Von Träumen und der Liebe

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Für alle, die sich nicht sicher sind, ob es das Risiko wert ist.

Von Träumen und der Liebe
Jolina

„Was zum Teufel war das gestern?", wollte Pam mit verschränkten Armen von mir wissen. Ich wunderte mich, ob sie in der Lage war, ihre Augenbrauen noch höher zu ziehen. Wahrscheinlich nicht, denn es schien mir bereits, als würden ihre Brauen fast mit dem Haaransatz zusammenwachsen.

„Was war was gestern?", erkundigte ich mich, während ich frischfröhlich ein Liedchen vor mich hin trällerte und in diesem Moment überhaupt nicht realisiert, wie bescheuert ich mich eigentlich aufführte. Sehr erstaunlich. Immerhin hüpfte ich fast und das an einem Sonntagmorgen, obwohl ich sonst die sehr geschätzte Tradition pflegte, an Sonntagen erst nach Zwölf aus dem Bett zu kriechen. Eigentlich eher frühestens nach Zwölf. Der Sonntag war schließlich eigens dafür geschaffen herum zu gammeln, dann musste man von diesem Recht auch gebührend Gebrauch machen.

„Du bist mit dem breitesten Grinsen, das mir jemals unter die Nase gekommen ist, in die Wohnung geschneit, hast mir einen Kuss auf die Wange gedrückt, weil du so verdammt gute Laune hattest und bist dann – immer noch in dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung – in die Waschküche spaziert, um Bettlaken zu waschen. Dein Verhalten hat einen regelrechten Schrecken eingejagt, weil ich mir ernsthaft die Frage stellen musste, ob du dich vielleicht komplett mit Gras zu gedröhnt hast und ich dich ins Krankhaus fahren sollte. Deine neuen Laken sind echt schön, das muss ich ja zugeben, aber Laken allein können niemanden so glücklich machen. Und falls du mir das Gegenteil weismachen willst, lasse ich dich auf der Stelle einweisen!"

Ich wusste nicht so recht, was ich ihr antworten sollte, denn... Naja, ich wollte nicht als das liebestolle Mädchen dastehen, als das ich mich aufführte. Glücklicherweise schnitt mir Pam das Wort ab, bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte. „Oh, warte!", rief sie plötzlich aus. „Es hat was mit diesem süßen Studenten zu tun, hab ich recht? Mit diesem... diesem Lane!"

„Vielleicht", gab ich zu. Und obwohl ich Pam eigentlich noch nicht besonders lang kannte und obwohl wir einen echt miesen Start hingelegt hatten, ließen wir uns urplötzlich und wie abgesprochen auf die Couch fallen und ich erzählte ihr jedes einzelne Detail meines vergangenen Tages. Von der Giraffen-Kuh über die knutschrote Nachttischlampe bis hin zum Fakt, dass Lane mich schön genannt hatte. Und nachdem ich festgestellt hatte, dass Pam eine außergewöhnlich gute Zuhörerin war (sie warf an den richtigen Stellen Ohh's und Ahh's in das Gespräch ein), überschwemmte ich sie auch noch mit allen restlichen Momenten, die ich mit Lane erlebt hatte.

„Wow", schloss sie meinen Monolog. „Würde ich nicht mitten in gefühlt tausend anderen Projekten stecken, würde ich dich jetzt anflehen, dass ich einen Roman über euch schreiben darf. Denn glaub mir: Dieses aufgeregte Leuchten in deinen Augen und die nervösen Bewegungen deiner Hände – das ist es, was ich in Romanen auffangen will. Denn das ist echt."

„Glaubst du? Hach, Mist, ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht. Ich sollte mich auf viel Wichtigeres konzentrieren. Ich meine, ich bin nicht von einem Kontinent in den nächsten umgezogen, nur um mich wegen einem Kerl komplett verrückt zu machen, den ich kaum kenne." Es soweit kommen zu lassen, dass meine Schwärmerei für Lane mir die Chance auf meinen großen Traum kostete; nein, das stand wirklich nicht zur Debatte. Dafür hatte ich schon zu viel investiert.

„Weißt du, Jolina, für mich gibt es nichts Wichtigeres als das Schreiben. Das klingt pathetisch, aber es ist das Zentrale in meinem Leben. Es ist der Hauptinhalt meiner Existenz. Mein großer Traum. Und ja, für eine Publikation würde ich so Manches aufgeben. Alle meine Exfreunde hätte ich auf den Mond geschossen, wenn ich dafür publiziert worden wäre. Das mag mich hartherzig erscheinen lassen, jedoch will ich damit nicht sagen, dass meine Gefühle für sie nicht echt waren. Hätte ich nichts für sie empfunden, wäre ich nicht mit ihnen zusammen gewesen. Ich bin keine, die nur mit den Gefühlen anderer spielt; einerseits weil ich das moralisch nicht für akzeptabel halte und andererseits weil mir das ganze Chaos viel zu aufwendig wäre für nichts und wieder nichts... Aber das ist ein anderes Thema. Was ich damit sagen wollte, ist, dass ich durchaus Menschen für meinen Traum aufgegeben hätte, selbst wenn ich sie aufrichtig liebte. Dennoch gibt es in meinen Augen verschiedenen Abstufungen der Liebe. Erkannt habe ich das, als ich wie so oft in meinem Stammcafé gesessen und mir den Kopf über meine Notizen zu einem neuen Text zerbrochen habe und sich ein Pärchen zu mir an den Tisch gesetzt hat. Sie haben kaum gesprochen, sich nicht geküsst oder auch nur Händchen gehalten. Aber hin und wieder haben sie einen Blick ausgetauscht. Dieser Blick... Jeder Vollidiot – also selbst ich – konnte erkennen, was dieser Blick bedeutete. Es klingt echt verdammt abgedroschen, aber für diesen Blick würde ich mein ganzes Schreiben an den Nagel hängen. Denn die Liebe in diesem Blick war so echt und so unglaublich stark, dass sie weit wertvoller sein muss als alle Träume, die man sonst noch haben kann. Ich glaube nicht an die wahre Liebe oder daran, dass man zwingend dem einen Menschen über den Weg läuft, der wie für einen geschaffen ist. Nichtsdestotrotz würde ich für diese Art der Liebe alles stehen und liegen lassen. Auch meine Träume. Falls ich jemals eine so reine Liebe erlebe, wie dieses Pärchen sie geteilt hat, dann werde ich dafür kämpfen, sie so lange wie nur möglich genießen zu können."

Wir saßen eine längere Zeit einfach schweigend nebeneinander auf dem Sofa. Jede von uns hing ihren eigenen Gedanken nach. Ich versuchte mir dieses Pärchen vorzustellen, versuchte meine Gefühle einzuordnen, versuchte die ganze Welt zu verstehen und konnte nur feststellen, dass ich überhaupt nichts verstand. Ich traute mich fast nicht zu fragen, aber die Worte laut auszusprechen würde mir helfen. „Du glaubst, Lane und ich könnten sowas haben?"

„Oh, woher um Himmels Willen sollte ich das wissen? Außerdem glaube ich, dass es dafür mehr braucht. Mehr Zeit, mehr Momente, mehr Erinnerungen. Einfach mehr eben. Aber wer weiß, vielleicht ist das, was Lane und du haben könntet, einen Versuch wert dafür zu kämpfen. Einen Versuch wert, sich davon ablenken zu lassen. Nur kann dir niemand das Versprechen geben, dass der Versuch letztlich nicht scheitert. Das ist das ewige Risiko. Und die Frage lautet, ob du es eingehen willst."

„Das klingt so einfach. So viel einfacher als es sich anfühlt", grummelte ich vor mich hin und kuschelte mich tiefer in die Polster. Als könnte ich mich zwischen den Kissen vor einer Entscheidung drücken.

„Von einfach hat nie jemand was gesagt. Wenn Liebe einfach wäre, wäre es doch langweilig, meinst du nicht auch?" Sie zwinkerte mir zu. Ich nickte und dachte mir aber, dass ich mit langweilig vielleicht gar keine so großen Probleme hätte, wenn ich im Gegenzug wüsste, was ich tun sollte.

Jaune CanariWo Geschichten leben. Entdecke jetzt