„Ich danke euch so sehr", sagte ich strahlend zu meinen Eltern, obwohl mir Tränen in meinen Augen standen, welche zugleich meine Stimme erstickten.Ich umarmte sie ganz doll und versuchte, diesen Moment, so gut es ging, in meinem Gehirn abzuspeichern, dass ich ihn für immer als eine Erinnerung behalten würde. Es war der Moment meines Neuanfangs. Ab heute sollte mein Blick nach vorne gerichtet sein, anstatt nach hinten.
„Wir haben dich lieb, Joleen", flüsterte meine Mum und drückte mich so fest, dass ich fast Angst hatte, zu ersticken, doch es machte mir in dieser Situation nichts aus.
Ich löste mich von meinen Eltern und holte ein Mal tief Luft, nachdem mein Dad mir die Träne von meiner Wange gewischt hat, welche den Weg aus meinem Auge gefunden hat.
Vor mir lag ein imposantes Gebäude, welches schlichtweg wunderschön war. Dieses Monument sollte von nun an meine Herberge, mein neues Zuhause sein. Es sollte mir die Möglichkeit bieten, endlich mein Leben zu leben, fernab von dem, was nun Vergangenheit war.
Ich blickte ein letztes Mal zu meinen Eltern. Mein Dad nickte mir zu und lächelte mich liebevoll an, ebenso wie meine Mum, welche sanft meine Hand drückte.
Dann gab ich mir einen Ruck und lief durch das große, verzierte Tor. Man mochte von solch alt aussehenden Konstruktionen meinen, dass sie quietschten oder knarrten oder verfallen aussahen, aber dieses Tor glänzte, als würde es jeden Morgen von der Sonne gesegnet werden.
Ich zog meinen großen, schwarzen Koffer hinter mir her, von welchem mir das beständige Rattern der Rollen ein Gefühl von Vertraulichkeit verlieh. Die Tasche schien, in meine Schulter zu schneiden, doch das war mir egal, denn meine Aufmerksamkeit wurde von dem Brunnen in Beschlag genommen, welcher mittig auf dem weitläufigen Platz vor dem Gebäude stand und aussah, als wäre er aus einem märchenhaften Traum entsprungen. Als ich ihn erreicht hatte, ließ ich meine linke Hand durch das klare, lauwarme Wasser gleiten, während eine sanfte Brise aufkam und ich meine Augen schloss, um diesen Augenblick in mein Herz einzugravieren. Dies war meine Chance.
Ohne, dass ich es hätte kommen sehen können, prallte etwas oder jemand gegen meinen Körper, sodass ich mit einem Ruck nach vorne über fiel. Vor Schreck riss ich meine Augen auf, denn ich hatte ganz sicher nicht damit gerechnet, auf diesem großen Platz, auf dem keine Menschenseele war, angerempelt zu werden. Aber natürlich war das Glück augenscheinlich mal wieder nicht auf meiner Seite. So sah ich das Wasser immer näher kommen. Ich wollte alles andere, als eine Showeinlage bei meiner Ankunft einzulegen. Und gerade, als ich das Schlimmste in meinem Geist an mir vorbeiziehen gesehen habe, fing ich mich gerade noch rechtzeitig an der steinernen Absperrung auf.
Noch total überrascht, war meine Atmung viel zu schnell und außerdem verlief sie sehr flach. So etwas hatte ich nicht in meinen Plan mit einbezogen, der eigentlich nur beinhaltete, zu dem Rektorat zu gehen.
Nachdem ich kurz in der Position verharrte, um mich von dem Schrecken zu erholen, drehte ich mich um, um den Übeltäter auszumachen. Für einen kurzen Moment starrte ich in ein Paar komplett dunkler Augen, welche sich wie heiße Kohle in mein Gedächtnis einbrannten, doch dann drehte sich die Person um und lief zielstrebig auf das Gebäude zu. Eine Entschuldigung wäre auch zu viel verlangt.
Seufzend schulterte ich erneut meine Tasche, welche heruntergerutscht war und hob meinen umgefallenen Koffer wieder in die Senkrechte.
Diese Person und ich würden wohl kaum Freunde werden. Dabei träumte ich davon, hier eine wahre Freundschaft zu finden, endlich jemanden zu haben, bei dem das Vertrauen und der Respekt und die Loyalität und Akzeptanz auf Gegenseitigkeit beruhen würde.
Ich blickte noch ein Mal zu dem Brunnen, dann setzte ich meinen Weg zu dem Rektorat fort, welcher ausgezeichnet ausgeschildert war. Während ich durch die Flure ging, hielt ich meinen Blick gesenkt, so wie ich es gewohnt war. Ich war nicht die Art Person, die Leute anstrahlen konnte. Nicht mehr.
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Über das redenswerte Schweigen
Roman pour AdolescentsEs sollte ihr Neuanfang sein. Fernab von all dem, was bisher ihr abscheulicher Alltag war. Ein neuer Lichtblick, eine neue Chance. Sofort als die verschlossene Joleen ihr neues Heim erkundete, welches zugleich ihr Schulinternat sein würde, purzelte...