Das Finale

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Für alle, die mit Schrecken (oder wie in meinem Fall: mit Erleichterung) festgestellt haben, dass es sich hiermit um das letzte Kapitel handelt.

Das Finale
Jolina

Als ich bei Lanes Eingangstür auftauchte, war ich dank dem verfluchten Wetter durchnässt, als hätte ich mich mitsamt meiner gesamten Kleidung unter die Dusche gestellt. Ich verfluchte alle Wettergötter, die mir spontan einfielen und fragte mich, ob es denn noch klischeereicher werden konnte.

Das Mädchen tauchte bei vollem Regen beim Jungen ihrer Träume auf, in der Hoffnung, dass er sie vielleicht doch mochte? Ich hatte nicht gewusst, dass ich mit meinem Entscheid für ein Studium der dramatischen Künste gleich dem Universum die Rechte erteilt hatte, mein Leben in ein dramatisches Drama zu verwandeln.

Ich klingelte mit meinen halb eingefrorenen Fingern so lange, bis ich Schritte auf der anderen Seite der Tür hörte. Ob es intelligent war in diesem Moment auf so richtig nervtötende Art Sturm zu klingeln, war eine andere Frage, auf die ich mich gerade nicht einlassen konnte. Ich wollte Lane einfach nur so schnell wie möglich gegenüberstehen, ehe mich der Mut verließ.

Meine sorgfältig ausgedachte, total ausgeklügelte und detailreiche Rede fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus bei Durchzug, als Lane die Tür öffnete.

»Wir sind keine Zeitverschwendung«, sagte ich stattdessen nur. Und kam mir dabei reichlich dumm vor. Wir sind keine Zeitverschwendung? Was war denn das für ein Geständnis? Gab es vielleicht irgendwie ein Ratgeber à la 'Liebesgeständnisse für Dummies'? Falls ja, würde ich mich gerne für eine monatliche Mitgliedschaft eintragen lassen.

»Es ist fast Zehn«, merkte Lane an und mein Herz war kurz davor sich selbst über die Klippen zu werfen.

»Eh, ja.« Geistreich, Jolina, geistreich.

»Komm rein.« Wie ich, klatschnass wie ich nun mal war, in seine Wohnung tapste und versuchte so wenig Wasserflecken wie nur möglich zu hinterlassen, wurde mir plötzlich bewusst, wie idiotisch meine ganze Aktion eigentlich war. Wir sind keine Zeitverschwendung und dann ist die Welt wieder in Ordnung oder was hatte ich mir dabei gedacht?

Lane schlurfte schlaftrunken zu seinem Kleiderschrank (hätte ich nicht gerade mein gesamtes Leben im Zeitraffer an mir vorbeiziehen sehen, hätte ich den ganzen Anblick bestimmt für niedlich befunden) und kramte daraus sowohl Shirt wie auch Jogginghose.

Dann trat er zu mir, streckte mir die Sachen entgegen und sagte mit einer Sanftheit in der Stimme, die zu dem Lane gehörte, in den ich mich verliebt hatte: »Lass uns schlafen und dann morgen reden, ja?«

Ich nickte (hallo, Wackeldackel!) und schlüpfte eilig in die trockenen Sachen, ehe er sich es anders überlegen konnte. Denn obwohl ein noch halbschlafender Lane nicht wirklich wortgewandt war, konnte selbst meine nicht sonderlich empathische Wenigkeit das Friedensangebot hinter seinem Vorschlag entdecken.

Zurückhaltend wie sonst nie, kroch ich unter die hochgehobene Decke. Und auch wenn es sich falsch anfühlte, ließ ich einen Sicherheitsabstand zwischen uns – immerhin wusste ich nicht wirklich, wo Lane und ich eigentlich standen.

Er schien davon aber nicht sonderlich viel zu halten, sondern zog mich an sich. Während er schon fast wieder eingeschlafen war, murmelte er: »Wir sind keine Zeitverschwendung sind.«

Ich hatte noch nie schönere Worte gehört. Und ehe ich mich versah, war ich auch schon in einen tiefen Schlaf gefallen. Ich hatte den Schlaf auch dringend nötig, nach dem heutigen Tag. Und den letzten paar Tagen. Und generell.

Obwohl es berechtigt gewesen wäre, wachte ich am nächsten Morgen keineswegs orientierungslos auf, sondern wusste augenblicklich, wo ich war, dass heute die erste Aufführung stattfand und dass es nun höchste Zeit war über meine gestrige Aktion auszuflippen.

Dann fiel mein Bick auf den Wecker und ich beschloss, dass es noch viel zu früh war, um schon wieder Panik zu schieben. Das konnte ich auch in ein paar Stunden noch tun. Und wenn ich mich ein bisschen näher an Lane kuschelte, ja, dann war das wohl eine kluge Entscheidung.

»Bist du wach?«, nuschelte er, den Kopf im Kissen vergraben. Ich bejahte, selbst noch ziemlich undeutlich. »Tut mir leid, dass ich meinen Stress an dir ausgelassen habe.«

»Mir auch«, stimmte ich zu.

»Tut mir leid, dass ich nicht versprechen kann, dass es nicht wieder passiert. Aber ich kann mein bestes versuchen, dass es nicht passiert«, fügte er noch hinzu.

»Wir sollten einen Yoga Kurs besuchen, dann sind wir beide ausgeglichener«, schlug ich vor. Wir sahen uns an und prusteten beide los. Immerhin erinnerten wir uns nur zu gut, an unsere wahnsinnige Leistung, was den Yoga Crashkurs betraf, zu dem Mr. Adams uns gezwungen hatte.

Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir so gemütlich, wie es nur irgendwie ging, wenn man in paar Stunden wieder im Probensaal erwartet wurde. Wir machten Frühstück, frühstückten dann dreißig Minuten später nochmals, weil wir beide wussten, dass wir später vor lauter Nervosität kaum noch was runterkriegen würde.

Viel zu schnell war es auch schon Zeit aufzubrechen. Ich legte einen kleinen Umweg ein, um mir von Zuhause ein passenderes Outfit überzuziehen (nicht, dass ich Lanes Shirt nicht noch gerne länger getragen hätte, aber man hätte mir vermutlich schon den einen oder anderen schiefen Blick zugeworfen, wenn ich mich zum Apero nach der Aufführung nicht wenigstens ein bisschen in Schale geschmissen hätte) und ehe wirklich begriff, dass der große Abend nun da war, war ich auch schon auf der Bühne und Manon tanzte was das Zeug hielt.

Nein, ich fiel dieses Mal nicht. Klar, ich würde niemals mit Kacys natürlicher Grazie mithalten können, aber ich fand, dass ich meine Rolle doch ganz glaubhaft über die Bühne brachte. Und als Mathis Manon küsste, machte es mir nichts mehr aus, dass ich von Lane nichts entdecken konnte. Denn ich wusste, dass die Kälte – sobald die Aufführungen vorbei waren – aus seinen Augen verschwinden würde.

Als wir dann die Premiere hinter uns gebracht hatten und uns unter tosenden Applaus vor dem Publikum verbeugten, konnte ich das Grinsen gar nicht mehr von meinem Gesicht wischen, auch wenn ich spüren konnte, dass meine Wangen zu schmerzen anfingen.

Ich spürte Lanes Hand in meiner und als ich mich ihm zuwandte, lächelte er mich mit strahlenden Augen an. Die Ich-werde-jetzt-im-Rege-vor-deiner-Haustür-auftauchen Aktion hatte sich gelohnt. Definitiv.

Die Vorhänge begannen sich zu schließen. Wie abgesprochen löste ich mich aus der Reihe der Schauspieler und drehte mich am Bühnenrand noch ein letztes Mal um mich selbst. Manons kanariengelbes Kleid, dem das Theaterstück seinen Namen verdankte, wirbelte um meine Beine.

Die Premiere von Jaune Canari nahm ein Ende.

Jaune CanariWo Geschichten leben. Entdecke jetzt