensatz von dem, was er sonst immer gemacht hat. Ich nehme das Getränk und trinke vom Strohhalm. Die Situation kann ich nicht anders retten. Naja, das ist auch nicht sehr erfolgreich gerettet, aber immerhin starre ich ihn nicht nur an.