Runas Wanderung durch den angrenzenden Waldteil war wundervoll. Sie hatte noch nie so satte, grüne Farben gesehen. Die Pflanzen hier schienen gesund und kräftig zu sein. Hier in diesem Land bekamen sie anscheinend genügen Wasser und der Boden war voll mit Nährstoffen. Einige Stunden war sie vorsichtig zwischen den Bäumen hindurchgeschlüpft, langsam und behutsam, um auf der einen Seite keine heilende Pflanze zu übersehen und auf der anderen Seite, um sich nicht zu weit vom Lager zu entfernen und sich womöglich noch zu verirren.
Mit einem vollen Korb, aus dem die Kräuter und Pflanzen schon drohten hinaus zu fallen, kam sie zurück zum Lagerplatz. Noch war es hier wie ausgestorben. Runa setzte sich auf einen liegenden Baumstamm, den die Wikinger dort platziert hatten und begann die Kräuter zu säubern und sortieren. Aufgeteilt in Haufen, lagen sie nun vor ihr auf dem Boden. Ein Teil davon für die Verarbeitung zu Salben, der andere Teil war dafür gedacht zu einem Sud verkocht zu werden. Nur eine kleine Menge blieb übrig, der zur Einnahme über den Mund geeignet war. Runa wollte sich schon sicher sein, dass sie niemanden vergiftet. Sie hatte durchaus einige Pflanzen gefunden, die schädlich oder gar tödlich für den Menschen war. Vorsichtig wickelte sie die Kräuter in Stofftücher, um sie so zu schützen. Als sie sich gerade auf den Weg machen wollte, Wasser für die Herstellung der ersten Salben und Tinkturen zu holen, wurde sie von lauten Stimmen und Geräuschen aus ihren Gedanken gerissen.
Runa hob ihren Kopf, um den Ursprung des Lärmes auszumachen und konnte am Waldrand die ersten Wikinger ausmachen. Vollgepackt mit Säcken und besudelt mit Dreck und Blut kamen sie zurück zum Lager. Ihre Gesichter konnte Runa sofort richtig deuten. Sie konnten nur erfolgreich gewesen sein.
Ohne es zu wollen, hatte Runa sich erhoben und suchte in der Menge der Männer nach Bjorn. Sie hoffte inständig, dass er unverletzt und bei bester Gesundheit war. Zuerst konnte sie den König in der Menge ausmachen. Seine Haare klebten an seiner Stirn und waren voll mit Blut. Verkrustetes Blut klebte ebenfalls an seinen Armen und Klamotten. Alles in allem wirkte er absolut zufrieden.
Als nächstes viel Runa Leif ins Auge und neben ihm lief Bjorn. Seine blonden Haare standen wild vom Kopf ab und auch an ihnen konnte Runa aus der Ferne verkrustetes, eingetrocknetes Blut erkennen. Sein Schwert hatte er an seinem Gürtel befestigt, auch an diesem konnte Runa Blutspuren sehen. Schnell wanderten ihre Augen über seinen Körper, auf der Suche nach offensichtlichen Verletzungen. Zu ihrer Erleichterung war er aber unverletzt.
Als er seinen Kopf hob, trafen seine Augen auf ihre und sie ließen sich nicht mehr los. Bjorn änderte leicht seine Richtung und steuerte auf Runa zu. Kurz bevor er bei ihr ankam, ließ er die Säcke die er trug auf den Boden fallen. Die landeten scheppernd im Gras und blieben dort liegen. Ohne ein Wort zu sprechen, schritt Bjorn auf Runa zu und riss sie förmlich in seine Arme. Er vergrub seine Nase in ihrem Haar und umschlang sie mit seinen kräftigen Händen. Ohne zu zögern schmiegte sich Runas verräterischer Körper an ihn und genoss die Zuwendung die ihr zuteilwurde.
Innerlich schimpfte sie sich, sofort auf diese kleinen Gesten vom ihm anzuspringen. Eigentlich sollte sie ihn wegschubsen und schnellstmöglich verschwinden. Doch ihr Körper weigerte sich diesen Gedanken Folge zu leisten. Erst al Bjorn Runa los ließ, konnte sie ihm ins Gesicht blicken. Seine Augen leuchteten sie an und lenkten sie von den Blutspritzern ab. Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen, bevor er sich etwas zu ihr beugte und Runa einen Kuss auf die Stirn gab.
„Bjorn! Komm her und zeig uns deine Beute." König Eirik zerstörte diesen kurzen Moment und Bjorn drehte sich zu seinen Säcken um und brachte diese zu seinem Vater.
„War ziemlich erfolgreich würde ich meinen." Bjorn öffnete diese und schüttete den Inhalt auf die Wiese, zu den anderen Reichtümern, die die Wikinger schon aufgetürmt hatten.
„Sehr gut! Dann verladen wir unsere Schätze direkt auf die Langboote. Morgen ist das Dorf dran!" Befahl der König und seine Männer machten sich eiligst daran, ihm gerecht zu werden.
Bjorn allerding, drehte sich wieder um und kam erneut auf Runa zu. Diese überlegte, was beim Überfall gewesen war, dass er sie plötzlich nicht mehr ignorierte.
„Du solltest dich Schlafen legen. Es ist schon spät und der Mond steht weit am Himmel!" Bjorn legte seine Hand an ihre Wange und sah sie mitfühlend an.
„Da habt ihr wohl Recht." Stimmte im Runa zu und schloss allerdings kurz genießerisch die Augen, als Bjorn ihr Gesicht mit seinen Fingern leicht streichelte.
„Gute Nacht." Flüsterte Bjorn leicht und gab Runa erneut einen kurzen Kuss auf den Haaransatz, bevor er sich von ihr entfernte und seinen Männern beim Verladen der Beute half.
Verwirrt blickte Runa ihm hinterher, bevor sie in eins der provisorischen Zelte kroch und dort in den Fellen erschöpft einschlief. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass es bereits so spät geworden war. Obwohl es hier dunkel wurde, war es bei weitem nicht so finster, wie in ihrer Heimat. Allerdings waren die dunklen Nächte zuhause wesentlich kürzer.
DU LIEST GERADE
Im Auge des Wikingers - Bjorn Eirikson
Historical FictionKalte Winde gepaart mit steiniger und bracher Landschaft konnte man im alten Dänemark antreffen. Bjorn Eirikson war dort als erstgeborener Sohn König Eiriks auf die Welt gekommen. Gemeinsam mit seinem Vater zog er auf gefährliche Raubzüge übers Meer...