Einsicht - Tür 12

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Auch am nächsten Morgen waren Bjorns Sorgen nicht weniger geworden. Eigentlich wurden sie von Stunde zu Stunde mehr, denn in seinen Augen schwebte Runa in größter Gefahr. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was ihr alles zustoßen könnte, geschweige denn, was diese Engländer ihr antun könnten. Ungeduldig lief er einen weiteren Kreis um das notdürftige wieder aufgebaute Wikingerlager. Seit den frühen Morgenstunden kreiste er nicht nur mit den Gedanken um Runa, sondern auch körperlich um das Lager herum. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass er bestimmt die hundertste Runde zog.

„Bjorn! Nun hör doch endlich auf hier herumzurennen wie ein aufgescheuchtes Weibsbild! Die Engländer wollen mit ihr verhandeln! Sie ist ihr Druckmittel, die werden ihr nichts tun!" Leif stellte sich Bjorn in den Weg, um ihn am Weitergehen zu hindern.

„Sie müssen sie nur am Leben lassen! Das hindert niemanden daran, sie zu vergewaltigen oder zu verstümmeln!" wiedersprach Bjorn heftig.

„Niemand wird sie verstümmeln! Sie ist eine Frau, die Engländer machen sowas nicht. Außerdem ist sie unverletzt um einiges wertvoller als verletzt. Der englische König ist sicher kein Dummkopf und versaut sich diese Chance."

„Ich weiß nicht, ich hatte bei seinem Boten einfach schon ein ungutes Gefühl!" Bjorn war immer noch nicht sonderlich überzeugt.

„Ich bin mir sicher Bjorn. Sie werden ihr nichts tun!" versuchte Leif es erneut.

„Ich bin da ganz Leifs Meinung!" beteiligte sich nun Ivar am Gespräch und trat hinter Bjorn hervor.

„Verfolgst du mich etwa?" wollte Bjorn von seinem Bruder wissen.

„Nein, ich wurde nur von Vater geschickt dich zu suchen und dir zu sagen, dass er mit dir sprechen will." Antwortete ihm Ivar.

„Ich komme sofort. Wo kann ich Vater finden?" fragte nun Bjorn.

„In seinem Zelt, oder eher das was davon übrig ist." Mit der Hand zeigte er ihm die Richtung.

„Danke. Bis später." Verabschiedet er sich von Leif und seinem Bruder, bevor Bjorn in die angezeigte Richtung davonstapfte.

Seine Laune war kein Stück besser als zuvor. Auch machte er sich nach wie vor die gleichen Sorgen um Runa. Die Worte seines besten Freundes haben ihn bei weitem nicht beruhigen können.

Er musste sich endlich eingestehen, dass ihm Runa mehr bedeutete, als er eigentlich wollte. Vielleicht sollte er seine Einstellung ihr und seinem Leben gegenüber nochmals überdenken. Runa an seiner Seite die auf ihn wartete, wenn er auf See war, die am Ufer in der Heimat stand und ihm freudig zuwinkte, wenn er heimkehrte. An diesen Gedanken konnte er sich durchaus gewöhnen. Wenn er doch nur nicht so stolz und stur gewesen wäre, dann würden sie nicht in dieser Zwickmühle stecken. Er hätte sie besser beschützen sollen und nicht dafür sorgen, dass sie schutzlos den Engländern in die Hand fiel. Jetzt hatten diese sie auch noch als Druckmittel! Wenn sie herausfanden, wie wichtig sie Bjorn in Wirklichkeit war, dann hatten sie ein noch größeres Problem als jetzt schon.

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Im Auge des Wikingers - Bjorn EiriksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt