4 | Wie bilden sich Freundschaften und wie viel kann ein Mensch essen?

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Ich würde nur zu gerne weiter in meinem Essen herumstochern und es so interessant finden wie ein Wissenschaftler, wenn er etwas Unglaubliches entdeckt, aber leider schaute mich gähnende Leere an. Ich spürte, dass ich noch Hunger hatte, nun da sich meine Aufregung wieder gelegt hat, aber ich wollte nicht sofort als ungemein verfressen abgestempelt werden.

„Hallo", wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und eine Hand wedelte vor meinem Gesicht herum.

Ich blickte erschrocken auf und schaute erneut in Masons Gesicht, welcher mich abwartend anschaute.

„Joleen", antwortete ich leise und fixierte die Serviette, welche ordentlich gefaltet neben meinem Teller lag.

„Schöner Name", erwiderte Mason, „ich nenne dich einfach Jo."

Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf und eine Welle der Zufriedenheit überrollte meinen Körper. Noch nie hat mich jemand, abgesehen von meiner Familie, so genannt.

„Wenn das für dich okay ist", fügte er hinzu und ich kam nicht umhin, zu lächeln.

Ich nickte und lächelte ihn zaghaft an: „Ist es."

„Wunderbar", mischte sich Cassy wieder ein, „dann wäre das ja geklärt. Möchtest du noch etwas essen?"

„Nicht jeder isst so viel wie du, verehrte Cassandra", rügte Mason sie und ich hätte nur zu gerne gesagt, dass diese Portion nicht annährend genügt hat, aber mir war auch klar, dass ich mir solche Unmengen an Essen, wie Cassy sie verdrückte, nicht leisten konnte.

„Mason Christopher, ich meine es ernst", fauchte Cassy wütend, doch Mason grinste sie nur überheblich an und zwinkerte mir zu, als sich unsere Blicke kreuzten.

„Also, möchtest du noch etwas", fragte er erneut, „ich kann dir etwas mitbringen, immerhin muss ich auch noch etwas essen."

„An unserem Tisch", fragte Cassy nach, bevor ich überhaupt die Chance hatte, etwas zu sagen.

„Warum nicht", entgegnete Mason und schaute mich erwartungsvoll an.

„Vielleicht etwas von dem Auflauf", meinte ich etwas unsicher.

Er salutierte, was nicht sehr korrekt ausgeführt aussah, und verschwand dann, um das Essen zu holen.

„Er raubt mir noch den letzten Nerv", seufzte Cassy und fasste sich theatralisch an ihre Stirn.

Ob sie sich wohl schon länger kannten? Hatten sie sich hier in dem Internat kennengelernt?

„Trotzdem magst du ihn", stellte ich fest und schaute meinen leeren Becher an.

Sie zuckte mit ihren Schultern: „Wir wohnen seit ich denken kann nebeneinander. Dass wir dann auch noch beide hier auf das Internat geschickt wurden ist schon seltsam, aber irgendwo auch echt cool!"

Ich nickte. Das musste toll sein, jemand Vertrautes zu haben, den mein sein ganzes Leben lang kennt. Der alles über einen weiß und einen so akzeptiert wie man ist.

„Möchtest du noch etwas Wasser haben", fragte sie mich, nachdem sie wohl bemerkt hat, wie nachdenklich ich meinen leeren Becher angestarrt habe.

„Das passt schon", wehrte ich ab, „aber danke."

„Wie auch immer, ich brauche noch Wasser", verkündigte sie und sprang auf, um einen Wasserkrug von dem Nachbartisch zu klauen.

Ohne auf mein Ablehnen einzugehen, schüttete sie mir auch einfach etwas ein, woraufhin ich mich kleinlaut bedankte, was ihr ein noch zufriedeneres Lächeln auf die Lippen zauberte, als es ohnehin schon dort war.

Kaum später kam Mason auch schon wieder und stellte einen gefüllten Teller vor mir ab, während er sich einfach zwei Teller mitgebracht hat. Würde das Essen nicht kalt werden? Ich meine, er könnte ja auch einfach ein zweites Mal gehen. Oder aber er war einfach zu faul.

„Guten Appetit", sagte er zu mir, was ich erwiderte und danach meine Portion Auflauf probierte, der besser als erwartet schmeckte.

Aber man konnte uns in solch einem Internat ja auch nicht mit schlechtem Essen versauern lassen, von daher war das Essen, was es heute gab, schon recht angemessen. Auch wenn ich mich fragte, was Erbsen dort drinnen zu suchen hatten, aber das war denke ich einfach Geschmackssache, oder sie haben sich verirrt. Denn sehr gut repräsentiert wurden sie nicht auf meinem Teller, aber vielleicht lag das auch einfach an der Portion, welche Mason für mich ausgesucht hat.

„Sag mal", warf Cassy ein, „warum hast du dich eigentlich für dieses Internat entschieden?"

Und hiermit kam die gefürchtete Frage zum ersten Mal auf. Ich wusste, dass sie aufkommen würde und doch spürte ich die Nervosität durch jede Pore meines Körpers fließen. Denn obwohl ich die Möglichkeit hatte, nur das preiszugeben, was ich erzählen wollte, wollte ich nicht lügen. Aber ich konnte schlichtweg nicht komplett fremden Menschen von meinen innersten Gefühlen erzählen. Sie würden es nicht verstehen oder mich sogar verurteilen.

„Einfach so", antwortete ich vage und stocherte auf die Kartoffeln ein, welche in irgendeiner sahnigen Soße getränkt war. Dann spießte ich pro Zacke meiner Gabel eine Erbse auf und aß diese.

„Warum sind wir eigentlich nochmal hierhin gekommen", fragte Mason Cassy, welche ihren Becher Wasser in einem Zug leerte, weshalb es mich nicht verwundert hätte, wenn ihr das Wasser vermischt mit dem Essen wieder hochgekommen wäre.

„Eine gute Frage, mein Lieber", entgegnete sie anerkennend und schnipste mit ihrer freien Hand, wonach sie auf ihn zeigte.

Ich hoffte, dass es meine Tischgenossen dabei beließen und nicht weiter nachhaken würden.

„Vielleicht weil du unseren Teppich in Brand gesetzt hast", bemerkte Mason und schaute Cassy genervt an.

„Aber immerhin bin ich nicht gegen ein Regal gekracht, wonach alle Bücher und DVDs herausgefallen sind", erwiderte sie trocken und stibitzte etwas von Masons Essen.

Anscheinend schienen beide rege Wirbelwinde gewesen zu sein, wenn sie es nicht noch immer waren.

„Du hast in mein Zimmer-", setzte Mason an, jedoch wurde er sofort lautstark von Cassy unterbrochen.

„Wie auch immer", sagte sie laut und übertönte ihren Freund geflissentlich, „jetzt sind wir jedenfalls hier."

Irgendwie interessierte es mich schon, was Mason sagen wollte. Aber anscheinend war es Cassy nicht sehr angenehm, von daher hakte ich auch nicht weiter nach. Schließlich haben sie es bei mir auch nicht getan und ich wollte nicht sofort in ihre Privatsphäre eindringen.

„In welche Klasse kommst du eigentlich", hörte ich Cassys Stimme und realisierte, dass mir erneut eine Frage gestellt worden ist.

„In die elfte Klasse", antwortete ich und war auch gespannt, in welche Klasse Cassy und Mason wohl gehen würden, denn es wäre schon nett, jemanden zu kennen, aber andererseits wollte ich nicht ihren wohl eingespielten Alltag durcheinander bringen.

„Wie cool", freute meine Zimmergenossin sich, „dann kommst du zu Mason und mir!"

Sie strahlte mich an und ich musste verlegen lächeln, weshalb ich etwas trank, um ihrem Blick ausweichen zu können.

„Hiermit, geliebter Mason, bist du als Sitznachbar abgeschrieben", verkündigte Cassy und Mason fasste sich gespielt gekränkt an seine Brust.

„Du brichst mir mein Herz", schniefte er, schaute dann jedoch zu mir, „sei gewarnt, neben ihr wirst du herzlich wenig von dem Unterricht mitbekommen. Neben mir hingegen, kannst du zuhören, wenn du möchtest und hast einen hervorragenden Lernpartner."

Oder aber ich würde einfach alleine sitzen, immerhin war das auch eine Option.

„Du überforderst sie", bemerkte Cassy.

„Ehrlich", sagte Mason überrascht und schaute mich entschuldigend, „das tut mir total leid, wirklich."

„Passt schon", lächelte ich, denn mir gefiel es sehr gut, dass die beiden so viel redeten, weshalb meine Schweigsamkeit weniger auffiel.

Ich war gespannt, wie wohl der Unterricht und die anderen Personen sein würden. Außerdem fragte ich mich, ob es wohl noch andere Neulinge gab, oder ob ich die alleinige Neue sein würde.

Über das redenswerte SchweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt