Ungewollte Flucht

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Leicht umspielte der Wind ihre langen braunen Haare und ließ Runa leicht frösteln. Irgendwas lag in der Luft, doch sie konnte es nicht richtig greifen. Es würde etwas passieren, dunkle Wolken zogen weit draußen auf. Runa stand auf dem längsten der Anlegestege und hatte ihren Blick dem Meer zugewandt. An der Öffnung der Bucht, die dem Meer zulief, waren die Wolken Tag für Tag dunkler und beängstigender geworden. Leicht zitternd schlang Runa sich fester in ihr Fell, dass sie schützend über dem Stoffkleid trug. Ihr Vater bestand darauf, seine einzige Tochter und zugleich jüngstes Kind vor allem Übel der Welt zu beschützen. Sei es auch nur die Kälte der nun aufziehenden Wintertage.

Jarl Thorund war ein beliebet und gerechter Mann, der über kleines Land an der Küste Dänemarks herrschte. Er hatte sechs Söhne und eine Tochter, Runa. Bei Runas Geburt war ihre Mutter Dotta dem Kindsbett fast erlegen. Seine Sorge und Angst um sein jüngstes Kind war seit diesem Tag ungebrochen. Zu Runas Verzweiflung waren ihre älteren Brüder auch keine sonderliche Erleichterung. Denn mit jedem Jahr, dass ihre Brüder und sie älter wurden, wurde auch ihr Beschützerinstinkt größer.

So war es auch kein Wunder, dass zwei ihrer Brüder am Hafenrand standen und ein Auge auf ihre Schwester geworfen hatten. Runas Blick ruhte weiterhin auf dem Horizont, erst als der Wind kälter wurde und die Nacht herrein brach, wandte sie sich dem Dorf zu und Schritt langsam den steinigen Weg hinauf zum Haupthaus. Wo die Familie des Jarls lebte. Gefolgt von ihren beiden Brüdern betrat sie dieses hastig, um schnell ans wärmende Feuer zu gelangen.

Dort saß sie schweigend eine Zeit lang, bevor die Stimme ihres Vaters sie aus ihren Gedanken riss.

„Tochter, da bist du also."

„Vater." Sie senkte kurz demütig ihren Kopf, um ihrem Vater und Jarl den nötigen Respekt zu erweisen.

„Geht es dir gut?" fragend Blickte Thorund seine Tochter an.

Lächelnd erhob Runa sich, um auf ihren Vater einige Schritte zuzugehen.

„Ja Vater, warum sollte es mir hier auch nicht gut gehen? Allerdings hätte ich ein wenig Hunger." Erfreut ließ sich Runa in die ausgebreiteten Arme ihre Vaters sinken. Dieser schloss sie auch sogleich in eine Umarmung.

„Na dann. Ubbe! Tischt uns bitte etwas Essbares auf!" wandte der Jarl sich an seinen Sklaven, der sich im Dunkeln an der Wand breit hielt.

Nickend verschwand dieser auch sofort, um den Befehl des Jarls sorgfältig auszuführen.

Nach einer Weile waren nun alle Familienmitglieder versammelt und das Essen stand auf der großen Tafel.

„Was belastet dich Schwester?" fragte Olaf seine kleine Schwester.

„So genau weiß ich das nicht. Es ist als würde Unheil auf uns warten. Ich fühle eine seltsame Spannung in der Umgebung." Ohne den Blick von Olaf zu nehmen, steckte Runa sich schnell ein Stück Brot in den Mund.

„Mhm." Machte Olaf und ließ seinen Blick von seiner Schwester zu seinem Vater wandern.

Jarl Thorund wurde von all seinen Kindern nun beobachtet und mit gespannt warteten sie auf seine Reaktion zu Runas Gefühl. Selten wurde sie von ihrem Gefühl betrogen. Das wussten sie alle. Nur selten konnte Runa das erwartete Geschehen genau benennen. Manchmal war es eine Krankheit, ein anderes mal ein Unfall oder eine schlechte Ernte. Auch diesmal war ihre Auskunft wage und ungenau. Aber besser konnte auch sie es nicht deuten.

„Wir werden wie immer unsere Augen und Ohren offen halten und das Beste Hoffen." Waren Thorunds Worte.

Nickend stimmten ihm die Brüder zu und Runa senkte ihren Kopf und aß zuende.

Es war bereits spät in der Nacht, als Runa durch ein einzelnes Geräusch wach wurde. Alarmiert löste sie sich aus ihren Fellen und schlick im Dunkeln durch das Haupthaus hinüber zu ihren Brüdern.

„Olaf! Sinric! Einar! Leif! Torstein! Allvar! Wacht auf! Es geschieht seltsames da draußen." Weckte Runa leise ihre Brüder.

So leise sie konnten, schlüpften auch die sechs aus den Betten und zogen sich an. Sie griffen zu ihren Waffen und waren bereits auf dem Weg zum Ausgang, als Runa schon am Bett ihres Vaters stand. Dieser ließ sich nur schwer wecken und wurde erst wach, als er das erste Geschrei von draußen hörte.

„Wir werden angegriffen!! Brüllten die Brüder von draußen um alle Bewohner zu warnen.

„Runa!" der Jarl war in höchster Alarmbereitschaft. „Runa du weißt was du zu tun hast! Das beste Pferd, die Tasche mit den Lebensmitteln und dann lauf! Ich will keine wiederworte hören. Du weißt wohin du musst! Wir werden dich holen kommen, du kennst meine Regeln!" mit diesen Anweisungen schwang er nun sein Schwert über den Kopf und sprang kampfbereit aus dem Haus.

Erst zögerte Runa noch, doch als die ersten angsterfüllten Schrei zu hören waren, tat sie wie ihr geheißen war und schnappte sich ihr wärmstes Kleid, den wärmsten Mantel und ein paar Felle zusammen mit den Lebensmitteln und lief hastig zum Hinterausgang in Richtung der Ställe.

Versteckt gehalten im Dunkeln und hinter den äußeren Häusern, gelangte sie schließlich unentdeckt an ihr Ziel und kletterte auf das Pferd ihres Vaters. Laut wiehernd begann der Hengst zu tänzeln, Runa hatte Mühe ihn unter Kontrolle zu halten, aber sie schaffte es am Ende doch. Schnell ritt sie mit ihm aus dem Stall hinaus in den Wald.

Sie hatte nicht bemerkt, dass ihre Flucht entdeckt worden war und bereits drei der Angreifer ebenfalls Pferde aus dem Stall bestiegen hatten um ihr zu folgen.

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Im Auge des Wikingers - Bjorn EiriksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt