Kapitel 12 ❀ trop, c'est trop

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ALIÉNOR

Skeptisch betrachtete ich mich am nächsten Abend im Spiegel, während ich mich keuchend an dessen Seite abstützte und mir mein Korsett geschnürt wurde.

Immer enger wurde es um meine Taille, um diese schön zu betonen. Darüber kam ein Unterrock und ein Gestell aus Elfenbein, das die Form des Kleides angeben sollte. Daraufhin folgte selbstverständlich das schönste Kleid, welches ich seit einiger Zeit besaß. Es war gemacht aus edlen, orangefarbenen Satin und besetzt mit winzigen Diamanten und pompösen Rüschen.

„Ich bin mir sicher, dass du dich sehr auf Liliettes Performance freuen wirst, n'est-ce pas?"

Mit gekräuselten Lippen wandte ich mich zu der letzten Hofdame, die mir geblieben war: Die extrem ehrliche und sarkastische Emilie de Polignac, die jedoch genauso fürsorglich wie Flora war.

„Ja... ich freue mich immens darauf, ihre wundervolle Stimme zu hören", erwiderte ich ironisch, ohne dies aber auf ihre Gesangskünste zu beziehen. Denn an jenen gab es nichts zu kritisieren.
„Vor allem ist sie nun die Schwester des Königs von Spanien. Wenn Seine Majestät und er auch nur denselben Erzeuger teilen..."

Der Vater Liliettes, König Carlos IV., war gestern Nacht im hohen Alter von nahezu 72 Jahren verstorben. Sein ältester Sohn war ihm somit in der Thronfolger nachgekommen.

Da Liliette das Zeugnis einer späteren Geliebten des alten Königs gewesen war, trennten sie und ihr Halbbruder, den neuen König Fernando VII., ganze 17 Jahre. Liliette war das einzige uneheliche Kind des Königs gewesen. Bis auf den derzeitigen König hatten ihre anderen fünf Halbgeschwister sie nahezu gehasst.
Dies war ein weiterer Grund gewesen, weshalb ich eigentlich stets Mitleid für Liliette empfunden hatte. Sie war von ihrem Vater abgeschoben, von ihren Geschwistern verabscheut und von fremden Gouvernanten notdürftig aufgezogen worden.

„Ich hörte, dass ihr Halbbruder sie sehr gern hat. Deshalb denke ich eher, dass er sie möglicherweise zurück nach Spanien beordern könnte....", überlegte die 23-jährige laut.

Nun war ich an der Reihe aufzulachen. „Aber dies würde Louis-Antoine nicht zulassen...", entgegnete ich und sah sie kopfschüttelnd an, ehe ich mich zurück zu dem Spiegel wandte.
„Er braucht doch sein Betthäschen..." Obwohl du im Endeffekt ebenso einen anderen geküsst hast, kam es mir in den Sinn. Aber nein, das war etwas Anderes! Ich hatte nicht mit ihm geschlafen.

Aber du hast daran gedacht, fügte ich in Gedanken hinzu, ehe ich mit dem Kopf schüttelte. Nein! Ich durfte mir nicht einreden, jemand Schlechtes zu sein!

Zudem stand heute mein Geburtstag und die Feier dazu an.
Bühnenshows, Tänzer, exquisite Speisen aus aller Welt, Champagner und Glücksspiele. Zwar fanden diese Feierlichkeiten nicht wie erst erwartet in meinem Petit Trianon stand; aber der Spiegelsaal tat es notdürftig sowieso.

Sehr viele Gäste, Freunde und Familienmitglieder wurden erwartet. Leider Gottes musste Liliette als Mitglied des Hofstaates und als Schwester des spanischen Königs antanzen. Doch würde mir diese definitiv nicht meinen Geburtstag ruinieren...

Weiterhin betrachtete ich meine hochgesteckten Haare, bevor ich bemerkte, dass Emilie den Raum verlassen hatte. Irritiert zog ich die Stirn kraus, ehe sich meine Falten mit einem Mal glätteten, als ich meine Freundin mit meiner Tochter an der Hand auf mich zukommen sah.

Joyeux anniversaire, Maman", ertönte Marguerites piepsige Stimme von der Tür. Sie war in ein hübsches, rosafarbenes Nachthemd gehüllt.

„Ich danke dir, mein Gänseblümchen", erwiderte ich entzückt lächelnd. „Maman kann dir leider keine Gute-Nacht-Geschichte heute Abend vorlesen... möchtest du trotzdem einen Kuss haben?"

PRINCESS OF LILIES  ᵗᵉⁱˡ ᵛⁱᵉʳWo Geschichten leben. Entdecke jetzt