Unerwartete Gäste

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Für Traumblase, die heute ihren Geburtstag feiert (es ist zwar spät, aber ich bin immer noch rechtzeitig fertig, falls Wattpad jetzt nicht rumzickt). Alles Gute wünsch ich dir!

Unerwartete Gäste
Jolina

Lane und ich huschten als die Letzten in die Aula. Wir fühlten uns ein klein wenig wie Verbrecher, die sich lautlos in einen riesigen Saal schlichen, um dort die Wandschränke nach antiquiertem Silberbesteck abzusuchen – dabei waren wir schlicht und einfach zu spät. Mr. Adams warf uns einen enttäuschten Blick zu. Mir war schon aufgefallen, dass er seine Schüler nie rügte. Er sorgte lieber dafür, dass sie vom einem schlechten Gewissen geplagt wurden. Doch selbst wenn ich seine Taktik durchschauen konnte, fühlte ich mich kein Stück besser, als ich mich mit eingezogenem Kopf auf einen freien Sitz neben Elenora fallen ließ.

„Jetzt, nachdem selbst die Langsamsten eingetroffen sind" – wieder ein Blick in unsere Richtung, der mich mir schwören ließ, nie wieder zu spät zu kommen – „wollen wir mit leichten Aufwärmübungen beginnen. Bevor wir uns den Stimmübungen widmen, wollen wir in kurzen Improvisationsszenen euer Zusammenspiel fördern. Formt Vierergruppen und sobald sich alle einer Gruppe angeschlossen haben, erkläre ich die Aufgabe weiter."

Ich erhob mich und bildete zusammen mit Elenora und zwei anderen, die sich als Nandor und Tessa vorstellten, eine Gruppe. Lane hatte sich zu meinem Verdruss einer anderen Gruppe angeschlossen – und ähm, das interessierte mich natürlich überhaupt nicht, es war mir nur per Zufall aufgefallen, genau.

„Wieso ging das denn so lange?", flüsterte Elenora und für ihr breites Grinsen wollte ich ihr am liebsten eine reinhauen. Glücklicherweise bewahrte mich Mr. Adams vor einer Antwort, da er uns die bevorstehende Aufgabe erläuterte. „Ich möchte, dass ihr euch vorstellt, Gäste einer noblen Party zu sein. Hin und wieder bietet euch eine Servicekraft delikate Häppchen an und Champagner steht zu eurer Verfügung, wann immer ihr euer Glas ausgenippt habt. In euren Gruppen werdet ihr nun pantomimisch Gespräche führen. Zusätzlich zeichnet sich jeder Charakter durch einen bestimmten Tick aus. Ob ihr nervös von einem Fuß auf den anderen hüpft oder dauernd mit euren Haaren spielt, könnt ihr selbst entscheiden. Jeder muss sich etwas Eigenes ausdenken."

Mr. Adams Aufgabe hörte sich zwar ganz witzig an, ich sah jedoch die Herausforderung der Übung noch nicht. Immerhin mussten wir ja nur pantomimisch Gespräche inszenieren und unserem Charakter eine Eigenheit verpassen. Gerade als ich meine Gruppe fragen wollte, ob wir nun beginnen, fügte Mr. Adams seiner Aufgabe eine weitere Komponente hinzu.

„Damit ihr nicht nur im Gespräch interagieren müsst, wird die Gruppe – ohne sich abzusprechen – plötzlich den Tick eines Gastes nachahmen. Sobald alle die gleiche Absonderlichkeit übernommen und für eine kurze Zeitspanne ausgeübt haben, löst ihr die Szenerie auf und jeder versieht seinen Charakter mit einem neuen Tick, der dann wiederum nachgeahmt werden kann. So startet die Übung immer wieder von Neuem, ohne dass Unterbrüche entstehen sollen. Ist der Auftrag allen klar?", erkundigte er sich letztlich. Wir nickten brav und wandten uns einander zu. Die Pantomimen-Party konnte steigen.

Nach mehreren Runden und so vielem imaginären Champagner, dass mich dieser – wäre er echt – höchstwahrscheinlich mit einem ungemütlichen Kater am nächsten Morgen gestraft hätten, beendete Mr. Adams die Übung. Er spielte mit uns noch ein paar Klassiker des Aufwärmens durch, die wohl jeder kannte, der sich einmal mit Theater versuchte hatte. Dann wandten wir uns wie üblich dem Stimmtraining zu.

Weniger üblich war die aufschwingende Tür, die Mr. Adams in seinem Monolog unterbrach, den er über die Wichtigkeit von korrekt eingesungenen Stimmen hielt. Ich konnte nicht sehen, wer die Aula betrat. Es interessierte mich ehrlich gesagt auch nicht groß. Wahrscheinlich war es bloß wieder die Sekretärin der Hochschule, die Mr. Adams etwas wahnsinnig Dringendes mitteilen musste. Nachdem sie in den vergangenen Tagen mindestens drei Mal in unserer Unterricht hereingeschneit war, beschlich mich das Gefühl, dass die Nachrichten, die sie überbrachte, ihr bedeutend weniger wichtig waren als der Empfänger.

Als Mr. Adams weder Anzeichen machte, sich von der Stelle zu bewegen, noch seinen Monolog wiederaufzunehmen, wurde doch meine Neugier geweckt. Ich drehte mich um und obwohl ich mit der Person im Türrahmen bestens vertraut war, brauchte ich einige Sekunden, um sie zu erkennen, da ich nicht mit ihrem Auftauchen gerechnet hatte. Zumindest nicht jetzt schon. „Jenna? Ich dachte, du wolltest erst in ein paar Wochen kommen!"

Sie lachte fröhlich, wie so oft, und obwohl der Unterricht keineswegs beendet war, verließ ich die Bühne und umarmte meine Tante herzlich. „Ich freue mich, dich zu sehen!", begrüßte ich sie überschwänglich. Ich hätte es mir nie eingestanden, aber selbst wenn ich mich zwischen den vielen neuen Gesichtern erstaunlich wohl fühlte, linderte Jenna das unterschwellige Heimwehgefühl, das mich dann und wann plagte, wenn ich nicht gerade mit Theater, meinen Mitbewohnerinnen oder Lane beschäftigt war.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen", meinte sie glücklich. „Du siehst gut aus, du scheinst dich bestens eingelebt zu haben", stellte sie mit einem prüfenden Blick auf mein Erscheinungsbild fest. Erst jetzt fiel mir ein, dass hinter mir eine Gruppe Schauspielstudenten stand, die das Wiedersehen wohl oder übel verfolgen musste. „Was machst du hier?", lenkte ich das Gespräch auf eine weniger persönliche Ebene. Für alles andere würde es bestimmt später noch Zeit geben.

„Das ist wohl mein Stichwort", schaltete sich Mr. Adams ein. „Ich freue mich, Sie in unserem bescheidenen Proberaum begrüßen zu dürfen", begann er, doch meine Tante unterbrach ihn. „Nennen Sie mich Jenna", bot sie ihm das Du an. „Gerne, ich bin Kurt", sagte er und schüttelte ihr ehrfürchtig die Hand. „Ich bin ein großer Bewunderer Ihrer... ich meine, deiner Arbeit!", ereiferte er sich. Ich kicherte, weil er mich an einen Schuljungen erinnerte, der auf den ersten Blick eine ausgeprägte Schwärmerei für seine Mitschülerin hegte. Die arme Sekretärin.

„Deine Tante ist eine berühmte Regisseurin. Wie konntest du mir das verschweigen? Und sag jetzt nicht, du hättest es bloß vergessen. Sowas vergisst man nicht einfach so!", flüsterte Elenora energisch in mein Ohr. „Hätte es dann etwas geändert?", wisperte ich zurück. Sie legte den Kopf schief und dachte nach. Dann grinste sie schelmisch. „Ich hätte dir jeden Tag Kaffee und Kuchen gebracht und dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen", witzelte sie. „Gerne mit Milch und Zucker", alberte ich und versuchte mein Lachen hinter einem Huster zu verstecken.

„Hört mal alle zu", rief Mr. Adams in die tuschelnde Menge. „Jenna ist nicht nur hier um ihre Nichte zu besuchen. Sie hält eine wirklich interessante Herausforderung für euch bereit. Bevor sie diese jedoch erläutert, möchte sie euch im Theaterunterricht beobachten und sich ein Bild von eurem Können machen. Sie wird den Rest der Woche als stille Beobachterin den Kursen beiwohnen und am kommenden Montag ihr Geheimnis lüften. Wäre ich nicht überzeugt, dass ihr bereits euer Bestes gebt, würde ich euch daran erinnern, dass ihr euch besonders Mühe geben sollt", zwinkerte er. Ich starrte meine Tante fragend an. Eine Herausforderung? Sie zuckte nur wissend mit den Schultern. Ich würde wohl wie meine Mitstudenten bis Montagmorgen warten müssen.

Jaune CanariWo Geschichten leben. Entdecke jetzt