10 | Ein hortendes Eichhörnchen und erloschene Hoffnung

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Nur wenig später saß ich dann in dem Klassenzimmer. Mason hatte es geschafft, seine beste Freundin aufzuwecken, mit Sicherheit hatte er dabei auch Übung.

Cassy hatte wohl irgendetwas von einem Frosch geträumt, welcher eigentlich ein Bär war, aber verwandelt wurde, um eine Armee gegen die Sonnenblumen zu errichten. Dieser Traum war anscheinend so intensiv gewesen, dass sie nicht aufzuwecken gewesen war.

Sowohl Cassy als auch Mason hatten sich riesig über das Essen gefreut.

„Dass du daran gedacht hast", hatte Mason mit einem Leuchten in den Augen gesagt.

Nun warf ich einen Blick an die über der Tafel hängende Uhr. In zwei Minuten sollte der Unterricht beginnen, doch von meinem Sitznachbarn keine Spur.

Sollte ich ihn begrüßen, wenn er kam? Das verlangte doch eigentlich die Höflichkeit. Aber wir hatten bisher noch nicht miteinander gesprochen. Würde es dann nicht aufdringlich wirken? Dabei war es doch eigentlich eine Normalität.

Fay betrat mit einem anderen Mädchen den Raum und hob eine Hand zum Gruß. Diese Geste erwiderte ich mit einem zaghaften Lächeln.

Dann klingelte es und mein Mathematiklehrer war gerade dabei die Tür zu schließen, als diese schwungvoll aufgerissen wurde.

Es war Kaden. Laut schepperte die Tür in das Schloss, als er sie zufallen ließ und auf seinen Platz zusteuerte. Den Platz neben mir.

Mir wurde schlagartig ganz heiß, als die kräftigen Schritte immer lauter wurden und meine Nackenhaare stellten sich auf, als er auf den freien Stuhl neben mir fiel. Die angestrebte Begrüßung war in Vergessenheit geraten. Das beschleunigt pumpende Herz raste und ich spürte es stark gegen meine Brust hämmern. Immer und immer wieder. Der gleichmäßige, aber zugleich stetig schneller werdende Rhythmus hallte dumpf in meinen Ohren wieder.

„Junger Mann, was ist deine Entschuldigung", fragte Herr Nelson, welcher sich trotz seiner eher bescheidenen Körpergröße groß vor der Klasse aufbaute. Seine gräulichen Haare waren in einem perfekten Scheitel zur Seite gekämmt und sein faltenfreies Hemd war perfekt symmetrisch in den Hosenbund gesteckt.

„Ich erwarte eine Erklärung", betonte er und schaute eindringlich zu der Person neben mir.

Ich wäre unter dem Blick schon längst eingeknickt und mir wurde klar, dass ich Herrn Nelson lieber nicht in die Quere kommen sollte.

Doch Kaden hatte ein anderes Gemüt. Denn er schwieg.

„Dann wirst du nach dem Unterricht bitte zu mir kommen", schloss der Lehrer seine Ansprache ab, wahrscheinlich auch, um nicht gänzlich in seiner Autorität untergraben zu werden, während einzelnes Gelächter zu hören war. Dann ging er um sein Pult herum und begann mit dem heutigen Unterricht.

Auch mein Sitznachbar hatte heute Schreibutensilien dabei und schrieb schweigend den Inhalt der Tafel ab, ebenso wie ich. Ich bemühte mich, die Formeln und Zusammenhänge so gut es ging in meinem Kopf nachzuvollziehen und abzuspeichern. Mathe war mit Sicherheit keines meiner liebsten Fächer, doch wenn ich mich erst dafür motivieren konnte, begriff ich recht schnell.

Nachdem es pünktlich zu der Pause geklingelt hatte, kamen Mason und Cassy zu mir.

„Möchtest du mit rausgehen", fragte Mason mich, während ich meinen Taschenrechner in meine Tasche packte.

Glücklicherweise waren hier einheitliche Taschenrechner keine Vorschrift, denn ich hatte nicht große Lust dazu, wieder für Nichts viel Geld auszugeben. Würde ich überhaupt für das, was nach dem Schulabschluss auf mich zukommen wird einen Taschenrechner brauchen? Ich erinnerte mich noch genau, wie ich früher als kleines Kind auf dem kleinen Rechner mit den gelben Tasten quietschend wahllos Zahlen eingegeben habe. Damals erschien es mir wie eine Wundermaschine. Doch heute war ich erwachsener und die Technik war fortgeschrittener. Was damals wie ein Wunder wirkte war heute Alltag, wenn nicht Normalität.

Über das redenswerte SchweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt