15 | Freundschaftliche Gespräche und persönliches Wachsen

26 3 0
                                    



Ich saß mit Mason und Cassy an einem Tisch. Beide hatten ihre Drohungen, sich woanders hinzusetzen, nicht in die Wirklichkeit umgesetzt, weshalb sie wieder mit mir beisammensaßen und sich über Filme unterhielten. Jedoch hörte ich nur mit halbem Ohr zu, während ich die Salatblätter mit meiner Gabel hin und herwendete. Das Öl perlte leicht von der Oberfläche ab und brannte sich in mein Gehirn ein. Mit einem Seufzen schob ich die Salatschüssel von mir weg und widmete mich den Nudeln.

„Möchtest du den Salat nicht mehr?", lenkte Cassy von der Diskussion ab, in welcher Mason drauf und dran war zu gewinnen.

Irritiert schaute ich auf und sah wie sie auf meinen weggeschobenen Salat deutete. Ich wusste nicht, ob ich ihn noch essen würde. Ich sollte es. Er gab mir gute Nährstoffe, doch hier würde es mir nicht schaden, wieder etwas an Gewicht zuzunehmen, weshalb ich mich auch etwas abwechslungsreicher ernähren konnte.

Unschlüssig zuckte ich mit meinen Schultern und blickte wieder auf meinen Teller.

„Warte doch erstmal ab, bis sie fertig gegessen hat", rügte Mason seine beste Freundin, welche dann empört aufstand, um sich einen Nachschlag an Schokopudding zu holen, den sie uns als gesunde Vorspeise verkaufen wollte.

„Alles okay?", fragte Mason mich, als Stille durch Cassys Abwesenheit über unseren Tisch hereinbrach.

Mir war klar, dass ich einfach etwas sagen sollte. Aber was sollte ich schon sagen? Ich wusste eigentlich nichts über ihn, außer dem, was ich durch seine Diskussionen mit seiner besten Freundin mitbekam. Und doch wusste ich, woher auch immer, dass ich mir keine Sorgen machen musste, von ihm irgendeine blöde Antwort zu erhalten.

Ich zuckte abermals mit meinen Schultern und biss mir auf meine wunde Unterlippe: „Ich weiß nicht. Ich bin wahrscheinlich einfach nur etwas müde."

„Sicher wird dir etwas Ruhe guttun", meinte Mason und ich fragte mich, wie ich bitte Ruhe haben sollte, wenn ich eine Mitbewohnerin wie Cassy hatte, „Zuhause ging es manchmal auch ganz schön turbulent zu. Man muss nur einen Ort finden, an dem man sich zurückziehen und entspannen kann."

Ich lauschte seinen Worten und mir wurde schlagartig bewusst, dass dies meine Chance war, etwas mehr über ihn herauszufinden und zugleich mich in einem besseren Licht dastehen zu lassen.

„Hast du Geschwister?", fragte ich nach einer kurzen Pause und stopfte schnell einen Löffel voll Nudeln in meinen Mund, um etwas zu tun zu haben.

„Zwei Schwestern", erklärte Mason und lächelte, „aber laut meinen Eltern war ich in der Kindheit schlimmer als beide zusammen."

Ich musste grinsen, als ich mir vorstellte, wie eine jüngere Version Masons die Straßen unsicher gemacht hat. Ob seine Schwestern wohl auch hier auf das Internat gingen? War ich ihnen eventuell schon über den Weg gelaufen? Aber dann hätte ich sie doch sicherlich schonmal in der Nähe ihres Bruders sehen müssen.

„Und du?", stellte er mir die Gegenfrage, „hast du Geschwister?"

Ich schüttelte meinen Kopf: „Nein, ich bin ein Einzelkind."

Leider.

„Hat auch seine Vorteile", bemerkte Mason und ich fragte mich, ob er das ernst meinte oder er mir einfach gut zureden wollte.

„Das hat es auch, Geschwister zu haben", erwiderte ich und schaute zu ihm auf.

Ein Lächeln lag auf seinen Lippen: „Das stimmt."

Wir beide aßen kurz still weiter und ich genoss es. Es kam nicht oft vor, dass ich solch eine unverfängliche Konversation führte.

„Bist du der Älteste?", fragte ich interessiert nach und wagte mich in ungeahnte Territorien vor.

Es war ein großer Schritt für mich, von mir aus nachzufragen und obwohl die innere Stimme in meinem Kopf mich anschrie, dass Mason sich sicher nur aus Höflichkeit mit mir unterhielt und er sicherlich hoffte, ich würde einfach wie gewohnt schweigen, kämpfte ich gegen sie an.

Er schüttelte den Kopf: „Ich bin das mittlere Kind. Monica ist die Älteste und Massie die Jüngste."

Ich grinste aufgrund der Tatsache, dass all ihre Vornamen mit demselben Buchstaben anfingen. Ob es dafür eine Geschichte gab?

„Ja", fuhr er fort, als er mein Grinsen sah, „unsere Eltern dachten sich wohl, es wäre eine gute Idee noch mehr Verwirrung in das Ganze zu bringen. Du glaubst gar nicht wie deprimierend es ist, wenn du ausversehen mit dem Namen Massie gerufen wirst."

Ich musste schmunzeln und kam nicht umhin, offen zu lachen. Mason lachte ebenfalls und musterte mich weiterhin.

Schlagartig wurde mir brennend heiß und ich räusperte mich und schaute hektisch um uns herum, während ich wieder zu meinem Teller blickte und die neutrale Maske vor mein Gesicht fallen ließ.

„Das Lachen steht dir", bemerkte Mason nach dient kurzen Pause, wobei ich meinen Blick weiterhin gesenkt hielt.

Ich wusste nicht, was ich machen oder sagen sollte. Warum sagte er so etwas? Immerzu hatte ich darauf achten müssen, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten und trotzdem war ich nie genug gewesen. Und nun, wo ich hier war, damit alles anders wurde, konnte ich mich doch nicht von der einen auf die andere Sekunde von meinen Abwehrmechanismen trennen. Ich wusste nicht, was Mason wollte. Ebenso wenig wusste ich, was Cassy wollte. Aber ich wusste, dass Mason es irgendwie schaffte, zu mir durchzudringen. Doch war das etwas Gutes? Er war sehr nett und verständnisvoll. Ich hatte den Eindruck, als könnte ich ihm vertrauen und als würde er einem zuhören. Doch man wusste nie, ob das Vertrauen nicht doch missbraucht werden würde. Und Cassy war ganz anders zu mir als er, aber nicht auf eine schlechte Weise. Sie war einfach eine Frohnatur, die mich mit durch den Tag zog und mich aufbaute, wahrscheinlich ohne es zu merken.

„Hier bin ich wieder", ertönte da auch schon die Stimme von der Person, die zuletzt in meinen Gedanken herumgetobt war, „habt ihr mich vermisst?"

Ich schwieg, noch immer meinen Gedanken nachhängend, während ich mir immer sicherer wurde, dass mir Mason soeben ein Kompliment gegeben hat. Oder wollte er damit einfach andeuten, dass ich sonst hässlich und mies gelaunt aussah? Oder hatte er gar bemerkt, dass irgendetwas den plötzlichen Wechsel meiner Gesichtszüge ausgelöst haben musste?

Ich lugte verstohlen zu ihm auf und beobachtete ihn dabei, wie er Cassy darüber belehrte, dass sie den Schokopudding nach der Hauptspeise essen sollte. Er war ruhig und bedacht. Seine Gesichtszüge waren wie immer freundlich und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

Und zum ersten Mal wurde mir brennend bewusst, sodass mir ganz heiß wurde, dass diese beiden Menschen mich einfach aufgenommen hatten und nicht den Eindruck erweckten, als würden sie mich zurücklassen wollen.

Freundschaft. Das war es, was die beiden verband und worein sie mich mit verwickelten. Bei der Erkenntnis traten Tränen in meine Augen und ein Ziehen durchfuhr meine Brust.

Ich hatte Freunde.

Über das redenswerte SchweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt