Kapitel 18 ❀ de retour à versailles

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RAFAEL

Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Millisekunden später, nachdem der spitze Schrei ihre Lippen verlassen hatte, reagierte sie, indem sie sich schützend die Arme vors Gesicht hielt.

Als wäre das ein Zeichen gewesen, hielt ich plötzlich inne, sodass sich niemand bewegte. Man vernahm nur die schnellen, unregelmäßigen Atemzüge von uns beiden, und die Hand, in der ich den Dolch hielt, begann zu zittern. Meine Lippen bebten.

Im Schein der Kerze betrachtete ich ihr erleuchtetes Gesicht. Die strahlend blauen Augen, die feinen Lippen und die schmale, kleine Nase; das Gesicht umrahmt von den hellblonden, goldenen Locken.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, etwas zu sagen. Zumindest irgendetwas krächzendes meiner Kehle zu entlocken.

Die Türen zu Aliénors Salon flogen auf und meine Kollegen kamen hereingestürmt. Langsam ließ ich die Waffe in meiner Hand sinken und sah auf Aliénor herab, die mich nur schweratmend anblickte. Ich war wie in Trance und wehrte mich nicht, als zwei der Soldaten mich rechts und links festhielten, während der dritte im Bunde den Dolch aus meiner Hand entfernte.

Die Rufe der Männer nahm ich nicht wahr. Mein Blick war auf Aliénor gerichtete und mein Herz rutschte mich in die Hose. Sie schien ebenso unfähig zu sein, irgendetwas zu sagen.
Mir wurde klar, dass ich versagt hatte.

~*~


LOUIS - ANTOINE

Möglicherweise war es übertrieben, meine Aufregung an diesem Tag als die größte meines Lebens zu betiteln. Schließlich hatten mich viele aufregende, gefährliche, schmerzvolle und wundervolle Momente in meiner Existenz begleitet, sodass man die diese sicherlich nicht nach Wichtigkeit ordnen konnte.

Von meiner Krönung, über meine Hochzeit, das Kennenlernen und die erste Nacht mit Aliénor, die Geburt meiner Kinder zu zahlreichen Attentaten, Vereinbarungen und Schlachten. Heute sollte einer diese Augenblicke, die mir für immer im Gedächtnis bleiben würden, hinzukommen.

Aliénor kehrte nach Versailles zurück.
Ich konnte ihre Gefühlslage nur erahnen. Das Ereignis vor einer Woche musste sie verstört, wenn nicht ihr ganzes Weltbild umgeworfen habe. Kam sie verängstigt und niedergeschlagen hier an? Zeigte sie sich tapfer und überspielte ihre gekränkten Gefühle?

Mir war nicht genau bewusst, ob und wie sehr sie Rafael Álvarez geliebt hatte. In den Jahren war sie nicht über ihn hinweggekommen.
Möglicherweise waren sie sich über die Wochen in Korsika näher gekommen... oder ihre Empfindungen waren seit dieser Nacht im Petit Trianon bereits erwacht. Ob es nur bei einem Kuss geblieben war? Oder hatten sie das Bett geteilt?

Dieser beiden Tatsachen machten mich nahezu genauso traurig wie sie mich erzürnten. Ich wollte Aliénor einerseits nicht zumuten, von ihrer ersten großen (oder möglicherweise einzigen, großen) Liebe beinahe erdolcht zu werden, und andererseits verspürte ich tiefe Eifersucht und unermessliche Wut Álvarez gegenüber.

Mich interessierten seine Motive oder Gründe nicht. Zwar wäre ich in der Lage dazu, ihn am Leben zu lassen. Jedoch gedachte das Gesetz den Tod durch den Strang. Ich war ein konstitutioneller Monarch, ich konnte nicht einfach willkürlich Menschen von dem Gesetz befreien.

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Schließlich kam der Moment. Die Kutsche fuhr auf den Palasthof. Nahezu der gesamte Hofstaat hatte sich hier versammelt.

PRINCESS OF LILIES  ᵗᵉⁱˡ ᵛⁱᵉʳWo Geschichten leben. Entdecke jetzt